25. Februar 2007
Und dann geschah das Unglück, geschah das Unvermeidliche, das früher oder später hatte kommen müssen, denn in den Wäldern bleibt nichts verborgen, am wenigsten die Schwäche des Herrschers. So kam eines Tages mein Vetter über den Fluss, über die seit Jahren feststehende Grenze zwischen unseren Jagdrevieren, um mit mir zu kämpfen, mir meine Herrschaft streitig zu machen. In ihm trat mir meine frühere Gestalt entgegen, der kräftige, flinke, geschickte Wolf.
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24. Februar 2007
••• Als Fan der neuen Ilias-Übertragung von Raoul Schrott habe ich mich ja schon bekannt. In der aktuellen Akzente-Ausgabe 1/2007 gibt es nun einen Nachschlag für all jene, die nicht bis zum Erscheinen des Gesamtopus warten wollen oder können: den 4. Gesang der Ilias. Meine Begeisterung nutzt sich nicht ab!
Der vierte Gesang beginnt mit einem Göttergespräch im Olymp:
auf dem goldenen boden des olymp saßen zeus und die götter
zum rat versammelt. seine tochte, die ewig jugendliche hebe
mischte nektar in den wein und goß ihn in die goldenen becher.
sie prosteten sich gegenseitig zu und sahen auf troia hinunter –
zeus jedoch, ganz sohn seines verschlagenen vaters, begann
hera mit einem halb im ernst gemeinten seitenhieb zu ärgern:
[…]
Was ergibt sich, wenn Götter sich necken? Das passt irgendwie zur Diskussion, die wir vor einigen Tagen hier hatten: Wenn sie sich necken oder wenn sie zürnen, wenn sie wegschauen oder aus einer Laune die ihnen liebsten Städte der Vernichtung preisgeben, sind sie noch immer im Recht – weil sie Götter sind…
Zum zweiten Gesang der Ilias äussert sich im Heft Edzard Visser; und Barbara Patzek geht mit Bezug auf den 3. Gesang in der letzten Akzente-Ausgabe der Frage nach, warum Paris doch kein Feigling war und was überhaupt die Götter in der Ilias zu suchen hätten.
Auf dem Cover und zwischen den Deckeln gibt es darüber hinaus diesmal viel Durs Grünbein und dazu – wie gewohnt – ausgesuchte Lyrik aus aller Welt.
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24. Februar 2007
Dabei hatte ich schon recht bald den Verdacht, dass nicht alle Menschen so sein konnten wie das Kleine Mädchen, so gütig und mit jener Kraft des Verzeihens, denn hätten sie sonst so über mich gesprochen? Hätten sie mich nicht vielmehr wie das Kleine Mädchen als ihresgleichen annehmen müssen, statt mich zu verleugnen und zu beschimpfen? Doch wie durch einen Zauber hatte ich alle Erinnerung an andere Menschen außer dem Kleinen Mädchen verloren, selbst die Erinnerung an den Jäger, den ich so oft gesehen, der mir immerfort nachgestellt hatte mit seinem Gewehr und mit den Fangeisen, die er, im Unterholz versteckt, ausgelegt hatte, selbst das Bild dieses Jägers war schon verblasst, so dass ich mich bald gar nicht mehr seiner erinnern konnte, ja dass er alle Bedeutung für mich verlor.
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23. Februar 2007
Sehr lange noch blieb es so an meiner Seite sitzen und sprach zu mir. Es erzählte von den Menschen, die offenbar doch in dem Dorf leben mussten, wenn ich sie auch nicht bemerkt hatte. Und so hörte ich von dem Kleinen Mädchen, wie diese Menschen über mich sprachen, dass sie mich einen grausamen Mörder nannten, der gnadenlos umgehe in diesen Wäldern und wahllos töte, was immer ihm in den Weg komme. Dass ich blutrünstig sei, eine gefährliche Bestie. Und während das Kleine Mädchen all das sagte, hörte es nicht auf, mich in seiner furchtlos zärtlichen Art zu streicheln und zu kraulen, obgleich es doch den Erzählungen der Menschen nach allen Grund zur Furcht vor mir gehabt hätte.
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22. Februar 2007
Als ich aufwachte, war es früh am Tag; und es musste schon längere Zeit hell gewesen sein. Ich fühlte mich auf wunderbare Weise gestärkt, und erst als ich aufstehen wollte, erinnerte mich der stechende Schmerz in meiner Pfote daran, was geschehen war. Ich lag noch immer an derselben Stelle, an der das Kleine Mädchen mich am Vortag gefunden hatte, neben dem Fangeisen. Als ich meine verwundete Pfote sah, die das Kleine Mädchen mit seinem Hemd umwickelt hatte, das unterdessen mit dunkelrotem Blut getränkt war, erschrak ich. Wie unvorsichtig war es gewesen, sich jemandem so sehr anvertraut zu haben! Stundenlang hatte ich völlig schutzlos hier gelegen.
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21. Februar 2007
Vielleicht war mein Fell nie etwas anderes als einfach das Fell eines Wolfes. Doch ein schönes Fell war es: dicht und glatt und unentbehrlich für mich, denn es wärmte, war mein Schutz, passte sich den Farben der Jahreszeiten an, eine gute, eine notwendige Tarnung auf der Jagd und auf der Flucht. Ich weiß es nicht sicher, es ist mir bisher nicht gelungen herauszufinden, ob ich unter diesem Fell auch eine solch glatte und weiche Haut habe wie das Kleine Mädchen. Einmal habe ich mir mit den Zähnen büschelweise Haare aus meinem Fell gerissen, um Gewissheit zu bekommen darüber. Und es hat mich erschreckt, was ich sah: diese kahle Stelle; und ich fand auch wirklich etwas wie Haut. Nur hatte sie gar nichts von der Haut des Kleinen Mädchens, war grau, unansehnlich, zusätzlich entstellt von dem Blut, das in zähflüssigen Rinnsalen aus einigen kleinen Wunden hervorquoll, die ich mit meinen Zähnen aufgerissen hatte. Vielleicht, dachte ich, gehört dieses hässliche Stück Haut noch zu meinem Fell, dem Fell eines Wolfes, und ich hätte doch auch eine Haut wie das Kleine Mädchen, gelblich braun und ein wenig transparent, sehr verletzlich darunter, in einer tieferen Schicht, unter meinem grauen Fell. Lange hatte ich mir die Hoffnung bewahrt, dass sie eines Tages zum Vorschein kommen, dass ich sie lieben und mein Fell entbehren könnte. Doch das ist eine eitle Hoffnung. Jetzt beginnen mir tatsächlich die Haare auszufallen, und mein Fell, das einst glatt und glänzend war, wird von Tag zu Tag dünner; doch die erhoffte Haut will sich nicht zeigen.
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21. Februar 2007
••• Dass ich ein notorischer Manuskriptvernichter bin, habe ich ja schon erwähnt. Der letzten Aktion dieser Art – im März 2003, als ein Umzug in eine sehr kleine Wohnung anstand – fiel nahezu alles zum Opfer, was ich bis dahin geschrieben hatte. Aufgehoben habe ich die Manuskripte und Zettelkästen des „Alphabet“ und des „Libellenflügel“, ersteres, weil es erschienen war, letzteres, weil ich auf den Trümmern dieses Manuskripts einen neuen Roman bauen wollte. Ebenfalls überlebt haben: ein unspielbares Theaterstück (in ca. 5 Evolutionsstufen), an die 15 Gedichte und zwei Erzählungen.
Warum ich die Erzählungen aufgehoben habe, kann ich nicht genau sagen. Vielleicht lag es an den persönlichen Erinnerungen, die daran hingen.
Jetzt steht wieder ein Umzug an, diesmal in eine Wohnung sehr „angemessener Grösse“. Wir sind schon beim Verpacken von Hausrat und Büchern. Und unvermeidlicherweise kommen mir da auch die Zettelkästen in die Hand und die Erzählungen. Die eine davon, werde ich ab heute in fünf Tagesfortsetzungen hier bringen.
Sollen die turmsegelnden Leser entscheiden, ob sie zurecht überlebt hat.
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