10. März 2007••• Eben treffe ich via Spreeblick und YouTube einen Bekannten wieder: Maxim Biller. Und ich mache mir bei diesen Bildern Gedanken darüber, wie alt ich wohl geworden sein mag. Er möge mir das nachsehen.
Wir haben die Orte gewechselt. Als wir uns kennenlernten, lebte er in München und ich in Berlin. Jetzt fährt Malte mit ihm Wartburg in meiner alten Heimat, und ich finde inmitten Münchens das Buch nicht mehr, mit dem er mich initiiert hat. Das war „Wenn ich einmal reich und tot bin“, auf dem Cover ein Junge mit Cowboyhut und umgeschnallten Colts. Weil ich es nicht finde – es taucht beim Umzug nun hoffentlich wieder auf – kann ich an dieser Stelle nichts zitieren. Aber das lässt sich ja nachholen.
Als ich seine Erzählungen durch einen Zufall in die Hand bekam, hat es mich umgehauen. Er übertreibt es ja oft ein wenig oder auch ein wenig mehr. Aber Himmel, der Mann hat Power! Frech sein, das konnte ich vor dieser Lektüre in meinen Texten gar nicht. Farbe bekennen – auch so eine Schwierigkeit, die ich hatte. Er nicht.
Als diese Erzählungen erschienen, gab es etwa 10.000 Juden in Deutschland. Und es wurden immer weniger, weil die Überlebenden, wenn sie es sich leisten konnten, ihre Kinder zur Ausbildung ins Ausland schickten. Oft kehrten sie gar nicht erst zurück, sondern blieben in Israel, England, den USA. Das ganze jüdische Leben hier hatte etwas von Alte-Leute-Veranstaltung und unerträglichem Druck aus dem Gestern.
Ich trug mich herum mit einem jüdischen Thema für einen Roman, eine Familiensaga mit mystischem Hintergrund, die natürlich auch geprägt war von Toten und Exil. Aber darum sollte es nicht gehen. Wie kann man überhaupt über solche Themen schreiben als deutscher Autor? Maxim konnte mir diese Frage nicht beantworten. Aber seine Erzählungen und seine provokante Art gaben mir eine Vorstellung. Ich war nicht seiner Ansicht. Ich dachte nicht, dass es so sein müsste. Ich rieb mich an diesen Texten, lehnte vieles ganz leidenschaftlich ab. Aber aus dieser Ablehnung heraus kam mir eine Vorstellung, wie es mir gelingen könnte, die geplante Geschichte zu erzählen. So waren Maxims Erzählungen der vielleicht wichtigste Katalysator dafür, dass es mit dem „Alphabet des Juda Liva“ überhaupt etwas wurde.
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10. März 2007Nur zwei Wege
stehn dem verzweifelt Liebenden offen:
der Weg deiner Augen, der mir den Frieden nimmt,
und der deines Herzens,
der ihn gewährt. Ich aber suche ein Wort,
das in dich eindringt.
Pablo Antonio Cuadra
Übertragung: Uwe Grüning
••• Was eine Nahoa-Urne ist? Ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung. Aber „ein Wort, das in dich eindringt“, danach suche auch ich, nach wie vor, immer wieder.
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9. März 2007
Ein Verharren will ich, das uns alle eint.
Ein Verharren der Arme, Beine, Haare,
ein Verharren, das aus jedem Körper ersteht.
Ein Verharren will ich
der Arbeiter, der Tauben
Chauffeure, Blumen
Techniker, Kinder
Ärzte, Frauen
Ein allgemeines Verharren will ich,
das selbst die Liebe erfaßt.
Ein Verharren, das alles reglos macht,
die Uhr, die Fabriken
das Beet, die Schulen
den Bus, die Krankenhäuser
die Landstraße, die Häfen
Ein Verharren der Augen, Hände, Küsse
Ein Verharren, das Atmen verbietet,
ein Verharren, das Stille hervorbringt,
ein Verhadamit wir die Schritte
ein Verhades Tyrannen hören, wenn er davongeht.
Gioconda Belli
Übertragung: Christel Dobenecker
••• Auch das also ist Gioconda Belli. Ihre Leidenschaft ist nicht nur der erotischen Poesie vorbehalten…
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8. März 2007
Am Morgen
erwache ich wie eine Gazelle
freudig im Busch
freudig und warte auf dich.
Am Mittag,
vergraben zwischen Blumen,
male ich deinen Namen
in den Bauch der Flüsse.
In der Dämmerung,
bebend vor Liebe, ducke ich mich
und warte darauf,
daß du kommst in der Nacht,
daß du kommst und dich niederläßt
wie ein Vogel auf mir
und deinen Körper
über mir schwingst
wie eine Fahne.
Gioconda Belli, aus: „Zauber gegen die Kälte“
© Peter Hammer Verlag 1992
••• Als wäre es eine Antwort auf das Gedicht von gestern…
Unter den Autoren in der erwähnten Anthologie ist eine Dichterin, die auch in Deutschland zu grösserer Bekanntheit gekommen ist: Gioconda Belli. Liebesgedichte mit erotischem Touch, das ist das Label, das ihr anhaftet. Mir ist das, um ehrlich zu sein, ein wenig zuviel von Schenkeln, Fruchtfleisch und Lilienknospen geredet. Doch nicht überall – wie zum Beispiel hier, in diesem Gedicht.
Weniger bekannt dürfte sein, mit welcher Kraft Gioconda Belli zur Zeit vor und während der Revolution in Nicaragua gegen den Diktator Somoza angeschrieben hat. Morgen gibt es eine Kostprobe davon.
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7. März 2007
Ich erstieg einen Hügel
beim Aufgang des Mondes.
Sie schwor, sie nehme
den südlichen Pfad.
Ein dunkler Sperber erhob sich,
den gewundenen Weg
zwischen den Fängen.
Pablo Antonio Cuadra
Übertragung: Uwe Grüning
••• Laut Wikipedia gibt es in Amerika gar keine Sperber. Wenn schon.
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6. März 2007
„Ich fürchte, des Kolibris Flügel zu zeichnen,
damit mein Griffel
seiner kleinen Freiheit nicht schade.“
seiner kleinen Freiheit nicht schade.“Eingedenk sei
der Lehre des Meisters der Mächtige,
wenn er Gesetze ersinnt für die Schwachen.
wenn er Gesetze ersinnt für die Schwachen.Es lausche
diesem Spruch des Töpfers das Mädchen,
wenn meine Lippen sich nähern.
Pablo Antonio Cuadra
Übertragung: Uwe Grüning
••• Die Gedichte der kommenden Tage stammen alle aus einer Anthologie des Verlages Philipp Reclam jr. Leipzig, die 1981 anlässlich des 2. Jahrestages der sandinistischen Revolution erschienen und nicht mehr erhältlich ist. Die Gedichte wurden nach Interlinearübersetzungen von Helga Bergmann, Christel Dobenecker und Kristina Hering u. a. von Uwe Grüning, Heinz Czechowski, Uwe Kolbe und Hubert Witt nachgedichtet.
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6. März 2007Das gigantische Werk von Gabriel Garcia Márquez (sämtliche Titel sind in deutscher Übersetzung bei Kiepenheuer und Witsch erschienen) lässt sich kaum treffender charakterisieren als mit den Worten Heinrich Bölls: „Er ist eine einmalige Erscheinung, weil bei ihm das, was wir Engagement nennen, mit dem, was wir Poesie nennen, vollkommen übereinstimmt.“
••• Herzlichen Glückwunsch an Gabriel Garcia Márquez zum 80. Geburtstag!
Ich bin ja, was Geburtstage angeht, sehr unverlässlich. Aber Hilbi hat dran gedacht. Natürlich wird von Márquez hier noch die Rede sein. Heute noch nicht, aber bald…
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