Karl Kraus verreisst George

15. Dezember 2007

Wer die Götter vom Olymp stürzt und dem Dichterkult den Garaus zu machen sucht, das ist der Ikonoklast Karl Kraus, der wohl schwierigste Übersetzer der Shakespeare-Sonette. Der oft beschworene, als Befreiung gefeierte Tod des Autors, bei Karl Kraus findet er statt, lange bevor die Literaturwissenschaft zur öffentlichen Hinrichtung schreitet. Der Kampf um Shakespeare, um den es, wie der Titel seines Rachefeldzuges gegen Stefan George: „Sakrileg an George oder Sühne an Shakespeare?“ vermuten läßt, vermeintlich noch zu gehen scheint, offenbart sich der genaueren Lektüre und vor allem angesichts seiner eigenen Nachdichtung als ein Kampf um die Sprache, als Kampf gegen die Veräußerlichung der Sprache, gegen verblaßte poetische Klischees und sinnentleerte Phrasen einerseits und gegen Stefan George andererseits, den Gundolf als „Erneuerer der Dichtungssprache“ gefeiert hatte. Kraus wird nicht müde, Georges herrschaftliches Verhältnis zur Sprache anzuprangern, das die Sprache in der Form zu bezwingen sucht. George, von Gundolf gepriesen als „Seher und Sager der weltwirkenden Kräfte im lauteren, strengen und schweren Wort“, wird von Kraus abschätzig als Verwörtlicher bezeichnet; gegen Georges eigentümliche Wortprägungen – die für Karl Kraus, der einen wirklichen und zugleich mystischen Zusammenhang zwischen Wort und Ding annimmt, im Treibhaus gezüchtete künstliche Blüten sind, die den Bezug zum Ursprung verloren haben und deswegen lediglich sinnentleerte Ornamente bleiben – zieht er ebenso unerbittlich wie konsequent zu Felde im Namen der Sprache, um Georges „Doppelfrevel an Shakespeare und der deutschen Sprache“ offen zu legen. Eine umfassende Revision der vornehmlich von Unverständnis geprägten literaturwissenschaftlichen Einschätzung des Krausschen Verfahrens „Vom Deutschen ins Deutsche zu übersetzen“ steht noch aus; festzuhalten bleibt, daß seine Nachdichtung eine eigentümliche Zwitterstellung bekleidet: gegenüber der Umdichtung Georges ist die Übertragung von Karl Kraus zugleich in der Sprachhaltung, in dem zugrunde liegenden Sprachideal, das in den Dichtungen von Mathias Claudius und Goethe seinen reinsten Ausdruck findet, rückwärtsgewandter wie in dem vehementen Beharren auf dem Eigenleben der Sprachen moderner als die Version von Stefan George.

••• Die Quelle harschester Kritik an Georges Shakespeare-Umdichtungen, auf die der krimileser gestern hinwies, war insofern ein wenig dürftig, als der Autor im Dunkeln blieb. Glücklicherweise lässt sich bei der deutschen Shakespeare-Gesellschaft online ein wenig mehr Information zu diesem Verriss finden. Der Autor ist niemand anderes als Karl Kraus, selbst mit Shakespeare-Nachdichtungen in Erscheinung getreten (die ich auch nicht kenne, mea culpa!). Ein Rachefeldzug sei das gewesen. Aber herrjeh, wenn man es sich so gründlich verdient hat wie George mit den in dem Beitrag vorgestellten Übertragungen…

Danke nochmals für den Tip.

Shakespeare • George

14. Dezember 2007

Was ist mein vers an neuer pracht so leer •
Von wechsel fern und schneller änderung?
Was schiel ich mit der zeit nicht auch umher
Nach neuer art und seltner fertigung.

Was ich nur stets das gleiche schreib • das eine •
Erfindung halt im üblichen gewand?
Dass fast aus jedem wort mein name scheine •
Die herkunft zeigend und wie es entstand?

O süsses lieb • ich schreibe stets von dir
Und du und liebe • ihr seid noch mein plan . .
Mein bestes: altes wort in neuer zier:
Dies tu ich immer • ists auch schon getan.

So wie die sonne täglich alt und neu
Sagt meine liebe schon gesagtes treu.

William Shakespeare, Sonett LXXVI
Umdichtung: Stefan George (1909)

••• Wie ich via Lotrees erfahre, bringt Klett-Cotta im Rahmen der grossen kommentierten George-Ausgabe Anfang 2008 Band 12 mit den Georgeschen Umdichtungen der Shakespeare-Sonette, und zwar – wie der Verlag anmerkt – erstmals in kritischer Edition.


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Rashomon

13. Dezember 2007

Rashomon

••• Wer sich nach dem Beitrag über Ryunosuke Akutagawa für seine Prosa interessiert, muss nicht gleich eine der erwähnten Ausgaben seiner short stories erwerben. Ein wenig schmökern kann man auch online. Seine Erzählung „Rashomon“ ist in deutscher Übertragung auch als PDF zu haben. Viel Spass beim Lesen!

Die Briefe der Ninon de Lenclos

12. Dezember 2007

Ninon de Lenclos••• Von Briefen ging für mich schon immer eine grosse Faszination aus. Ich habe selbst unzählige Briefe geschrieben — meine ersten Amouren waren Fernlieben; man sah sich nur alle drei Wochen, und die Zeit zwischen den Wiedersehen wurde mit täglich hin und her gehenden Briefen überbrückt. Das heisst, ich habe auch sehr viele Briefe bekommen. Immer heiss ersehnt, waren sie oft nicht weniger aufwühlend.

Aber Fazination ging auch und besonders von Briefen aus, die weder an mich gerichtet, noch von mir geschrieben worden waren. Da waren zum Beispiel die wenigen Briefe meines Urgrossvaters an meine Urgrossmutter aus dem Gestapo-Gefängnis in Leipzig, in dem er wenig später ermordet wurde. Oder der Brief, mit dem mein Vater kurz vor dem 25. Hochzeitstag seine Ehe beendete und den mir meine Mutter später zum Lesen gab. Aber da waren eben auch jene „literarischen“ Briefe, wie sie gelegentlich in Romanen vorkommen oder aus denen mitunter sogar ein ganzer Roman gebaut ist.


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Erziehung für den Marquis

11. Dezember 2007

••• Wer, frage ich heute einmal in die Runde, könnte den folgenden Brief geschrieben haben?


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