Gebet für Marilyn Monroe

5. März 2007

Marilyn Monroe

Herr
nimm auf dieses Mädchen, in der ganzen Welt bekannt als
Marilyn Monroe,
wenn das auch nicht ihr wirklicher Name war
(doch Du kennst ihren wirklichen Namen, den Namen des kleinen Waisenkindes, das mit neun Jahren vergewaltigt wurde,
und der Verkäuferin, die mit sechzehn Selbstmord versuchte)
und die nun vor Dir steht, ohne Schminke,
ohne ihren Presseagenten,
ohne Fotografen und ohne Autogramme zu geben,
allein wie ein Astronaut vor der Nacht des Weltraums.

Sie träumte als Kind, nackt in einer Kirche gewesen zu sein
(wie Time berichtete)
vor einer knienden Menge, die Köpfe geneigt bis zur Erde,
und sie mußte auf Zehenspitzen gehen, um die Köpfe nicht zu zertreten.
Du kennst unsere Träume besser als alle Psychiater.
Kirche, Haus, Höhle bedeuten die Sicherheit des Mutterschoßes,
aber doch auch mehr als das…
Die Köpfe, das sind die Bewunderer, das ist klar
(die Masse der Köpfe im Dunkel unter dem Strahl des Lichts).
Doch der Tempel ist nicht das Studio der 20th Century Fox.
Der Tempel – aus Marmor und Gold – ist der Tempel ihres Körpers,
aus dem der Menschensohn, eine Peitsche in der Hand,
die Händler der 20th Century Fox vertreibt,
die aus Deinem Gebetshaus eine Räuberhöhle gemacht haben.

Herr,
in dieser Welt, verpestet von Sünde und Radioaktivität,
sprichst Du nicht eine Verkäuferin schuldig,
die wie alle Verkäuferinnen davon träumte, ein Filmstar zu sein.
Und ihr Traum wurde Wirklichkeit (die Wirklichkeit in Technicolor).
Sie hat nur nach unserem Drehbuch gespielt
– dem unserer eigenen Leben –, und das Buch war absurd.
Vergib ihr, Herr, und vergib auch uns
für unsere 20th Century,
für unsere Monster-Super-Produktion, an der wir alle gearbeitet haben.
Sie war hungrig nach Liebe, und wir boten ihr Beruhigungsmittel.
Weil sie traurig war, keine Heilige zu sein, empfahl man ihr Psychoanalyse.
Denke, Herr, an ihre wachsende Angst vor der Kamera
und an den Haß auf die Schminke – sie bestand vor jeder Szene auf neuem Make-up –,
und wie das Entsetzen zunahm
und die Unpünktlichkeit in den Studios.

Wie jede Verkäuferin
träumte sie davon, ein Filmstar zu werden.
Und ihr Leben war unwirklich wie ein Traum, interpretiert und archiviert von einem Psychiater.

Ihre Romanzen waren Küsse mit geschlossenen Augen,
bei denen man, wenn man die Augen aufschlug,
ins Scheinwerferlicht starrt, und dann gehen die Scheinwerfer aus.
Und man baut die beiden Wände ab (es war eine Filmszene),
während der Regisseur mit dem Drehbuch fortgeht, weil die Szene nun schon gedreht ist.
Oder wie die Reise auf einer Jacht, ein Kuß in Singapur, ein Ball in Rio,
der Empfang in der Villa des Herzogs und der Herzogin von Windsor,
gesehen vom Zimmer einer erbärmlichen Wohnung aus.

Der Film ging zu Ende ohne den Kuß im Finale.
Man fand sie tot in ihrem Bett, ihre Hand am Telefon.
Und die Detektive fanden nicht heraus, wen sie anrufen wollte.
Es war,
als habe jemand die Nummer der einzigen freundlichen Stimme gewählt
und nur die Stimme vom Band gehört, die sagt: wrong number.
Oder als habe jemand, von Gangstern überfallen,
die Hand nach dem unterbrochenen Telefon ausgestreckt.

Herr,
wer immer es auch war, den sie anrufen wollte
und den sie nicht erreichte (und vielleicht war es niemand
oder jemand, dessen Nummer nicht im Telefonbuch von Los Angeles steht)
antworte du Ihrem Anruf!

Ernesto Cardenal
Übertragung: Stefan Baciu


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Quetzalcóatl

4. März 2007

Quetzalcoatl und Tezcatlipoca

Die dunkle Nacht, der Wind und das Meer warfen ihn auf den Strand. Hier lag er fest, an seinen Balken gebunden. Bedeckt von Schaum. An die Erde gepreßt, in ihre sanfte Krümmung geschmiegt wie das Kind an die Mutter.

Nackt und ohne Erinnerung. Nur sein nächtliches Wachen hatte in ihm selbst wie ein Stern zwischen dem Wind und den Finsternissen gestrahlt. Innen. Draußen brüllten der Sturm und der Wirbel.

Die ersten Lichter eines neuen Tages und die Stille fanden ihn hingestreckt am Strand. Er erinnerte sich nur an die Richtung seines Ursprungs, die aufgehende Sonne und das Kreuz der vier Winde, an das er festgebunden war und das ihn auf dem Meere schwimmend unter dem Heulen des Sturmes bis zu diesem vom Wasser getrennten Land, inmitten Wind und Nacht, getragen hatte.

Er war nackt, ohne Erinnerung, nur gewillt, weiterzuleben. Vor Not von Sinnen. Sein Bewußtsein brachte es bloß zu Angst und Einsamkeit.

Bin ich noch jemand, fragte er sich endlich, als der Schmerz ihn gegen den Felsen warf und ihm Kraft und Bewußtsein schwanden; der Funke seines Wachens erlosch, und es blieb nur ein graues Sausen zurück, das dem Tod sehr ähnelte und in seinem geschwollenen Mund nach Blut und nach Salz schmeckte.


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Mordechai und Esther

3. März 2007

Claude Vignon: Esther bittet Ahasver, 1624, Musée du Louvre in Paris

Da ging Haman an dem Tage hinaus fröhlich und guten Mutes. Aber als er Mordechai im Tor des Königs sah, wie er nicht aufstand und sich nicht vor ihm fürchtete, wurde er voll Zorn über Mordechai. Aber er hielt an sich. Und als er heimkam, sandte er hin und ließ seine Freunde holen und seine Frau Seresch und zählte ihnen auf die Herrlichkeit seines Reichtums und die Menge seiner Söhne und alles, wie ihn der König so groß gemacht habe, und daß er über die Fürsten und Großen des Königs erhoben sei. Auch sprach Haman: Und die Königin Ester hat niemand kommen lassen mit dem König zum Mahl, das sie bereitet hat, als nur mich, und auch morgen bin ich zu ihr geladen mit dem König. Aber das alles ist mir nicht genug, solange ich den Juden Mordechai sitzen sehe im Tor des Königs. Da sprachen zu ihm seine Frau Seresch und alle seine Freunde: Man mache einen Galgen, fünfzig Ellen hoch, und morgen früh sage dem König, daß man Mordechai daran aufhänge. Dann geh du mit dem König fröhlich zum Mahl. Das gefiel Haman gut, und er ließ einen Galgen aufrichten.

Megillat Esther

••• Mitunter hängt, wer andern einen Galgen baut, später selbst daran. Heute vor fast 2.500 Jahren ging es mal gut für uns aus. Und hätte der Perserkönig nicht darauf bestanden, ein königliches Dekret nicht zurücknehmen zu können, wäre es sogar ohne Blutvergiessen ausgegangen.

Ich erinnere mich grad an die Verfilmung mit Joan Collins in jungen Jahren…

Die Schriften sind immer wieder eine inspirierende Lektüre. Heute ist Purim, und wir lesen die Megillat Esther gleich zweimal, einmal nachts (eben geschehen) und am folgenden Tag. Immer, wenn der Name Haman fällt, gibt es grosses Getöse: Rasseln, Knarren, Klopfen auf die Bänke und Pulte, nach dem Motto „Sein Name sei ausgelöscht“. Nachts gibt es dann reichlich Schnaps. Jetzt muss ich nur noch meine Frau überreden, dass sie wirklich die Whisky-Flasche öffnet…

Über die Menschen

2. März 2007

Illustration vn Miloslav Troup

Nun war die Sonne auf der Welt. Und im Wasser schwammen die Fische, und in der Luft flogen die Vögel, und unzählige Tiere gab es auf der Erde. Aber keines der Tiere bedankte sich für die Sonne. Das gefiel den Göttern gar nicht.

„Wir werden Menschen schaffen“, beschlossen sie. „Sie werden uns nicht enttäuschen.“ Und so geschah es.

Der blaue Gott Tlaloc machte sich sogleich ans Werk. Er nahm Lehm und schuf daraus einen Menschen. Doch nicht umsonst heißt es: „Gut Ding braucht Weile.“ Der Lehmmensch, den Tlaloc geschaffen hatte, konnte nicht einmal aufrecht stehen, und kaum war er in eine Pfütze gerutscht, da löste er sich auf. Da lachte Xipe Totec und sagte kühn: „Wie kann man Menschen aus Lehm machen. Schaut her, meine Menschen werden bestehen und sich nicht auflösen!“

Und schon nahm er ein Messer zur Hand, schnitt damit einige Äste ab und schnitzte aus den Ästen Figuren. Sie lösten sich nicht auf. Also liessen die Götter sie leben.

Aber die Holzmenschen verhielten sich wie Marionetten. Ihre Gesichter zeigten kein Lächeln, ihre Augen weinten keine Tränen, – sie prügelten ihre Hunde, sie ließen die Töpfe und Pfannen so lange auf dem Feuer, bis sie anbrannten und schlugen mit Stöcken und Steinen derart aufeinander ein, daß ihre Holzglieder zerbrachen.

Die Götter schauten den Holzmenschen eine Weile zu. Sie gefielen ihnen nicht. Und die Holzmenschen nahmen auch bald ein schlechtes Ende. Eines Tages war es so weit. Alle Tiere, Töpfe, Stöcke und Steine sagten den Holzmenschen den Kampf an. Sie entzündeten große Feuer und trieben die Holzmenschen in die Flammen hinein und ließen sie zu Asche verbrennen.

Darauf sagte der schwarze Gott Tezcatlipoca: „Lehm und Holz gibt es genug auf der Welt, deshalb werden wir daraus auch keine Menschen mehr machen. Gold ist das Wertvollste, wir machen Menschen aus Gold.“


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Schlafender Kampfpapagei

2. März 2007

••• Seit einiger Zeit versorgt Farlion die deutschsprachigen Blogfreunde mit Leseempfehlungen. Da war bislang schon manche interessante Entdeckung dabei. Heute allerdings wird es monströs: Hakenkreuz als Favico, Bomberjackenauftritt mit Heilsgrussandeutung und der Ku Klux Klan beim Riesenradfahren (vor oder nach dem Lynchausflug?).

Trägt der Kampfpapagei eine schwarze Uniform? Oder hat er einfach geschlafen? Ich jedenfalls brauche sowas weder zum Frühstück noch zu einer anderen Tages- oder Nachtzeit und reagiere ganz undifferenziert mit Farlion::unsubscribe.

WP-Plugin SitemapTags

1. März 2007

••• Die Rubrik „Ausser der Reihe“ wächst über Gebühr. Das soll so nicht bleiben. Eine Anmerkung ganz ausser der Reihe will ich heute aber doch noch machen.

Dieses Blog wird angetrieben durch WordPress und viele nützliche, frei verfügbare Plugins. Zwei davon, die ich sehr schätze, sind SimpleTagging und der Google Sitemap Generator. Ich habe ein kleines WordPress Plugin geschrieben, dass diese beiden Plugins verknüpft und die Tag-Seiten, die von SimpleTagging erzeugt werden, der Google Sitemap hinzufügt.

Bei Gelegenheit sollte das Plugin SitemapTags direkt die Konfiguration von SimpleTagging auslesen. Im Moment sind die beiden Konfigurationsoptionen noch direkt im PHP-Code einzusetzen. Wer das Plugin ausprobieren möchte, findet es hier. Anregungen für Verbesserungen nehme ich gern entgegen.

Und nun zurück zur Literatur…

Update 05.03.2007: SitemapTags is a WordPress 2.1.x plugin. It requires SimpleTagging and Google Sitemap Generator and adds all your tag URLs created by SimpleTagging to your Google Sitemap. The plugin has been updated to version 0.9.1. It now uses the SimpleTagging configuration. No further configuration should be necessary. Just upload, activate, enjoy.

Update 30.08.2007: SitemapTags has been updated to version 1.0.2. It can now also be used with WordPress 2.3 Beta as well as WordPress 2.1.x and 2.2.x. Whenever the plugin detects the presence of SimpleTagging it will use it. If SimpleTagging cannot be found and SitemapTags detects a WordPress version higher or equal 2.3-beta1 it will use the WordPress tagging configuration. Even in this case the plugin Google Sitemap Generator is still required. As before there is no need to edit the plugin source, and you don’t have to configure any options. Just install, activate and enjoy!

Disposable?

1. März 2007

••• Die Jury des Lead Academy Award hat das SZ-Magazin zu Deutschlands bester Zeitschrift gekürt. Das ist sicher kein Fehlgriff. Aber darum geht es mir gar nicht. Worum es mir geht, ist das Interview mit dem Jury-Vorsitzenden Markus Peichl, der im Gespräch mit WELT ONLINE, einräumt, dass es nicht nur Grund zum Feiern gibt.

Aufmerksam geworden bin ich darauf via popkulturjunkie. Los geht es harmlos: Man redet über Vanity Fair, Park Avenue, Magazin-Niedrigpreise… Doch dann erinnert mich Herr Peichl plötzlich an meine Journalistenjahre:

… die Leute werden mit so viel Mittelmaß erschlagen, dass sie das Gute nicht mehr sehen. Erinnern Sie sich an die Hitler-Parodie mit Helge Schneider? Die Frage „Darf man über Hitler lachen?“ war die Sau, die eine Woche lang durchs mediale Dorf gejagt wurde. Danach war die Sache vergessen, der Film floppte, basta. Dasselbe passierte mit dem Uschi-Obermaier-Film. Ein Riesenzirkus. Bereits vor dem Filmstart war alles vorbei, der Film ein Riesenflop, kein Mensch redete mehr darüber. Das ist das Problem, mit dem die Printmedien zu kämpfen haben. Selbstverschuldet lassen sie sich im Kampf gegen schnellere Medien auf das Gebot der Nichtsubstanz und das Verdikt der Geschwindigkeit ein. Journalisten haben keine Zeit mehr zu recherchieren, sich etwas genau anzuschauen und darüber nachzudenken.

Diese Zeit hatten wir schon damals nicht. Jedenfalls nie genug. Und ich habe sogar für Monatsmagazine gearbeitet, bei denen es eine Woche nach Redaktionsschluss immerhin ein bis zwei ruhigere Tage gab, in denen man manchen Dingen gründlicher nachgehen konnte.

Ein wenig später gibt Peichl preis, was er gar nicht mehr hören mag.

… diesen Satz, den Printmedien-Leute so gern von sich geben, wenn sie ihre Angst vor Online-Medien vertreiben wollen: „Wir werden gegen das Fast-Food-Medium Internet bestehen, denn der Leser möchte Selektion, und genau die geben wir ihm: Wir trennen das Wichtige vom Unwichtigen.“ Stimmt einfach nicht. Alles nur Alibi-Wunschdenken. Die Printmedien verbreiten viel zu viel völlig ungefilterte Information im Affenzacken hinaus in die Welt.

Mir ist völlig unklar, warum noch immer und immer wieder das Internet als Fast-Food-Medium verschrien wird. Nur Disposables? Keine Gründlichkeit? Untermittelmässigkeit? – Diposabler, ungründlicher, untermittelmässiger als in der durchschnittlichen Printmedien-Redaktion kann es hier draussen gar nicht zugehen.

Apropos Gründlichkeit: Der demletzt erwähnte Kampusch-Essay im „Wespennest“ war mitnichten von Peter Moeschl verfasst, sondern von Rainer Just. Ich habe das korrigiert, anders als die vielen Fehler, die mir in meinen Zeitschriftenartikeln untergekommen sind und die nicht korrigierbar waren. Ich danke der aufmerksamen Leserin aus Wien für den Hinweis!