12. August 2007
Bed in the hospital – © bluecode72@deviantart
Der Mann:
Hier diese Reihe sind zerfallene Schöße
und diese Reihe ist zerfallene Brust.
Bett stinkt bei Bett. Die Schwestern wechseln stündlich.
Komm, hebe ruhig diese Decke auf.
Sieh, dieser Klumpen Fett und faule Säfte,
das war einst irgendeinem Mann groß
und hieß auch Rausch und Heimat.
Komm, sieh auf diese Narbe an der Brust.
Fühlst du den Rosenkranz von weichen Knoten?
Fühl ruhig hin. Das Fleisch ist weich und schmerzt nicht.
Hier diese blutet wie aus dreißig Leibern.
Kein Mensch hat soviel Blut.
Hier dieser schnitt man
erst noch ein Kind aus dem verkrebsten Schoß.
Man läßt sie schlafen. Tag und Nacht. – Den Neuen
sagt man: hier schläft man sich gesund. – Nur sonntags
für den Besuch läßt man sie etwas wacher.
Nahrung wird wenig noch verzehrt. Die Rücken
sind wund. Du siehst die Fliegen. Manchmal
wäscht sie die Schwester. Wie man Bänke wäscht.
Hier schwillt der Acker schon um jedes Bett.
Fleisch ebnet sich zu Land. Glut gibt sich fort,
Saft schickt sich an zu rinnen. Erde ruft.
Gottfried Benn, aus: „Morgue“
••• Beim Lesen der „Traumkraut“-Gedichte von Goll fiel mir unmittelbar der Gang durch die Krebsbaracke ein, sicher eines der bekanntesten Benn-Gedichte aus seinem frühen Werk.
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11. August 2007
Paul Celan
das gedicht kann, da es ja eine erscheinungsform der sprache und damit seinem wesen nach dialogisch ist, eine flaschenpost sein, aufgegeben in dem – gewiß nicht immer hoffnungsstarken – glauben, sie könnte irgendwo und irgendwann an land gespült werden, an herzland vielleicht. gedichte sind auch in dieser weise unterwegs: sie halten auf etwas zu.
Paul Celan
[via: nirmana-cittany]
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10. August 2007
In den Hochöfen des Schmerzes
Welches Erz wird da geschmolzen
Die Eiterknechte
Die Fieberschwestern
Wissen es nicht
Tagschicht
Nachtschicht allen Fleisches
Blühn die Wunden und die Feuer
Wild in den Salpetergärten
Und den heißen Rosenäckern
Asphodelen meiner Angst
An den Abhängen der Nacht
Ach was braut der Herr der Erze
In den Herzen? Den Schrei
Den Menschenschrei aus dunklem Leib
Der wie ein geweihter Dolch
Unsre Totensonne schlitzt
Yvan Goll, aus:
„Traumkraut“ (1941-1949)
••• Nach dem „Traumkraut“-Vorwort nun heute auch ein Gedicht aus dem Zyklus, der in meiner Goll-Ausgabe nur in Auszügen abgedruckt ist.
Ausgerechnet dieses Gedicht hat der Herausgeber dabei ausgespart. Im Nachwort hingegen bringt er es und bemerkt – mit sehr dezentem Naserümpfen – den Reichtum an Genitiv-Metaphern. Das, so habe auch ich es gelernt, gilt ja als poetische Kardinalsünde.
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Tags: Yvan Goll • Lyrik
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9. August 2007
Für viele Frauen oder auch so manchen Mann ist die beste Freundin der wichtigste Mensch im Leben, kann man doch nur ihr seine intimsten Geheimnisse und Gefühle enthüllen und herrlich alle Besonderheiten der männlichen Individuen ausdiskutieren. Also was liegt näher, als dieser Person, die einem in allen Lebenslagen zur Seite steht, einmal Dankeschön zu sagen. Da die beste Freundin etwas ganz Besonderes ist, sollte auch dieses Geschenk etwas ganz Besonderes und Persönliches sein… und welche Geschenkidee ist dazu besser geeignet, als ein selbst verfasstes Gedicht für eben diese beste Freundin?
••• „Wie Sie ein Gedicht für eine beste Freundin schreiben…“ Entschuldigung, aber ich konnte nicht widerstehen. Wie das so ist mit Gedichten? Wie man das macht? Die ganze Wahrheit findet man » hier.
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9. August 2007
Katsushika Hokusai: The Mad Poet
••• Nachdem Yvan Goll zwanzig Jahre Französisch und Englisch gesprochen und geschrieben hatte, kehrte er kurz vor seinem Leukämietod zum Deutschen zurück. Sein letzter Zyklus „Traumkraut“, der erst postum erschien, thematisiert den Schmerz, den Verfall und die Todesnähe. Und er schrieb ihn – in seiner „Muttersprache“.
Einige Sätze, rekonstruiert aus dem kurzen , verlorengegangenen oder von Yvan Goll zerrissenen Vorwort zu „Traumkraut“ , das er, zusammen mit den Gedichten, 16 Tage vor seinem Tod, Alfred Döblin und dessen Frau, Marcel Mihalovici und mir, die an seinem Krankenbett im Amerikanischen Hospital in Paris saßen, vorlas.
Claire Goll
Jetzt, dem Tode nahe, glaube ich in den Gedichten des „Traumkraut“ zum erstenmal dem Geheimnis des Wortes nahegekommen zu sein.
Es ergeht mir wie dem Meister des japanischen Farbholzschnitts, Katsushika Hokusai, der, neunzigjährig, auf seinem Sterbebette seufzte: „Wären mir nur noch zehn, ja nur noch fünf Lebensjahre vergönnt, dann würde ich ein vollkommener Künstler werden!“
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Tags: Claire Goll • Katsushika Hokusai • Yvan Goll • Lyrik
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8. August 2007
Katsushika Hokusai: Mt Fuji and Roots
••• Diese Bilder haben etwas mit Yvan Goll zu tun. Was? Morgen mehr…
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Tags: Katsushika Hokusai • Yvan Goll • Ausser der Reihe
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8. August 2007
in the metro – © lorseau@deviantart
für Claire
Einmal geht der Engel
Auch ganz nah an dir vorbei.
Es ist ein regnerischer Montag
Du fühlst dich älter als die Welt
Die Stiefel schlecht geputzt
Das Herz gänzlich verrostet
Aber deines Schicksals Engel geht vorbei
Dich mit Güte überschwemmend
Und einem rosa Lächeln
Halt ihn fest!
Dreh dich um!
Bevor er nur noch dem Winde gleicht.
Yvan Goll, aus: „Métro de la Mort“ (1934)
Deutsche Nachdichtung: Claire Goll
••• Unter den nach dem Umzug wiederentdeckten Büchern war auch ein dicker Reclam-Band mit einem Querschnitt durch das lyrische und Prosawerk von Yvan Goll. Gestern habe ich ihn zur Hand genommen, vielleicht weil der Titel „Gefangen im Kreise“ sehr gut zu meiner momentanen Verfassung passt.
Und schon nach einigem Blättern stosse ich auf eine Zeile, die ich für eine eigene gehalten, aber offenbar im „Libellenflügel“ doch zitiert hatte: „Einmal geht der Engel / Auch ganz nah an dir vorbei.“
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Tags: Claire Goll • Engel • Yvan Goll • Lyrik
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