Stilübungen

14. November 2007

Im Autobus der Linie S, zur Hauptverkehrszeit. Ein Kerl von etwa sechsundzwanzig Jahren, weicher Hut mit Kordel anstelle des Bandes, zu langer Hals, als hätte man daran gezogen. Leute steigen aus. Der in Frage stehende Kerl ist über seinen Nachbarn erbost. Er wirft ihm vor, ihn jedesmal, wenn jemand vorbeikommt, anzurempeln. Weinerlicher Ton, der bösartig klingen soll. Als er einen leeren Platz sieht, stürzt er sich drauf.

Zwei Stunden später sehe ich ihn an der Cour de Rome, vor der Gare Saint-Lazare, wieder. Er ist mit einem Kameraden zusammen, der zu ihm sagt: „Du solltest dir noch einen Knopf an deinen Überzieher nähen lassen.“ Er zeigt ihm wo (am Ausschnitt) und warum.

••• Einen Riesendank schicke ich heute an parallalie, der mir geholfen hat, ein Buch wiederzufinden, an dessen Autor und Titel ich mich seit vielen Jahren vergeblich zu erinnern versuchte. Mir waren nur noch Bruchstücke jener banalen Begebenheit im Bus im Gedächtnis und dass der Autor Franzose gewesen war.


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Ulrike Almut Sandig online

14. November 2007

Ich befinde mich am Ende einer der Endspurtwochen vor dem Streumenbuch. Dabei habe ich meine Arbeit daran schon vor drei Monaten beendet. Ich kann aber nicht stillsitzen, wenn der Gedichtband noch nicht da ist. Danach wahrscheinlich auch nicht. Aber jetzt ist davor.

••• Ulrike Almut Sandig, von deren Gedichten hier schon zwei Mal die Rede war, ist im Warte-Endspurt. Ihr neuer Lyrikband „Streumen“ ist via amazon.de schon zu bestellen. Und ich werde ihn natürlich lesen und hier berichten.

Die Wartezeit hat Ulrike aber auch nicht tatenlos verstreichen lassen. Gerade online gegangen ist sie mit – nein leider keinem Weblog – aber doch mit einer neuen Website, auf der es auch Texte und Tonstücke von ihr zu entdecken gibt, letztere gespielt und gesungen gemeinsam mit Maren Pelny.

Also, ich würde es sehr begrüssen, wenn doch noch ein richtiges Autoren-Weblog daraus wird. Eine echte Bereicherung für die deutschsprachige Litblogosphäre wäre das allemal. Vielleicht gibt sie sich ja noch einen Ruck.

ins ohr verleibt

13. November 2007

Colorized Foot - © 2006-2007 ~Deep-to-Deep@deviantart.com
Colorized Foot – © 2006-2007 ~Deep-to-Deep@deviantart.com

••• Andrea Heuser wohnt tatsächlich in München. Der erwähnte Zyklus Haiku-ähnlicher Dreizeiler „ins ohr verleibt“ soll kommendes Jahr in ihrem neuen Lyrikband bei onomato (Düsseldorf) erscheinen. Und da Andrea gleich geantwortet und zugestimmt hat, dass ich einen Auszug aus diesem Zyklus hier im Turmsegler bringe, freue ich mich, heute sechs ihrer poetischen Wortnachforschungen präsentieren zu können.


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Er wünscht sich die Kleider des Himmels

12. November 2007

Hätt‘ ich des Himmels bestickte Kleider,
Durchwirkt mit goldnem und silbernem Licht,
Die blauen, matten und dunklen Kleider,
Der Nacht, des Tags und des halben Lichts,
Ich legte sie zu deinen Füßen aus:
Doch ich bin arm, hab nur meine Träume,
Die legte ich zu deinen Füßen aus,
Tritt sanft, du trittst ja auf meine Träume.

William Butler Yeats (1865-1939)


William Butler Yeats - Gedichte
••• Die bestellte Gesamtausgabe der Yeats-Gedichte ist eingetroffen, ein stattlicher Band mit Neuübersetzungen von Marcel Beyer, Mirko Bonné, Gerhard Falkner, Norbert Hummel und Christa Schuenke.

Die Ausgabe enthält alle Yeats-Bände in chronologischer Folge, ergänzt durch nachgelassene Gedichte. Der Anhang enthält Anmerkungen zu den Texten und Übersetzungen, hilfreiche Register, die Biographien der Übersetzer und einen Essay „Über William Butler Yeats“ von Norbert Hummelt. Bedauerlich finde ich, dass die Ausgabe nicht zweisprachig ist – dann hätten es zwei Bände werden müssen – und dass nicht ersichtlich ist, welche Gedichte von welchem Übersetzer übertragen wurden.

Als Zuckerl hier nun die Übertragung des letztens zitierten Gedichts „Tread softly“. Sie ist gelungen, wie ich finde. Und doch fehlt etwas vom Klang des Originals.

Und die letzte Zeile

Tread softly because you tread on my dreams.

hat mich stocken lassen.

Tritt sanft, denn du gehst auf meinen Träumen.

So vielleicht?

kein wort

11. November 2007

Lips - © 2005-2007 ~RyanLovelacePhoto@deviantart.com
Lips – © 2005-2007 ~RyanLovelacePhoto@deviantart.com

kein wort sagst du vor
diesem feuchten
offen pulsenden schlund
eine herbstbö stürzt dir jäh in die knochen
und peitscht als gälte es glas zu spalten
aus deiner hohen krone das laub
so viele könige ohne land
wenn die stürme sich legen taumeln
die blätter zum grund
fahl weiß papierene laken
und stopfen dem schwätzer den mund

© Benjamin Stein (2007)

••• Ich bin ein Sommerkind. Der Herbst ist nicht meine Zeit. Aber Vulkane löscht man denn doch nicht mit ein bisschen Regen und Wind.

dein luftteilchen herz

11. November 2007

Andrea Heuser••• Eine Entdeckung auf der Lesung gestern war Andrea Heuser. Geboren 1972 in Köln, studierte sie Germanistik, Politik und vergleichende Religionswissenschaften in Köln und Bonn. Sie lebt heute als Autorin und Übersetzerin in München. (Ich meinte, bei der Vorstellung gehört zu haben, sie lebe in Berlin…)

Andrea Heuser ist mit drei Gedichten in der aktuellen Ausgabe von „ausser.dem“ vertreten. Gelesen hat sie gestern jedoch aus einem Zyklus von Kurzgedichten. Inspiriert vom Haiku, hat sie sich für eine freie Form des Dreizeilers entschieden und auf die Silbenbeschränkung verzichtet. Was mir gefallen hat, waren nicht nur die Gedichte selbst, sondern auch ihre Idee für den Vortrag auf einer Lesung.


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Eine Bäckerstochter

10. November 2007

Long eared owl - © by Mark Dedrie
Long eared owl – © by Mark Dedrie

They say the owl was a baker’s daughter. We know what we are, but know not, what we may be.

William Shakespeare

••• „Sie sagen, die Eule wär eine Bäckerstochter. Wir wissen, was wir sind, doch wissen nicht, was wir sein könnten.“

Diese Zeilen stehen als Motto über einem Text in der soeben erschienenen Ausgabe 14 der in München herausgegebenen Literaturzeitschrift „ausser.dem“. In der Seidlvilla am Nikolaiplatz, nahe dem Englischen Garten, wurde die neue Ausgabe heute abend mit einer Leselounge vorgestellt. Wie üblich werde ich ein paar Tage brauchen, das Heft ganz durchzusehen, um darüber zu berichten.

In der Seidlvilla habe ich vor vielen Jahren selbst einmal gelesen, aus dem „Alphabet“. Wann ich das letzte Mal als Zuhörer auf einer Lesung war, das kann ich, um ehrlich zu sein, gar nicht sagen. Es ist lange her, sehr lange, so viel ist sicher. Dass das Vorhaben, diese Leselounge zu besuchen mit der Idee zu „Mayim Rabim“ zusammenfällt, ist wahrscheinlich kein Zufall.

Und ich glaube auch, dass es kein Zufall ist, dass mir bei dieser Gelegenheit die oben zitierten Shakespeare-Zeilen quasi vor die Füsse fallen, die als Motto auch über meinem neuen Projekt stehen könnten. Ja, wir wissen nicht, was wir sein könnten. Darüber hinaus aber behaupte ich – dem alten William widersprechend – dass wir nicht einmal wissen, was wir sind. Wir haben – im besten Fall – eine Ahnung, eine leise Ahnung. Und wenn wir uns umdrehen, raunt es uns zu: They say the owl was a baker’s daughter….