••• Gestern wurde ich freudig überrascht. Ich lag angekränkelt im heißen Badewasser und las die aktuelle »Volltext«. Mit diebischem Vergnügen stieg ich ein mit »„Kitsch“ ist die deutsche Wortwaffe schlechthin«, Julia Francks wehrhafter Erwiderung auf die fragwürdige Kritikerschelte für ihren aktuellen Roman »Rücken an Rücken«.
Es heißt ja, man solle die Klappe halten, auf Kritiken grundsätzlich nicht reagieren. Da ist Vernünftiges dran, aber eben auch viel Opportunismus, der sich daraus erklärt, dass wir Autoren mit den Rezensenten in einer Art unseligen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Ein Buch, das nicht besprochen wird, ist wie nicht existent, Beschwiegenwerden, Verschwiegenwerden für Autoren also existenzbedrohend. Dem Rezensenten, selbst dem unfähigsten, bieten sich allzu viele alternative Möglichkeiten; man kann ja andere und anderes besprechen. Was nun hier in der aktuellen »Volltext« geschieht, dreht den Spieß aber um: Mit deutlichen und fundierten Worten bekommt der Kritiker, was er in diesem Fall auch verdient. Da es in dieser Form und in dieser Zeitschrift geschieht, handelt es sich nicht um narzisstische Moserei, sondern um Diskurs im Sinne der Sache. Das gefällt mir außerordentlich. Autoren, wenn sie so sorglos und unreflektiert behandelt werden, trifft es jeweils in ganzer Person und Werk. Wann kommt es schon einmal vor, dass ein Kritiker für Schlamperei und Oberflächlichkeit ebenso mit vollem Namen einstehen müsste, dass man es ihm und damit ihn selbst vorführt?
••• Nicht jeden, mit dem ich auf Facebook »befriendet« bin, kenne ich persönlich. Mein Facebook-Profil ist halb-privat, eine etwas persönlicher gehaltene, aber doch eher Litfasssäule. Mitunter, das gebe ich offen zu, erinnere ich mich aber auch lediglich nicht, dass und wo ich dem oder der einen oder anderen mal persönlich begegnet bin – auf einer Veranstaltung, auf der Messe oder sogar bei einem Interview. Da frage ich dann schon mal nach: Haben wir uns eigentlich schon mal von Angesicht zu Angesicht getroffen? Wo? Und wann?
So auch letzte Woche. Ich bekam eine freundliche Antwort. M. A. stammt aus dem Iran, lebt schon seit längerer Zeit in Deutschland und arbeitet im journalistischen Bereich. Ihre Antwort, eine aufregende Geschichte, darf ich mit ihrem Einverständnis hier posten. Ich habe mich sehr darüber gefreut.
••• Von unterwegs sendet man schnell mal ein Foto, einen Tweet oder eine Facebook-Nachricht. Einen Beitrag für den Turmsegler zu schreiben, erfordert dann aber doch mehr Sorgfalt und also Zeit; und an der fehlt es mir gerade sehr. Dennoch will ich nicht versäumen, ein wenig wenigstens zu berichten von den Lesungen und Veranstaltungen des letzten Monats, die hier noch nicht erwähnt wurden.
3sat Kulturzeit, Blick ins Studio nach der Aufzeichnung
••• Gestern hatte ich einen Fernsehtag zu absolvieren. Zunächst war ich in Frankfurt beim Hessischen Rundfunk zu Gast. In der Reihe »Sonntagsgespräch« geht es momentan um das Thema »Todsünden«, und Moderator und Gast umkreisen in einem halbstündigen Gespräch auf etwas ungewöhnliche Weise jeweils eine der »Todsünden«. In dem Gespräch, das Meinhard Schmidt-Degenhard gestern mit mir führte, ging es um »Maßlosigkeit«, und da »Replay« der Aufhänger des Gespräches sein sollte, war damit zunächst die digitale Maßlosigkeit gemeint. Der Moderator spannte jedoch den Themenbogen weit. So wurden nicht nur »Replay« und »Die Leinwand« kurz vorgestellt, wir streiften auch das Konzept der »Sünde« und deren eigentlichen Bodensatz: den Hunger. Wir sprachen über religiöse Krisen (von denen ich grad aus erster Hand berichten kann, sic!). Und natürlich sprachen wir über Identität und Erinnerung, die thematische Klammer zwischen den letzten beiden Romanen.
••• Ich bin noch eine Nacht länger in Leipzig geblieben als das Gros der Messebesucher und Literaturbetriebler, denn für mich geht es heute (und das hier schreibe ich im Zug) nach Hamm in Westfalen. Dort steht eine »Leinwand«-Lesung auf dem Programm. Der Veranstalter allerdings, den ich am Beck-Stand traf, hat mich auch um eine »Replay«-Kostprobe gebeten, wenn das Publikum nach dem »Leinwand«-Hauptprogramm noch in Stimmung sein sollte.
Es gab im Turmsegler keine Wortmeldungen von mir in den letzten Tagen. Über Facebook und Twitter konnte man sporadisch mitbekommen, wo ich mich rumtrieb und was sich ereignete. Hier Fotos oder gar einen zusammenhängenden Bericht einzustellen, dafür fehlte – ich gebe es offen zu – der Drive. In diesen Messetagen bin ich zwischen Turbo und Ohnmacht geschwankt. Zu viel persönlich Belastendes trug ich im Gepäck, also mehr emotionale als körperliche Erschöpfung. Ich habe mir, wenn auch die Nächte, wie auf einer solchen Messe üblich, ziemlich kurz gerieten, ein paar Stunden Extraschlaf untertags gegönnt, Spaziergänge durch die wunderbaren Frühlingstage in Leipzig, Sauna (brauchbar im Hotel), Thai-Massage (zu empfehlen und direkt neben dem Hotel). In diesen Tagen heißt es vor allem: ausschwitzen und Haltung bewahren, über die körperliche Wohltat und das Sich-selbst-Fühlen dem Emotionalen immerhin einen Boden bieten, auf dem es sich abstützen könnte…