23. Januar 2007
Am dunkelsten
in der Mitte
– wie dein Auge –
heller am Rand
vom weißen Porzellan –
bis zum Grund
kann ich nicht blicken.
Alles kühlt ab
langsam
von außen nach innen.
Manche wärmen ihn auf –
mir aber ist das
wie schon einmal gestorben.
Charlotte Grasnick, aus: „Flugfeld für Träume“
Verlag der Nation Berlin 1984
© Charlotte Grasnick 1992
••• Von den literarischen Zirkeln im Hause der Grasnicks habe ich schon berichtet. Mit Charlotte hat mich später noch etwas Besonderes verbunden. Anfang der 90er Jahre habe ich viele Stunden mit ihr über ihren Texten verbracht. Sie kam zu mir mit vielen Blättern und Zetteln, handschriftlichen Notizen. Sie wollte sie ordnen. Ich tippte sie in den Computer. Oft gingen die Texte durch den Filter langer Gespräche; doch dabei ging es eigentlich nur um feine Schliffe hier und da. Ich glaube allerdings, sie hat nicht wirklich gesehen, wie stark ihre Texte waren.
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22. Januar 2007
Werf mein Kleid über mich
wie offenes Wasser,
gefärbt vom Licht
kleiner Sonnen.
Vor jeder Nacht
fällt eine vom Himmel,
fängt sich
in meinem Schoß.
Dann fahren
unsere Finger
wie Schiffchen,
knüpfen am Saum
Netze zum Grund.
Um die Mondwende
spielen wir
Perlenfang, stillen
die Atemnot
in der Tiefe.
© Ina Kutulas (1984)
••• Wenn schon vom Poetenseminar 1985 die Rede war… In diesem Jahr gab es für mich so etwas wie einen Star: Ina-Kathrin Schildhauer (heute: Ina Kutulas). Sie hatte einen grossen Text, und sie hatte einen grossen Auftritt. Sie kam in diesem Jahr erst einige Tage später nach Schwerin. Ich erinnere mich noch gut, wie wir nachts im Kreis um sie sassen und den Erzählungen lauschten vom überwältigenden Eindruck der „Weltfestspiele der Jugend und Studenten“ in Moskau, an denen sie teilgenommen und von denen sie gerade – völlig übernächtigt – zurückgekehrt war.
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21. Januar 2007
Ich brauche Liebe! Liebe! Immerzu. Und ich will Liebe geben, weil ich zu viel davon habe. Niemand begreift, daß ich nichts anderes will, als mich zu verschwenden.
••• Wir waren bei Klaus Kinski stehengeblieben. Er war einer der Grössten. Und nicht nur als Schauspieler. Ich habe ihn auch als Autor geliebt. Seine Prosa ist eine Energieexplosion. Man wird atemlos beim Lesen und kann nicht aufhören.
Seine Autobiographie ist in mehreren, stark unterschiedlichen Ausgaben erschienen, da verschiedene Klagen – unter anderem von Familienangehörigen – ihn zu diversen Kürzungen zwangen. Man sollte unbedingt versuchen, antiquarisch ein Exemplar der Erstausgabe mit dem Titel „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund…“ zu bekommen. Es enthält diverse Passagen, die in der heute angeboteten Edition fehlen.
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19. Januar 2007
••• Der Sturm hat sich noch nicht gelegt. Da kommt mir noch ein anderes „Weltende“-Gedicht in den Sinn – von einer Dichterin, die ich – nicht ohne Verstörungen – verehre: Else-Lasker Schüler.
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18. Januar 2007
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
in allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
an Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Jakob van Hoddis (1887-1942)
••• Heute machen sich alle verrückt. Sturm, Untergangsstimmung, Weltenende!
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18. Januar 2007
Eine verliebte Ballade für ein Madchen namens Yssabeau
Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund,
ich schrie mir schon die Lungen wund
nach deinem weißen Leib, du Weib.
Im Klee, da hat der Mai ein Bett gemacht,
da blüht ein schöner Zeitvertreib
mit deinem Leib die lange Nacht.
Da will ich sein im tiefen Tal.
Dein Nachtgebet und auch dein Sterngemahl.
Im tiefen Erdbeertal, im schwarzen Haar,
da schlief ich manches Sommerjahr
bei dir und schlief doch nie zuviel.
Ich habe jetzt ein rotes Tier im Blut,
das macht mir wieder frohen Mut.
Komm her, ich weiß ein schönes Spiel
im dunklen Tal, im Muschelgrund…
Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund!
Die graue Welt macht keine Freude mehr,
ich gab den schönsten Sommer her,
und dir hat’s auch kein Glück gebracht;
hast nur den roten Mund noch aufgespart,
für mich so tief im Haar verwahrt…
Ich such ihn schon die lange Nacht
im Wintertal, im Aschengrund…
Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund.
Im Wintertal, im schwarzen Erdbeerkraut,
da hat der Schnee sein Nest gebaut
und fragt nicht, wo die Liebe sei.
Ich habe doch das rote Tier so tief
erfahren, als ich bei dir schlief.
Wär nur der Winter erst vorbei
und wieder grün der Wiesengrund!
… ich bin so wild nach deinem Erdbeermund!
François Villon, aus: „Die lasterhaften Balladen des François Villon“
Nachdichtung von Paul Zech
© 1962-2006 Deutscher Taschenbuch Verlag, München
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17. Januar 2007
Die Ballade von den Mädchen, die keinen Mann mehr finden
Sie haben alle einen Abend lang
und hautnackt blank
im grünen Gras gelegen.
Und haben da in solcher Nacht
den Mann um seinen Schlaf gebracht,
sie wußten wohl weswegen.
Das war im Sommerjahr ihr schönster Traum,
denn winters grünt im Wald kein Pflaumenbaum.
Im Pflaumenbaum da sang die Nachtigall
noch manches Mal das Lied vom Sündenfall.
Und oben bei den Schafen
da stand ein fetter Mond und ließ
den Knaben, der so schön auf seiner Flöte blies,
die ganze Nacht nicht schlafen.
Er hat an das, was nachher kommt, gedacht
und in der Früh sich aus dem Staub gemacht.
Da banden sich die Mädchen einen Kranz ins Haar
und klopften an bei Jesu Engelschar,
daß er sie von den Bösewichtern
erlöse für und für.
Doch Petrus stand mit seinem Sarraß vor der Tür
und zeigte auf den See, da irrten sie herum, die Lichter,
die Angedenken aus der Pflaumenzeit
in einem dicken Würmerkleid.
So manche Frau trägt immer noch die Jungfernhaut,
obwohl ihr Haar schon dünn ist und ergraut.
Die ganze Nacht brennt in der Kammer Licht
und aus dem Spiegel grinst ein häßliches Gesicht.
Da möchte sie das Bild zerschmeißen.
Doch Glück und Glas, das reimt sich nie
auf Pflaumenbaum und Zitterknie.
François Villon, aus: „Die lasterhaften Balladen des François Villon“
Nachdichtung von Paul Zech
© 1962-2006 Deutscher Taschenbuch Verlag, München
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