Streumen
5. Dezember 2007und was wir nur haben im luftarmen morgen, uns hochschrecken
lässt vom lärm auf der straße, die schwüle fast mittags, geschrei
von irgendwoher, und dass wir uns drehen im licht in den laken
im halbtraum, nicht wagen zu zeigen, wer wach ist, wer blickt
und wer durst hat, und dass wir einander die rücken zukehren
und still sind und atmen uns ab
Ulrike A. Sandig, aus: „Streumen“ Gedichte
© Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke (2007)
Streumen ist ein guter Ort, aber der Aufenthaltsort des Glücks liegt von hier aus gesehen immer im Süden. Streumen ist eng. In Streumen ist es wie überall. Streumen ist ein beweglicher Ort. Streumen ist eine unsichere Tätigkeit seiner Bewohner. Unsicher ist auch die Anzahl der Streumenden. Es handelt sich um uns. Wir streumen vor lauter Sehnsucht.
••• Streumen — das ist der Titel von Ulrike A. Sandigs neuem Gedichtband (ihrem zweiten nach „Zunder“), der soeben in der Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke erschienen ist.
Was Streumen noch alles bedeuten mag? Ulrike A. Sandig legt ein paar Spuren aus. In der Danksagung etwa, ganz am Ende des Buches, erwähnt sie „Heiner und Allmut Sandig im Heidehaus bei Streumen“, einem Ort zwischen Dresden und Lutherstadt Wittenberg, mitten in Sachsen.
Streumen — das klingt auch nicht zufällig wie Streunen. Beides ist in diesem Band nah beieinander. Denn Streumen, das ist das Stück Heimat, das wir verlassen müssen, um zu uns finden zu können; der Stachel Fremdheit im Fleisch, weil wir dieser Scholle entwachsen sind. Und Heimat, das Fortgehen von ihr, das Wiederkehren als Besucher aus der fernen Fremde, in der man streunte, Heimat, die uns auch unsere Lieben sind — all das ist Thema dieser Gedichte.