Herbsttag

2. September 2007

Autumn - © by *Floriandra@deviantart.com (2006-2007)

Autumn – © by *Floriandra@deviantart.com (2006-2007)

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Rainer Maria Rilke

••• Angeblich soll es Herbst werden. Ich bin noch nicht bereit. Wir sind es noch nicht. Einige südlichere Tage würden wir brauchen, um behutsam in unseren Herzen umzugehen, zu schauen, heilend die Hände aufzulegen. Bevor es kalt wird, bevor die Regentage kommen und schliesslich der Schnee.

Ich ging in dich hinein wie in ein Feld

2. September 2007

The Weed - © ~kelc@deviantart.com (2007)

The Weed – © ~kelc@deviantart.com (2007)

Ich ging in dich hinein wie in ein Feld
voll Sommerduft und reicher Ährenlast.
Ich baute mir in dir ein Garbenzelt
und wähnte mich in einem Goldpalast.

Die Tage flogen wild um unser Haus,
die Vögel zogen in uns ein und aus,
der blonde Weizen rieselte wie Wein
in unsern tiefen Kelch der Lust hinein.

So war mein Leben auf ein Tun gestellt:
Dein Herz umspannte meine ganze Welt,
und alle Fluren tanzten um mein Glück.

Da kamen Winde und verwirrten dich,
da kamen Falter und entführten dich,
und ließen mich im Stoppelfeld zurück.

Rose Ausländer
aus: „Der Regenbogen“ (Sonette), IX

••• Ich wollte wirklich kürzer treten mit den Sonetten. Aber man begegnet ihnen auf Schritt und Tritt. „Der Regenbogen“ ist ein Sonettenzyklus von Rose Ausländer, Gedichte an einen Geliebten. Sie haben mich gleich sehr berührt. Die direkte Ansprache ist mir sehr vertraut. Und es gelingen ihr immer wieder sehr starke Bilder, die sie konsequent ausgestaltet wie etwa hier die Feld-Metapher.

Drei der Sonette möchte ich in den nächsten Tagen vorstellen, jedes ein Meisterwerk und jedes mit dem gewissen Czernowitzer Klang, der mich auch bei Celan so gefangen nimmt.

Das Unaufhörliche (Schluss-Chor)

31. August 2007

Paul Hindemith/Gottfried Benn: Das Unaufhörliche (bei amazon.de)

••• Zum Abschluss dieses Abstechers in die Welt des „Unaufhörlichen“ heute der Schluss-Chor.


Den ganzen Beitrag lesen »

Theologie im Kinderzimmer

30. August 2007

Handelnde Personen:

  • D (fast 4)
  • A (fast 5)
  • H (die Herzdame, ziemlich jung)

 

D: Hat Gott sich selbst gemacht, Mama?

A: Ja, natürlich hat er sich selbst gemacht. Er hat ja auch die Menschen gemacht.

D: Wenn es Gott nicht geben würde, wäre das schlecht, oder Mama?

A: Ja, natürlich wär das schlecht. Dann wären wir nicht auf der Welt. Dann gäbs niemanden. Keinen einzigen. Gott hat Teile der Welt gefunden und sie dann zusammengebaut.

H: Wie mit Lego-Bausteinen?

A: Nein. Er hat so viele Teile gefunden und dann hat er geschaut, was zusammen passt. Und dann hat er die ganze Welt zusammengebaut und die Menschen auch… Alles – auch die Haare!

D: Nein, Papier hat er nicht gemacht. Papier macht man aus Baumstämmen.

A: Ich glaube, der Gott hat die Baumstämme gebaut.

D: Nein, die Fabrik hat das Papier gemacht.

A: Wenn Gott sich nicht selbst gemacht hat, dann hat ihn ein anderer Gott gemacht. Und der neue Gott hat dann den anderen Gott kaputt gemacht. Damit er der einzige Gott ist.

••• Puh! Noch Fragen?

Das Unaufhörliche (Lied)

30. August 2007

Gottfried Benn: Das Jahrhundertwerk in 2 Bd. (Klett-Cotta)

Lied

Lebe wohl den frühen Tagen,
die mit Sommer, stillem Land
angefüllt und glücklich lagen
in des Kindes Träumerhand.
Lebe wohl, du großes Werde,
über Feldern, See und Haus,
in Gewittern brach die Erde
zu gerechtem Walten aus.
Lebe wohl, was je an Ahnen
mich aus solchem Sein gezeugt,
das sich noch den Sonnenbahnen,
das sich noch der Nacht gebeugt.
Von dem Frühen zu dem Späten,
und die Bilder sinken ab –
lebe wohl, aus großen Städten
ohne Traum und ohne Grab.

Gottfried Benn, aus: „Das Unaufhörliche“

••• Zu finden ist der volle Text zum Oratorium nebst den nicht vertonten Teilen, Versuchen und Studien in der sehr schönen Benn-Gesamtausgabe von Klett-Cotta. In zwei Bänden findet sich die Lyrik und die künstlerische Prosa Benns. Was leider fehlt: „Probleme der Lyrik“, Benns Poetik-Vorlesung, die er 1951 an der Uni Marburg hielt.