10. Mai 2007
••• Statt nach vorn schauen die Turmsegler heute nur zurück? Keine Spur von Rückwärtsgewandtheit! Dennoch: Die Musik spielt heute im Beitrag vom 6. Mai: „Absurditäten des Literaturbetriebs“. Die Debatte ist in vollem Gange. Lesen, mitreden… Es lohnt sich.
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10. Mai 2007
Ein Gastbeitrag von Markus A. Hediger
zu „Spiegel und Maske“ von Jorge Luis Borges
••• Als Urlaut, der alles in sich enthält: So stelle ich mir die Sprache Gottes beispielsweise vor. Und so die Schöpfungsgeschichte: als Urlaut, der sich in winzigen Abweichungen seiner Urform zu artikulieren beginnt und so die Welten mit allem, was in und auf ihnen ist, hervorbringt. Die Verse 1-27 des ersten Kapitels des Buches Genesis gehören für mich zu den schönsten Texten überhaupt. Es ist eine einfach erzählte Geschichte aber in ihrer Einfachheit umso verstörender. Viele Nächte lang bin ich wach gelegen und habe über der Frage gebrütet, wie eine Sprache, die in der Lage ist, unser Universum hervorzubringen, beschaffen sein muss. Gott sprach und es wurde. Das ist ungeheuer.
Jorge Luis Borges, der in einigen seiner Erzählungen sehr feinfühlig dem Unerklärlichen (oder den Ungereimtheiten) in der Bibel nachgespürt hat, kann das Skandalon der göttlichen Sprache nicht entgangen sein. Aber Borges kannte die Grenzen des menschlichen Herzens und Geistes. Er wusste, dass die Sprache, die dem Menschen gegeben ist, nicht die Macht hat, tote Materie so zu ordnen, dass Leben in sie kommt. Menschliche Sprache bewegt den Geist und das Herz, nicht tote Materie. Im besten, wiewohl unmöglichen Fall bildet sie Vergangenes 1:1 ab.
Unmöglich?
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Tags: Jorge Luis Borges • Markus A. Hediger • Gastbeiträge • Prosa
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9. Mai 2007
••• Ich freue mich sehr, für morgen den ersten Turmsegler-Gastbeitrag von Markus A. Hediger ankündigen zu dürfen.
„Niemand begegnet ungestraft dem Phantastischen“ – unter diesem Motto hat Markus ein Terzett von Beiträgen ausgelobt zu den Folgen einer Begegnung mit dem Phantastischen in den Erzählungen von Jorge Luis Borges. Der Blickwinkel, unter dem Markus die Borges-Erzählungen betrachtet, wird manchen verblüffen. Da bin ich mir sicher.
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9. Mai 2007
••• Alexander Nicolai verkündet angesichts der heutigen Netzliteratur die literarische Revolte, ja er meint sogar, sie sei bereits in vollem Gange. Das wäre schön, wenn es denn so wäre. Leider fürchte ich, dass hier ein Irrtum vorliegt. Anstelle der Revolte beobachte ich nur ein Ausweichen in ein anderes Medium. Die Literatur im Netz revoltiert nicht. Sie ist im Exil.
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8. Mai 2007
Vielleicht würd ich es ihr sogar gestatten
Zu andern Männern sich nach Lust zu legen
Warum nicht etwas Freiheit? Meinetwegen!
Wenn jeder Griff der Fünfminutengatten
Sie nur nicht gleich so sehr verändern würde!
Selbst wenn es gar nicht so besonders glückte
Wenn ihr nur einer mal am Hintern rückte
Spielt sie bestimmt fortan doch die Verführte
Und sehr Geheimnisvolle! Die verschlagen
Den Besserwisser jetzt hereingelegt hat
Da der nicht weiß, und wehe, wenn er’s wüßte!
Daß sie den Hintern damals doch bewegt hat!
Wenn auch nur gegen Ende sozusagen …
Und so entsteht ein Riß, der nicht entstehen müßte.
Bertolt Brecht (1927)
••• Dass ich mich für Sonette von der ersten Begegnung mit ihnen an so sehr begeistern konnte, verdanke ich Brecht. Er schert sich nicht um die Vorgabe der thematischen Aufteilung innerhalb des Sonetts. Und er wagt immer wieder Experimente mit erstaunlicher Wirkung. Wer sagt denn, im Sonett müssten die Sätze oder Nebensätze mit der Zeile enden? Indem er die Sätze um die Zeilenenden und damit auch um die Reime quasi herumfliessen lässt, verschwindet das Getragene, das im Sonett so leicht zum Stolzieren gerät. Nahezu prosaisch klingt Brecht hier – und das inmitten einer strengen Form.
Dem Fluss des Gesagten zum Opfer gefallen ist auch das Reimschema der Terzette. Und doch – spätestens wenn man das Gedicht laut liest, wird klar, dass hier jedes Wort am rechten Platz ist.
Das nenne ich meisterhaften Umgang mit einer strengen klassischen Form! Sie ist da und und wirkt, doch aus dem Hintergrund. Nicht die Spur von Selbstzweck, sondern ganz Mittel zum Zweck.
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8. Mai 2007
Am konservativsten in der Kunst sind die ehemaligen Umstürzler. Und umgekehrt.
Valentin Katajew
••• Ich liebe Manifeste. Notwendig absolut im Postulieren des Wahren, vereinfachen sie das Komplexe auf so wohltuende Weise. Wohltuend, weil wir glauben dürfen, dass es doch handhabbar sei.
Ich kann Manifeste nicht leiden. Notwendig absolut im Postulieren des Wahren, vereinfachen sie das Komplexe auf unerträgliche Weise, um uns glauben zu machen, dass es handhabbar sei. Alles ganz klar. Und alles ganz einfach.
Wenn nur endlich ein Schuss fiele!
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7. Mai 2007
••• Erneut stellt Michael Perkampus in seinem Podcast Pod-z-Blitz seine Qualitäten als Gesprächsgastgeber unter Beweis. Dieses Mal sind die Autoren Markus A. Hediger und Alexander Nicolai bei ihm zu Gast. Hediger spricht über seine Übersiedlungspläne nach Brasilien, und so ganz nebenbei entspinnt sich zwischen Perkampus und Hediger eine hochinteressante Diskussion um die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Romanschreibens und die – vermutete oder tatsächliche – Natur literarischer Weblogs.
Im Anschluss spricht Alexander Nicolai über einen der wenigen „magischen Autoren“ der deutschen Romanliteratur: Gustav Meyrinck („Der Golem“). Die Vorstellung vom selbstmordgefährdeten Dandy Meyrinck, der im ersten je in Prag gesichteten Sportcoupé über den Wenzel heizt, um die Bürger zu verschrecken, wird mich durch den Tag begleiten, wenn nicht länger.
Der Perkampus-Podcast entwickelt sich von Folge zu Folge in erfreulichster Weise. So freut es mich sehr, dass ab Juni Sendungen in dichterer Folge mit festem redaktionellen Konzept geplant sind.
Für literarisch Interessierte gilt heute: Hingehen, anhören – Pod-z-Blitz!
Tags: Alexander Nicolai • Markus A. Hediger • Michael Perkampus • Ausser der Reihe
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