Meines Vaters Bücher

2. Februar 2009

Ein Gastbeitrag von Alexander Nicolai

Gustav Meyrink••• Die Bücher meines Vaters haben im Leben und Wohnen meiner Familie immer schon einen besonderen Raum eingenommen. Nie wurden sie an Dritte ausgeliehen, und auch in Zeiten finanzieller Not schlug mein Vater beharrlich jedes ihm gemachte Angebot aus, auch nur eines davon zu verkaufen. Äußerlich betrachtet gab diese Sammlung nicht viel her. Sie bestand und besteht aus abgegriffenen Büchern, teilweise illegal angefertigten Kopien, die erst später gebunden wurden, teils auch aus abgetippten Manuskripten in Form einer Loseblatt-Sammlung. Die meisten dieser Werke sind nicht einmal über antiquarische Quellen zu beziehen, nur wenige wurden noch einmal aufgelegt, andere waren niemals einem öffentlichen Publikum zugänglich. Mit dem Umfang und der Vielfalt einer Bibliothek wie der eines Alexander von Bernus oder Carl Gustav Jung konnte die Sammlung nie mithalten. Weniger erlesen ist sie indes auch nicht, und gemein mit diesen beeindruckenden Bibliotheken ist vor allem ihr Zweck. Soweit ich zurückdenken kann, schärfte mein Vater mir immer wieder ein, dass die Sicherheit dieser Bücher im Ernstfall oberste Priorität habe, und das es im Falle eines ihn plötzlich ereilenden Todes meine erste Pflicht sei, diese Bücher an mich zu nehmen, bevor andere ihre Hände danach ausstrecken könnten. Die Antworten auf alle Fragen, so erklärt er es mir bis zum heutigen Tage, seien in diesen Werken zu finden.

Was fängt man in jungen Jahren mit solch einer Erklärung an? Wenig.


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Ich werde gelebt. Ich werde gestorben.

29. Januar 2009

Les Murray (1997) - Foto: Valerie Murray
Les Murray (1997) – Foto: Valerie Murray

Cockspur Bush

I am lived. I am died.
I was two-leafed three times, and grazed,
but then I was stemmed and multiplied,
sharp-thorned and caned, nested and raised,
earth-salt by sun-sugar. I am innerly sung
by thrushes who need fear no eyed skin thing.
Finched, ant-run, flowered, I am given the years
in now fewer berries, now more of sling
out over directions of luscious dung.
Of water the crankshaft, of gases the gears
my shape is cattle-pruned to a crown spread sprung
above the starve-gut instinct to make prairies
of everywhere. My thorns are stuck with caries
of mice and rank lizards by the butcher bird.
Inches in, baby seed-screamers get supplied.
I am lived and died in, vine-woven, multiplied.

Hahnendornbusch

Ich werde gelebt. Ich werde gestorben.
Ich war dreimal zweiblättrig und abgeweidet,
doch schließlich gestielt und vermehrt,
spitzdornig und gerohrt, benestet und erhoben,
Erdensalz um Sonnenzucker. Ich werde innerlich besungen
von Drosseln, die kein beaugtes Hautding fürchten müssen.
Befinkt, ameisenbelaufen, beblüht, werden wir die Jahre
in mal weniger Beeren, mal weiteren Bögen
über den Richtungen köstlichen Mists gegeben.
Aus Wasser die Kurbelwelle, aus Gasen das Getriebe
ist meine Form vielgestutzt zur weiten Krone gesprossen
über dem Hungerbauchinstinkt, aus allem Prärie
zu machen. Meine Dornen sind vom Würgervogel
mit Karies aus Mäusen und stinkenden Echsen bestückt.
Ein Stück nach innen werden körnerschreiende Kleine versorgt.
Es wird gelebt, wird gestorben in mir, rankenbewebt, vermehrt.

Les Murray, aus: »Übersetzungen aus der Natur«
aus dem Englischen von: Margitt Lehbert
© Edition Rugerup 2007

••• Der große Dichter Derek Walcott schrieb über Les Murrays Werk:

»Es gibt keine Poesie in der englischen Sprache, die so verwurzelt ist in ihrer Heiligkeit, so breitblättrig in ihren Freuden und doch so intim und umgangssprachlich.«

Dem Gedichtband »Translations from Nature« setzt Les Murrays ein Motto voran: Zur Ehre Gottes. Heiligkeit und Frömmigkeit sind nicht das gleiche. Fromm sind diese Gedichte gewiss nicht, in denen Les Murray – ähnlich wie Neruda in seinen Oden – von Tieren und Pflanzen schreibt und dabei doch immer Menschliches poetisch in Szene setzt.


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Zwischen neun und neun

29. Januar 2009

Leo Perutz
Leo Perutz (1882-1957)

Manchen Menschen fehlt das Kinn. Das Gesicht geht unter dem Mund gleich in den Hals über. Sie sehen aus wie Hühner. Auch der Weiner gehört zu diesen Menschen. Sie tragen entweder Vollbart, dann sieht man es weniger, oder, wenn sie glattrasiert sind, dann sehen sie stupid aus. Ich glaube, das ist ein Atavismus. Zwischen der zweiten und der dritten Eiszeit sollen die Menschen so ausgesehen haben. – Nein, das ist kein Witz, ich hab’ das wirklich einmal in einem Aufsatz über den prähistorischen Menschen gelesen. Mir sind Leute ohne Kinn zuwider. Und wie ich den Alten anschau’, kommt mir der verrückte Gedanke, dass vielleicht ein Geheimbund aller dieser Kinnlosen besteht gegen die übrige Welt, dass sie zusammenstehen, und dass vielleicht der alte Trödler mit dem Georg Weiner im Einverständnis ist und mir nur eine Bagatelle für das Buch zahlen wird, damit ich nicht mit der Sonja nach Italien fahren kann.

Leo Perutz, aus: »Zwischen neun und neun«

••• Es war ein wenig zu wenig Schlaf letzte Nacht. Den für heute geplanten Beitrag muss ich verschieben. Aber es gibt ja den »Umblätterer«, der auch immer wieder auf Literatur zu sprechen kommt und vorgestern über Leo Perutz schrieb. Nie gehört, schon gar nicht gelesen. Aber nach der obigen Textpassage zu urteilen, muss ich das schleunigst nachholen.

George W. Obama

25. Januar 2009

George W. Obama

••• Ich wusste doch, dass da was stinkt!

gefunden auf FFFFound von snowflakes & vampires

Dies Land der Mühe

25. Januar 2009

August Graf von Platen-Hallermünde
August Graf von Platen-Hallermünde

Dies Land der Mühe, dies Land des herben
Entsagens werd ich ohne Seufzer missen,
Wo man bedrängt von tausend Hindernissen
Sich müde quält und dennoch muß verderben.

Zwar mancher Vorteil läßt sich hier erwerben,
Staatswürden, Wohlstand, eine Last von Wissen,
Und unsre Deutschen waren stets beflissen,
Sich abzuplagen und geplagt zu sterben.

Ein Solcher darf zu keiner Zeit ermatten,
Er fördre sich, er schmeichle jeder Mode,
Und sei dabei, wo Glück und Macht sich gatten.

Mir, der ich bloß ein wandernder Rhapsode,
Genügt ein Freund, ein Becher Wein im Schatten,
Und ein berühmter Name nach dem Tode

August Graf von Platen-Hallermünde (1826)
aus: »Poesiealbum 275«, Märkischer Verlag Wilhelmshorst

••• »Und ein berühmter Name nach dem Tode…« Als wär das nichts! Von August von Platen (1796-1835) hatte ich noch nichts gehört oder gar gelesen, bis mir die aktuelle Ausgabe des »Poesiealbum« ein wenig Nachhilfeunterricht erteilte. Die halbe Familie lag am Schabbes krank darnieder, und auch ich blieb im Bett, weil seit Tagen haarscharf davor, auch umzufallen. (Dank viel Schlaf und Vitaminen steht es nun besser.) In den Schlafpausen habe ich gelesen, nicht nur das Poesiealbum, sondern auch den Spiegel vom letzten Montag. Erst war ich angefressen, weil das Heft zum gleichen Preis gute 50 Seiten dünner geworden ist. Ich wurde aber besänftigt. Weggelassen wurde offenbar das Überflüssige. Ich habe lange keinen Spiegel mehr von vorn bis hinten durchgelesen, weil sich auf fast jeder Seite Hochinteressantes fand.


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