Lyrik, Park & Installationen
13. Februar 2008••• Die Kulturfabrik Lösecke veranstaltet im kommenden Juli in Hildesheim den LyrikPark 2008 und sucht per Ausschreibung nach Lyrik-Installationen…
••• Die Kulturfabrik Lösecke veranstaltet im kommenden Juli in Hildesheim den LyrikPark 2008 und sucht per Ausschreibung nach Lyrik-Installationen…
Leichter, wenn auch nur ein wenig, liess sich die Frage klären, was sich hinter der stets verschlossenen Tür zum Elternzimmer verbarg. Doch wie bei so vielen Fragen in meinem Leben, so drängend sie mir auch erschienen waren, löste ich sie nicht selbst, nicht durch Raten, Erkundigungen, Forschen, nicht durch eine Tat. Die Antwort wurde mir vor die Füsse gelegt, und zwar im Wortsinne, nämlich in Gestalt eines der beiden Schlüssel, die meine Eltern für gewöhnlich immer bei sich trugen.
Die neue Wohnung lag nur wenige Strassen von der alten entfernt. Für den Umzug liehen meine Eltern sich Leiterwagen von den Nachbarn aus. Zwei Jungen aus der Nachbarschaft halfen beim Tragen. Und das, obwohl die Nachbarn unverhohlen missbilligten, dass wir nicht im Viertel blieben. Das neue Haus nämlich, wenn auch nur wenig mehr als zweihundert Meter vom alten Haus entfernt, gehörte bereits zu einer anderen Welt.
Geboren wurde ich in Meah Shearim, Yerushalayim, einem der Epizentren jüdischer Gottesfürchtigkeit. Ich war der erste Sohn nach drei Töchtern und ganze fünfeinhalb Jahre jünger als meine älteste Schwester. Dies war in unserer Nachbarschaft alles andere als ungewöhnlich. Einzig das Alter meiner Eltern hätte als auffällig gelten können, denn sie waren bereits ein gutes Stück über dreissig. Dafür konnte es an einem Ort wie diesem nur drei Erklärungen geben. Entweder waren sie Sitzengebliebene, weil irgendetwas in den jeweiligen Familien nicht ganz koscher gewesen war: ein unheilvolles Walten des Bösen Blicks beispielsweise, Synonym für lebensbedrohliche Melancholie, oder aber unbezähmbare Teives, die, Gott behüte, ein Mitglied der Familie vom einzig wahren Weg der Torah abgebracht hatten. Als zweite Möglichkeit kam in Betracht, dass es nicht ihre erste Ehe war. Und die dritte mögliche Erklärung, nämlich dass ihre jüdischen Wurzeln nicht bis unmittelbar an den Fuss des Berges Sinai zurückreichten, hätte einen kaum geringeren Makel bedeutet.
Ich weiss es nicht. Ich bin mir wirklich unsicher, ob ich diese, meine Fähigkeit eine Gabe nennen soll. Täte ich es, wer, müsste ich fragen, wäre der Gebende gewesen? Dort, woher ich komme, gibt es auf eine solche Frage nur eine Antwort: Ha-Kadosh baruch-hu, der Heilige, gelobt sei er; oder aber Satan, der ewige Versucher, und es hätte einzig an mir gelegen, den Beweis der tatsächlichen Herkunft dieses Geschenks anzutreten. Denn jeder Gabe, so hätte man mir gesagt, wohne das Potential des Guten wie auch des Bösen inne, und es läge letztendlich immer in der Hand des Beschenkten, das Geschenk zu einem Segen oder einem Fluch zu machen.