Mendel Eisik

19. August 2007

Mendel Eisik ben Nechemia ha-Kohen Mentlik sel. A. (1920-2007)••• „Ya’amot – es trete heran: Mendel Eisik ben Nechemia ha-Kohen!“

Wie oft haben wir diese Worte gehört. Heute morgen rief der Ewige einen engen Vertrauten zu seinem letzten Aufstieg. Und wir müssen Abschied nehmen von einem unserer Ältesten, der höchstes Ansehen genoss quer durch die Generationen, Herkünfte und Traditionshintergründe der Beter in unserer Synagoge.

Mendel Eisik ben Nechemia ha-Kohen – sein Andenken sei zum Segen – gehörte zu jenen aus Polen stammenden Yehudim, die nach Lager-Odyssee und Aufenthalt im Displaced Persons Camp sich den Lebensmut und die Lebensfreude nicht hatten nehmen lassen. Die festhielten an den Traditionen ihrer Väter und hier in München eine neue jüdische Gemeinde, ein neues jüdisches Leben aufbauten und über Jahrzehnte bewahrten.


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Volver

19. August 2007

Penelope Cruz in: „Volver“ (Gesang: Estrella Morente)

Ich fürchte mich vor der Begegnung
mit der Vergangenheit,
die mich einholt.
Ich fürchte mich vor den Nächten
voller Erinnerungen,
die meine Träume anketten.
Doch der Reisende, der flüchtet,
hält früher oder später inne.
Und obwohl das Vergessen,
das alles zerstört,
meine alte Illusion
schon getötet hat,
bewahre ich insgeheim
demütig die Hoffnung,
die das ganze Vermögen
meines Herzens ist.
Zurückkehren
mit verwelkter Stirn.
Der Schnee der Zeit
hat meine Schläfen ergrauen lassen.
Fühlen, dass das Leben
nur ein Hauch ist,
dass zwanzig Jahre nichts sind,
dass der fiebrige Blick,
im Schatten irrend,
dich sucht und beim Namen nennt.
Leben mit der Seele, die sich
an eine süsse Erinnerung klammert,
die mich noch heute
zum Weinen bringt.

Carlos Gardel & Alfredo La Pera
„Raimundas Lied“, aus: „Volver“
Ein Film von Pedro Almodóvar

••• Eine Erinnerung daran, dass die Poesie aus dem Schoss des Liedes kommt…


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Es saßen drei Engel beisammen

17. August 2007

feathers - © 2004-2007 by *Astrocat@deviantart
feathers – © 2004-2007 by *Astrocat@deviantart

Es saßen drei Engel beisammen.

Der eine war voll Blut,
der zweite ungeboren,
der dritte gut:

Der mischte die Karten.
Lange, leidgeschoren
ließ er die anderen warten

und reichte endlich dem ersten den Stoß.
Der griff in die Kinder, die harrten,
zog einen Jungen, ließ ihn ausholend los.

So knallte das Kind auf den Tisch.
Der zweite nun zog aus dem Schoß
behutsam ein Mädchen; malerisch

legt’ er’s zu ihm. Zwar war der tot,
doch als sich berührten die Glieder,
stieg von den beiden das Morgenrot

und schien auf die Engel nieder.

© Alban Nikolai Herbst (2006)

••• Inspiriert durch die Beiträge über Engel bei Markus A. Hediger, aber auch hier und dort und dort, habe ich mich auf die Suche nach Engelsgedichten begeben.


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An die Ersehnte

16. August 2007

Gerte

Ich habe dich Gerte getauft, weil du so schlank bist
und weil mich Gott mit dir züchtigen will,
und weil eine Sehnsucht in deinem Gang ist
wie in schmächtigen Pappeln im April.

Ich kenne dich nicht – aber eines Tages
wirst du im Sturm an meine Türe klopfen,
und ich werde öffnen auf dies Klopfen,
und meine zuchtlose Brust wird gleichen Schlages
an Deine zuchtlosen Brüste klopfen.

Denn ich kenne dich – deine Augen glänzen wie Knospen
und du willst blühen, blühen, blühen!
und deine jungen Gedanken sprühen
wie gepeitschte Sträucher an Sturzbächen;
und du möchtest wie ich den Stürmen Gottes trotzen
oder zerbrechen!

Richard Dehmel (1863-1920)

••• Von der Angst vor dem Weiblichen und religiösen Reaktionen darauf war gestern die Rede. Und prompt – es gibt ja keine Zufälle – stosse ich auf ein traumhaftes Gedicht von Richard Dehmel. Wie sich das Ich hier trotzig in das antizipierte Gefürchtete hineinfallen lässt und den Schmerz in Kauf nimmt — das hat und gibt enorme Kraft.

Ulrich Janetzki liest: „An die Ersehnte“

Träges Haar

15. August 2007

A Girl With a Hat by ~borissov@deviantart
A Girl With a Hat — © by borissov@deviantart

ist der hut abgelegt
will das haar
noch lange nicht
zwanglos fallen
verloren schwebt
das medusenhaupt
durch eisige luft
und im blinden spiegel grüßen
dich müde augen und bannen
dein lachen
in stein

© Benjamin Stein (2007)

••• Die Tradition und deren männliche Hüter erwarten von der verheirateten jüdischen Frau, dass sie ihr Haar bedeckt – und zwar vollständig. Die Vorschrift beruht auf einem Nebensatz in der Torah (Bamidbar [Numeri] 4:21-7:89). Aus der Beschreibung der Sotah-Zeremonie, in deren Verlauf der Kohen im Tempel das Haar der vom Ehemann der Untreue verdächtigten Frau löste und so gewissermaßen zur Schau stellte, leitet man(n) ab, dass Haar Symbol und Gegenstand erotischer Anziehung ist und verdeckt werden müsse bei einer Frau, die anderen verboten ist.


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Das elfte Sonett

14. August 2007

Als ich dich in das fremde Land verschickte
Sucht ich dir, rechnend mit sehr kalten Wintern
Die dicksten Hosen aus für den (geliebten) Hintern
Und für die Beine Strümpfe, gut gestrickte!

Für deine Brust und für unten am Leibe
Und für den Rücken sucht ich reine Wolle
Damit sie, was ich liebe, wärmen solle
Und etwas Wärme von dir bei mir bleibe.

So zog ich diesmal dich mit Sorgfalt an
Wie ich dich manchmal auszog (viel zu selten!
Ich wünscht, ich hätt das öfter noch getan!)

Mein Anziehn sollt dir wie ein Ausziehn gelten!
Nunmehr ist, dacht ich, alles gut verwahrt
Daß es auch nicht erkalt, so aufgespart.

Bertolt Brecht (1934)

••• Die Herzdame verreist. Und ich will sie doch gut verpackt wissen, wenn sie so ohne mich in die Fremde zieht…


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Kleiner Donnerstagabend

13. August 2007

für Claire

Kleiner Donnerstagabend
Was erwartest du auf dem Platz der Waffen
Unter deinem Schal aus schottischem Schatten?
Der Wind dreht sich um deine Röcke
Der Regen kämmt dein rotes Haar
Ich möchte dir gern ein liebes Wort sagen
Damit du dich nicht so allein fühlst
Am Ufer der Nacht
Aber ich muß abreisen
Die Erde dreht sich und reißt mich mit
Dem Freitag entgegen

Yvan Goll, aus: „Métro de la Mort“ (1934)
Deutsche Nachdichtung: Claire Goll

••• Zum Abschluss der kleinen Reihe zu Yvan Goll noch ein zweites Gedicht aus „Métro de la Mort“ und ebenfalls eines für seine Frau Claire.

Der Wind dreht sich um deine Röcke
Der Regen kämmt dein rotes Haar
Ich möchte dir gern ein liebes Wort sagen

Das spricht mir heute sehr aus dem Herzen.