Gaza

12. Januar 2009

Maßstäbliche Karte der möglichen Reichweiten von Raketen, die aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet abgefeuert werden.
Maßstäbliche Karte der möglichen Reichweiten von Raketen, die aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet abgefeuert werden. (Quelle: Wikipedia Commons, Lencer)

••• Drei Demonstrationen bzw. Kundgebungen fanden am Wochende in München statt. Den Anfang machten die Nazis am Freitagabend. Knapp über 30 von ihnen standen über 100 Gegendemonstranten gegenüber. Dazwischen viel Polizei. Am Samstag waren die Palästinenser dran. Und am Sonntag schließlich fand eine Israel-Solidaritätskundgebung statt – mit der deutlich größten Beteiligung.

Ich kann unterdessen kaum noch irgendwo hingehen, ohne auf Gaza angesprochen zu werden. Das liegt einfach daran, dass ich eine Kipa trage. In der Regel lässt sich schon am Wortlaut oder dem Tonfall der Fragestellung erkennen, welcher Seite der Fragende eher sympathisierend zuneigt. Ich habe früher in solchen Situationen, die immer leicht entgleiten können, in der Regel diplomatisch geantwortet: Ich weiß nicht, was ich von all dem halten soll. Und das entsprach auch im Wesentlichen den Tatsachen, denn ich war nie in Israel gewesen und kannte die Situation dort nur aus den Medienberichten.


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Die Fähigkeit zu sein

12. Januar 2009

Für Arye Sachs

Die Fähigkeit, ein Vogel zu sein,
ist, unter anderem, die Fähigkeit
stets ein passendes Klima zu wählen,
daher die Gabe, hoch aufzusteigen —
zu den Landschaften der Sonne.

Nicht so wie die Poeten, die all ihre Tage den Schatten
von Vögeln mit hellen Pupillen verfolgen
und die Worte wie Flugkörner hochhalten —
nur manchmal springen sie von Brücken und zerschmettern
in ihre stürmischen Gedichte hinein. Während die Vögel
gemächlich über die Brücken ziehen, über das Leben hin.

Asher Reich, aus: »akzente« 6/2008
Übersetzt von Lydia und Paulus Böhmer

••• Wie schon berichtet, bescherte mir die Lektüre von »akzente« 6/2008 eine Neuentdeckung: Asher Reich. Der israelische Lyriker wuchs genau in jenem Milieu auf, das ich in der »Leinwand« als die Kindheitsumgebung von Amnon Zichroni beschreibe. Bis zu seinem 18. Lebensjahr lebte Reich im haredischen Meah Shearim – abgeschottet von der modernen Welt.

Während jedoch Zichroni, was die Dichtung angeht, nie etwas anderes als »Leser« sein wollte, drängte es Reich zum Schreiben.

Der Schriftkundige hatte die Sprachen der Welt zu lernen, Jargon und Tonarten der profanen Zeit, politisches und technisches Vokabular des modernen Staates und seiner Propaganda, die Geheimsprachen der Liebe, des Körpers, der Seele, Dialekte des täglichen Lebens und der Straße, akademische, literarische Hypertrophien.

Christoph Meckel


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Lesen! – Nr. 40

11. Januar 2009

Lesen! – bei litcolony.de

••• Frau Heidenreich zum 40. Mal. Dieses Mal – wie versprochen – umgehend gemeldet. Viel Vergnügen.

Freie Hörbücher

11. Januar 2009

••• Nachdem Journalist, Hörfunk- und Fernsehsprecher Johannes M. Ackner für die Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig diverse Hörbücher eingelesen hatte, initiierte er eine Website für freie Hörbücher. Auf vorleser.net werden unterdessen an die 500 MP3-Hörbücher zum freien Download angeboten, allesamt eingelesen von professionellen Sprechern und Sprecherinnen.

Möglich ist das kostenfreie Angebot, weil es sich bei den eingelesenen Texten vor allem um solche mit ausgelaufenem Copyright handelt, wie sie in Textform u. a. auf den Seiten des »Projekt Gutenberg« präsentiert werden.

Da die Sprecher kaum pro bono arbeiten dürften, ist die Seite mit Google-Ads geradezu überladen. Eine weitere Einnahmequelle sind jedoch auch kommerzielle Hörbücher, aus denen gratis nur Teile angeboten werden – so etwa die Hörbuchausgaben der Lutherbibel und des Korans. Nicht zuletzt verkauft vorleser.net im angegliederten Shop auch Hörbücher anderer Audio-Verlage als Download.

Das Angebot von Vorleser.net wird laufend erweitert, ein Ende des Wachstums ist noch nicht abzusehen. Inzwischen nehmen mehr als 30 professionelle Sprecherinnen und Sprecher regelmäßig neue Hörbücher für das Portal auf. So wird in absehbarer Zeit ein Kanon der klassischen Literatur als kostenloses Hörbuch zur Verfügung stehen. Aber auch zeitgenössische Schriftstellerinnen und Schriftsteller nehmen einen immer größeren Raum auf Vorleser.net ein.

Vergleichbare Online-Angebote gibt es übrigens auch für französische, holländische und englische Gratis-Hörbücher.

Schirei ha-Wakaschot

8. Januar 2009

Es ist Schabbes, tief in der Nacht. Ich sitze in einer sfardischen Schul und lausche dem Wechselgesang dreier Peytanim, zwei Baritone und ein Tenor. Der älteste ist etwa sechzig, ein Chassid, was mich irritiert, denn die »Schirei ha-Wakaschot«, die sie singen, sind marokkanische Weisen. Die beiden anderen, der zweite Bariton um die vierzig, der Tenor höchstens Mitte zwanzig, sehen schon eher wie Sfardim aus Nordafrika aus. Der Chassid klingt weise und liebevoll. Der junge Sänger gießt leidenschaftlich Poesie aus. Der Dritte scheint zwischen beiden zu vermitteln, als würde er ihre Lieder miteinander verknüpfen wollen.

Gesprochenes Hebräisch klingt für mich immer hölzern und kalt. Im Gesang der Peytanim aber schwingen die gutturalen Klänge und schweben, zu poetischen Figuren verwoben, im Raum.

Das sind Meister, flüstert mein Begleiter mir zur: Sie beginnen mit einem Psalm und improvisieren dann. Sie lassen sich leiten von der Stimmung der Nacht und des Ortes. Die Lieder, die wir hören, die Texte wie auch die Musik, erklingen nur heute und hier. Woanders und in einer anderen Nacht werden sie sich verwandeln.

Der Gedanke gefällt mir. Es ist das erste Mal, dass ich so etwas höre. Die schönste Schöpfung bereitwillig zu opfern, indem man akzeptiert, dass sie unwiederbringlich verklingt, ist wahre Hingabe.

aus: „Die Leinwand“ (Jan Wechsler)
© Benjamin Stein (2008)

Schirat ha-Wakshot (Haboucha/Nahari/Riahi)
Live-Mitschnitt 14:26
© Gal Star, Israel