Lulu, 2. Versuch
12. Juli 2007••• Heute kam nach verlängerter Wartezeit – die Zöllner waren neugierig! – die Lieferung mit dem zweiten Lulu-Versuch per UPS.
••• Heute kam nach verlängerter Wartezeit – die Zöllner waren neugierig! – die Lieferung mit dem zweiten Lulu-Versuch per UPS.
••• Auf den letzten Seiten des Talmud-Traktats Brachot findet sich eine längere Diskussion über die Bedeutung von Träumen und deren Potential, Einfluss auf unser Leben zu nehmen. „Ein ungedeuteter Traum“, heisst es dort „ist wie ein ungeöffneter Brief.“
Diesen Satz habe ich – wohl willentlich – lange Zeit gründlich missverstanden. Deuten müsse man die Träume also, sonst käme ja die Botschaft nicht an. Aber weit gefehlt! Folgt man der Diskussion auf diesen Talmudseiten, wird deutlich, dass etwas ganz anderes gemeint ist: Nur dann hat ein Traum das Potential, Einfluss auf unser Leben zu nehmen, wenn er gedeutet wird. Und die Bedeutung ist jene, die der Deuter ihm gibt. Einmal ausgesprochen jedoch, ist der Einfluss nicht mehr zu verhindern, die Bedeutung nicht mehr zu verbiegen. So müsse man vorsichtig sein, welchen „Brief“ man öffnet und welchen besser nicht.
I
Ich trete in die dunkelblaue Stunde –
da ist der Flur, die Kette schließt sich zu
und nun im Raum ein Rot auf einem Munde
und eine Schale später Rosen – Du!
Wir wissen beide, jene Worte,
die jeder oft zu anderen sprach und trug,
sind zwischen uns wie nichts und fehl am Orte:
dies ist das Ganze und der letzte Zug.
Das Schweigende ist so weit fortgeschritten
und füllt den Raum und denkt sich selber zu
die Stunde – nichts gehofft und nichts gelitten –
mit ihrer Schale später Rosen – Du.
II
Dein Haupt verfließt, ist weiß und will sich hüten,
indessen sammelt sich auf deinem Mund
die ganze Lust, der Purpur und die Blüten
aus deinem angestammten Ahnengrund.
Du bist so weiß, man denkt, du wirst zerfallen
vor lauter Schnee, vor lauter Blütenlos,
totweiße Rosen, Glied für Glied – Korallen
nur auf den Lippen, schwer und wundengroß.
Du bist so weich, du gibst von etwas Kunde,
von einem Glück aus Sinken und Gefahr
in einer blauen, dunkelblauen Stunde
und wenn sie ging, weiß keiner, ob sie war.
III
Ich frage dich, du bist doch eines andern,
was trägst du mir die späten Rosen zu?
Du sagst, die Träume gehn, die Stunden wandern,
was ist das alles: er und ich und du?
«Was sich erhebt, das will auch wieder enden,
was sich erlebt – wer weiß denn das genau,
die Kette schließt, man schweigt in diesen Wänden
und dort die Weite, hoch und dunkelblau.»
Gottfried Benn (1950)
••• Dieses Gedicht von Gottfried Benn kannte ich noch nicht und stiess nur darauf, weil jemand via Google „benn blaue stunde“ suchte und bei meiner „blauen stunde“ landete. Beinahe beängstigend, es kommt mir vor wie ein Dialog – bis ins Motivische hinein, wobei man nicht weiss, wer eröffnet, wer geantwortet hat…
Dies ist eine Probe aus dem schönen Buche „Anna Blume“ von Kurt Schwitters. Es ist in allen Buchhandlungen vorrätig. Jeder Gebildete sollte es besitzen. Mk. 4.80
••• So plakatiert an einer Litfaßsäule in Hannover. Eine Weile her ist das freilich schon. Man stelle sich das heute als Werbespot im Fernsehen vor.
Nun, wahrhaftig, nimmer verhehl ich es:
der Zustand hat etwas Unausstehliches!
Mein ganzes Wesen – vom Ingrimm zerfressen.
Ich mopse mich so, wie es wenige treffen;
wie ein Hund auf den Glatzkopf-Vollmond, besessen –
möcht ich hingehn,
die Welt anheulen, kläffen…
Sicher – die Nerven, gehn mir an die Nieren…
Will bißchen ausgehn,
umherspazieren.
Doch ach, keine Spur, daß die Straße mich entspannte.
Ruft irgendeine Dame rüber „Gutenabend“,
muß ich erwidern.
Sie ist eine Bekannte.
Ich wills.
Ich fühls.
Und kann nicht menschlich mich gehaben.
Was soll das? unerhört!
schlaf ich? bin ich geistesgestört?
Ich betaste mich rings,
meine Brust, jede Rippe.
Kinn und Nase – am gewohnten Sitz.
Da berühr ich den Mund –
und –
über der Lippe
ragen mir Eckzähne spitz!
Rasch bedeck ich die Schnauze,
wie wenn ich mich schneuze.
Potzblitz!
Hals über Kopf nach Hause,
statt eines Schritts
mache
ich zwei.
Vorsichtig im Bogen um die Sicherheitswache –
gellt ein Schrei: „Polizei! –
ein Schweif!“
Ich lang nach hinten – und glatt
bin ich platt!
denn was sind alle Reißzähne im Vergleich dagegen!
Bei meiner Galoppflucht entging mir ganz
mein unterm Rockschoß
verlängerter Steißbeinsegen,
mein hintenauf geringelter,
gar nicht kleiner, sehr gemeiner
Hundeschwanz!
Was nun weiter?
Jemand schrie, worauf ein Hauf sich sammelte;
schnell war ein Auflauf zusammengehäufelt,
ein Mütterchen erdrückt –
sich bekreuzigend stammelte,
kreischte etwas von einem geschwänzten Teufel.
Als dann borstensträubend,
im Begriff, zu vertieren,
die Menge mich anfiel,
bös, riesenhaft, grau –
da stand ich mit einemmal
auf allen vieren
und bellte regelrecht:
„wau! wau! wau!“
Wladimir Majakowski (1915)
••• Eigentlich hätte ich – der Vollständigkeit des Panoramas wegen – doch auch einen Revolutionsmarsch von Majakowski bringen sollen. Den „Linken Marsch“ etwa, den wir in der Schule rezitieren mussten (und gern rezitierten). Aber das bringe ich nicht über mich. In der Begeisterung für die Revolution, das Neue, das Andere, fletscht doch die Blutrünstigkeit ihre Zähne. Wenn von Revolutionen die Rede ist, riecht es auch nach Mord.
Über unbekannter Meere Uferzargen
spaziert die Mondfrau –
meine Frau.
Meine Geliebte, sie, die Rothaarfüchsin.
Der Equipage
folgt schreiend der Gestirne Schar, die wunderbar
geschmückt ist.
Sie läßt sich trauen von der Autogarage,
sie küßt sich flüchtig mit den Zeitungskiosken,
der Schleppe Milchstraße ist vom blinzelnden Pagen
verziert mit blitzenden Flitterbroschen.
Und ich?
Es brachte dem Gebrannten doch das Joch der Brauen
aus Augenbrunnen eiskalte Eimer.
In Seeseiden hingst du, in schäumenden Auen,
deine Hüften sangen, Bernsteingeigen?
Ins Gebiet der Dächerbosheit
wirfst du nicht deine flimmernden Sehnen.
In den Boulevards versinke ich, von der Schwermut der Sande umweht:
es ist doch deine Tochter –
mein Lied
im Netzstrumpf
neben den Cafés!
Wladimir Majakowski (1913)
••• Code Message: Die neue Farbe passt gut zu den Bernsteingeigen. Beim „blinzelnden Pagen“ fiel mir natürlich obiger Page ein. Und bei den letzten Zeilen fühlte ich mich ganz in diese Szene versetzt.
Seeflotten – auch sie streben heim zum Pier.
Der Eisenbahnzug eilt dem Bahnhof entgegen.
Nun, um so mehr zieht es mich zu dir
(ich liebe ja!) -.
du mein Magnet und mein Segen.
Bei Puschkin: der geizige Ritter –
steigt die Kellertreppe hernieder,
um drunten lüstern im Golde zu wühlen.
So kehr auch ich, Freundin,
zu dir immer wieder.
Gern mustre ichs wie ein Zuhause:
dies Herz – es ist mein.
Ihr kehrt fröhlich heim,
gönnt euch eine Pause.
Schmutz schabt ihr vom Leibe,
rasiert und wascht euch tagein – tagaus.
So kehr auch ich
geläutert zu dir wieder, –
und bin ich, zu dir gehend,
nicht auf dem Heimweg, nach Haus?!
Die Irdischen empfängt der Erdenschoß,
wir kehren zurück zum zielhaften End.
So kehr auch ich
zu dir heim, du mein Los,
unausweichlich, wir haben uns kaum getrennt,
kaum ließen die Augen einander los.
Wladimir Majakowski (1922)
••• Schändlich! Da schreibe ich über Katajew und Majakowski; und kein einziges Gedicht bringe ich hinterdrein. Das lag zunächst daran, dass seine Verstreppen im Web nahezu unsetzbar sind. Aber es gibt, zumal aus den 1920er Jahren, ja auch Gedichte von ihm, in denen er die Verse noch weniger raumgreifend gestaltet. (Die Legende behauptet ja, dieser ausgreifende Stil wäre finanziell motiviert gewesen. So passten auf den gleichen Platz – einer Zeitungsseite etwa – weniger Gedichte, und es wurde nach Seiten bezahlt…)
Seeflotten – auch sie streben heim zum Pier.
Ein wenig fühlte ich mich an „Die Anker lichten“ erinnert…