Das Gottesspiel

23. Juli 2007

Über Kleinanzeigen sucht und findet ein namenloser Schriftsteller Menschen, die lebensüberdrüssig sind. Er hört sich gegen gutes Honorar ihre Geschichte an, er spricht mit ihnen und gibt ihnen Empfehlungen für ihren Freitod, den er persönlich begleitet. Als Clou verspricht er den Kandidaten, sie als Romangestalt wieder auferstehen zu lassen, wenn sie ihn denn faszinieren. Dies ist Gegenstand des in Südkorea als Skandal gefeierten Romans »Das Gottesspiel«, der jetzt in deutscher Sprache vorgelegt wurde.

••• Das hört sich nach einem interessanten Plot an. Hat einer der geschätzten Turmsegler „Das Gottesspiel“ des Koreaners Kim Young-ha gelesen? Mit Sardanapal — freilich in ganz anderer Interpretation des Bildes von Delacroix als Herr p.- — identifiziere sich der Anti-Held dieses Romans. Via Sardanapal bin ich auch auf die Besprechung bei „Readers Edition“ gestossen. Noch reicht der Teaser nicht, um ein HEYNE-Buch zu bestellen.

Ich bin ja so vorurteilsbeladen…

Die Brücken

23. Juli 2007


Bridges 2 – © Casey Toussaint 2007

Des ciels gris de cristal. Un bizarre dessin de ponts, ceux-ci droits,
ceux-là bombés, d’autres descendant ou obliquant en angles sur
les premiers, et ces figures se renouvelant dans les autres circuits éclairés
du canal, mais tous tellement longs et légers que les rives, chargées
de dômes s’abaissent et s’amoindrissent. Quelques uns de ces ponts sont
encore chargés de masures. D’autres soutiennent des mâts, des signaux,
de frêles parapets. Des accords mineurs se croisent, et filent, des cordes
montent des berges. On distingue une veste rouge, peut-être d’autres
costumes et des instruments de musique. Sont-ce des airs populaires, des
bouts de concerts seigneuriaux, des restants d’hymnes publics ? L’eau est
grise et bleue, large comme un bras de mer. – Un rayon blanc, tombant
du haut du ciel, anéantit cette comédie.

Der Himmel kristallines Grau. Ein seltsames Muster von Brücken, die einen gerade, die andern gewölbt, weitere steigen in schiefem Winkel auf die ersteren hinab, und diese Figurationen wiederholen sich in den anderen Umflutgräben, die hell leuchten, doch dermaßen langgestreckt und leicht sind, dass die kuppelbeladenen Ufer absacken und schwinden. Auf einigen dieser Brücken lasten noch Gemäuer. Andere werden von Masten, Signalen und zierlichen Geländern versteift. Mollakkorde kreuzen sich, und ziehen Fäden; Saiten erklimmen die Steilufer. Man erkennt ein rotes Jackett, womöglich auch andere Kleidung, und Musikinstrumente. Sind’s Volkslieder, Stücke aus herrschaftlichen Konzerten, Überreste von Staatshymnen? Das Wasser ist grau und blau, so breit wie ein Meeresarm.– Ein weißer Strahl, der hoch vom Himmel herniederfährt, löscht diese Komödie aus.

Arthur Rimbaud (1854 – 1891)

••• Meine Herzdame hat sich viel Mühe gemacht, um für die spa_tien-Sonderausgabe „Was sind literarische Weblogs?“, die im kommenden Januar als Buch erscheinen soll, interessante Illustrationen zu finden. Sie hat nicht nur im Namen der Herausgeber einen Wettbewerb im Web gestartet, sondern für die Präsentation der Einsendungen eigens ein Blog eingerichtet.

Casey Toussaint hatte zunächst wundervolle farbige Zeichnungen zu Arthur Rimbauds Gedicht „Brücken“ eingesandt. Als ihr bewusst wurde, dass wir Graustufen-Illustrationen benötigen, hat sie sich nochmals hingesetzt und die Serie um sieben weitere Zeichnungen erweitert. Caseys Blog(s) sei(en) Kunstinteressierten wärmstens empfohlen.

Einen lieben Dank an Casey für ihre Einsendung.

Eleni Karaindrou

22. Juli 2007

Eleni Karaindrou - © Pepi Loulakaki / ECM Records
Eleni Karaindrou – © Pepi Loulakaki / ECM Records

••• Vielen Dank an nirmāna-cittāny für diesen Tip. Bislang kannte ich nur den Soundtrack zu Ulysses Gaze. Eine traumhafte Musik. Wunderbar, nun hier in andere Werke von ihr hineinhören zu können.

Gefrässiges Lumpenpack

22. Juli 2007

Cuculus canorus
Cuculus canorus, vulgo: Kuckuck

••• Dass ich nun diesem gefrässigen Betrüger noch begegnen muss, hätte ich nicht gedacht. Es ist immer wieder erstaunlich und erschreckend, mit welcher Nonchalance in diesem Land Maschinen über Menschen entscheiden. Nun gilt es erst einmal, die schamlosen Begehrlichkeiten des Staates in halbwegs verträgliche Bahnen zu lenken. Dann kann es weitergehen mit der Literatur.

Allzu laute Einsamkeit

20. Juli 2007

Bohumil HrabalFünfunddreißig Jahre arbeite ich in Altpapier, und das ist meine love story. Fünfunddreißig Jahre presse ich Altpapier und Bücher, fünfunddreißig Jahre beschmutze ich mich mit Lettern und bin fast schon wie die Enzyklopädien, von denen ich während dieser Zeit an die dreißig Tonnen zerpreßt habe, ich bin wie ein Krug voller Lebenselixier und Gift, es genügt, daß ich mich nur ein wenig neige, und schon fließen lauter schöne Gedanken aus mir, ich bin gebildet gegen meinen Willen, und so weiß ich nicht einmal, welche Gedanken von mir sind, welche aus mir kommen und welche ich nur herausgelesen habe, und so habe ich mich in den fünfunddreißig Jahren mit mir selbst und mit der Welt ringsum verstrickt, denn wenn ich lese, so lese ich ja eigentlich gar nicht, ich picke mir nur eine schöne Sentenz heraus und lutsche daran wie an einem Bonbon, ich schlürfe daran wie an einem Gläschen Likör, bis der Gedanke in mich übergeht wie Alkohol, er sickert in mich hinein, bis er mir nicht nur im Gehirn und Herzen steckt, sondern auch noch alle meine Adern durchbraust bis ins kleinste Blutgefäß. So presse ich in einem einzigen Monat im Schnitt zwanzig Zentner Bücher, um aber Kraft zu haben für diese gottgefällige Arbeit, habe ich in den fünfunddreißig Jahren ein ganzes Fünfzigmeterbecken Bier, einen ganzen Weihnachtskarpfenteich Lagerbier trinken müssen. So bin ich gegen meinen Willen weise und stelle nun fest, mein Gehirn, das sind mechanisch gepreßte Gedanken, ganze Ideenpakete, mein kahlgebrannter Kopf ist eine Aschenputtelnuß, und ich weiß, um wieviel schöner es zu jener Zeit gewesen sein muß, als das Denken nur im Gedächtnis geschrieben stand, hätte damals einer Bücher pressen wollen, er hätte Menschenköpfe pressen müssen, aber auch das hätte nichts genützt, denn die wahren Gedanken kommen von auswärts, sind außerhalb und dann innerhalb des Menschen wie Nudeln in einem Nudeltopf, die Inquisitoren auf der ganzen Welt verbrennen die Bücher vergebens, und wenn die Bücher Gültiges enthalten, hört man sie im Feuer leise lachen, denn jedes ordentliche Buch zeigt immer woandershin und über sich selbst hinaus.

Bohumil Hrabal, aus: „Allzu laute Einsamkeit“
in: „Sanfte Barbaren“ © Suhrkamp Verlag 1987

••• Von Hrabals Erzählung schlich sich zunächst auf ganz unliterarischem Weg nur der Name des gottgefällig biertrinkenden Helden in mein Leben: Hanta.

Zu Zeiten, als Mails noch als „Persönliche Nachrichten“ via Fido- und Z-Netz-Mailboxverbünde ausgetauscht wurden, war es nahezu unmöglich, dass eine Nachricht von einem Absender in einem dieser Netze auch den Adressaten im jeweils anderen Netz erreichte. Schuld waren völlig unterschiedliche Header-Formate und Transportprotokolle. Z-Netz-Mailboxen konnten den Header von Fido-Nachrichten nicht interpretieren und umgekehrt. Diesem Missstand sollte Abhilfe geschaffen werden. Da ich als Softwareentwickler bekannt war, wurde ich von einem Z-Netz-Bekannten, der auch in Berlin wohnte, gefragt, ob ich nicht ein Fido-Z-Netz-Gateway programmieren wollte, das mit beiden Netzen zu sprechen verstünde und Nachrichten vom einen ins andere Format wandeln und ins Zielnetz leiten würde.

Das Gateway sollte Hanta heissen.


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Ziemlich autistisch

19. Juli 2007

••• Mein Asperger Syndrom Quotient (AQ): 30. Zwei Punkte mehr in diesem Test und ich läge klar im deutlich autistischen Spektrum. So gehe ich gerade noch als Geek durch. Ich hasse solche Störungen meines geregelten Tagesablaufs!

Wer klopft?

19. Juli 2007

Und dann die Freude:
zu wissen die Drohung
und doch zu dauern.

Eugène Guillevic (1907 – 1997)

Eugène Guillevic••• Das Heft 3/2007 von „Akzente“ ist eine Jubilarausgabe: Gerhard Meier (90. Geburtstag, unveröffentlichte Briefe), Oskar Pastior (es wäre der 80. gewesen, mit „Fünf Intonationen zu Les Chats von Baudelaire“), Paul Wühr (80. Geburtstag, mit einem Prosaauszug) – und Eugène Guillevic, der in diesem Jahr 100 geworden wäre. Von ihm bringt Herausgeber Michael Krüger in diesem Heft einen nachgelassenen Zyklus unter dem Titel „Wer klopft?“

Die Gedichte von Guillevic – auch so ein Buch, das ich nie selbst besessen habe. Geliehen hat mir seine Gedichte der Komponist Lothar Voigtländer, den ich noch als Teenager in Berlin kennenlernen durfte. Das letzte Treffen mit ihm in München liegt leider schon 10 Jahre zurück, aber die Erinnerung an sein Studio, seine „klassischen“ und elektroakustischen Kompositionen und natürlich die Gespräche über Dichtung sind mir noch sehr gegenwärtig, insbesondere jene über Guillevic, den er wiederholt vertont hat.

Guillevic ist so etwa der Gegenpol des magischen Realismus. Die Surrealisten blieben ihm fremd, ein merkwürdiges „Pariser Phänomen“. Seine Dichtung ist unartifiziell, schlicht, doch immer tief und nachsinnend.

Wer klopft? fragt Guillevic in diesem Spätwerk und antwortet im Motto des Zyklus mit einem eigenen früheren Vers:

Man klopft.
Man wird immerzu
An die Wände der Höhle klopfen.