mit einer zigarette taucht am abend
die traurigkeit der kindheit wieder auf
aus der erinnerung entsteigen narbend
gehüllt in rauch verdrängte schatten auf
zerfließen langsam malen an die wand
das bild des baums vorm haus: dem wind sich neigend
das mählich sich verzerrt und aus ihm steigend
erreicht im dunkel mich dann deine hand
die tröstend harte und sie will nicht weichen
beharrlich bleibt sie läßt nicht ab von mir
und wiederholt der liebe kalte zeichen
wie du mich einst ertrugst in dir und mir
das leben gabst: mit schmerz – gerade so
ruft mich dein schatten fort ins nirgendwo
••• Das ist eines der Gedichte, bei denen ich mir über die Jahre immer unsicher war, ob es nicht doch lieber zu vernichten sei. Das letzte Terzett schien mir immer misslungen, aber man kann, wenn so ein Text einmal „ausgeatmet“ ist, nicht ohne weiteres den Schluss durch einen anderen ersetzen. Das wäre mir – wunderlich vielleicht – doch unehrlich erschienen.
Nun, ich habe es trotz der Bedenken aufgehoben, möglicherweise weil es die Brücke zum Motiv des bei lebendigem Leib verbrennenden Rottenstein (nicht wirklich, oder doch?) im „Alphabet des Juda Liva“ gewesen sein könnte.
••• Wie oft habe ich diese Verse gelesen oder auch zitiert — und zwar immer im Zusammenhang mit Beziehungen, die, nach Verletzungen zumeist, zu zerbrechen drohten. Und ich habe dabei innerlich jeweils eifrig genickt. Aber man kann sich auch fortgesetzt heftig irren. Und das hier ist so ein Fall.
••• „Ya’amot – es trete heran: Mendel Eisik ben Nechemia ha-Kohen!“
Wie oft haben wir diese Worte gehört. Heute morgen rief der Ewige einen engen Vertrauten zu seinem letzten Aufstieg. Und wir müssen Abschied nehmen von einem unserer Ältesten, der höchstes Ansehen genoss quer durch die Generationen, Herkünfte und Traditionshintergründe der Beter in unserer Synagoge.
Mendel Eisik ben Nechemia ha-Kohen – sein Andenken sei zum Segen – gehörte zu jenen aus Polen stammenden Yehudim, die nach Lager-Odyssee und Aufenthalt im Displaced Persons Camp sich den Lebensmut und die Lebensfreude nicht hatten nehmen lassen. Die festhielten an den Traditionen ihrer Väter und hier in München eine neue jüdische Gemeinde, ein neues jüdisches Leben aufbauten und über Jahrzehnte bewahrten.
Ich fürchte mich vor der Begegnung
mit der Vergangenheit,
die mich einholt.
Ich fürchte mich vor den Nächten
voller Erinnerungen,
die meine Träume anketten.
Doch der Reisende, der flüchtet,
hält früher oder später inne.
Und obwohl das Vergessen,
das alles zerstört,
meine alte Illusion
schon getötet hat,
bewahre ich insgeheim
demütig die Hoffnung,
die das ganze Vermögen
meines Herzens ist.
Zurückkehren
mit verwelkter Stirn.
Der Schnee der Zeit
hat meine Schläfen ergrauen lassen.
Fühlen, dass das Leben
nur ein Hauch ist,
dass zwanzig Jahre nichts sind,
dass der fiebrige Blick,
im Schatten irrend,
dich sucht und beim Namen nennt.
Leben mit der Seele, die sich
an eine süsse Erinnerung klammert,
die mich noch heute
zum Weinen bringt.
Carlos Gardel & Alfredo La Pera
„Raimundas Lied“, aus: „Volver“
Ein Film von Pedro Almodóvar
••• Eine Erinnerung daran, dass die Poesie aus dem Schoss des Liedes kommt…
••• Inspiriert durch die Beiträge über Engel bei Markus A. Hediger, aber auch hier und dort und dort, habe ich mich auf die Suche nach Engelsgedichten begeben.