Holocaust-Memoiren

15. März 2009

••• Der Skandal um die (bewusst oder unbewusst) gefälschten Holocaust-Erinnerungen eines Kindes, der in der »Leinwand« eine wesentliche Rolle spielt, war – einigen Kritikern zufolge – nur möglich, weil es Ende der 1990er Jahre eine so große Nachfrage nach diesem »Genre« gab. Sogar der unappetitliche Begriff der »Holocaust-Industrie« wurde geprägt. Das Erscheinen von Ruth Klügers Weltbestseller »Weiter leben« fällt in die gleiche Zeit.

Ich mag mich irren, aber es scheint mir, als wäre dieser Trend mit der einsetzenden Obsession mit dem »Authentischen« einhergegangen: reality tv etc. Diese Erinnerungen mussten keine literarischen Highlights sein, aber echt. Und die immer wieder vorkommenden Skandale – erst letztes Jahr wieder einer in Australien – rankten sich denn auch immer um die Enthüllung, dass die jeweiligen Erinnerungen erfunden waren.

»Pans Wiederkehr« soll nun die Geschichte eines Überlebens in dieser Zeit schildern. Die Geschichte, so unglaublich sie scheint, ist authentisch. Es geht mir aber nicht um Erinnern an diese Zeit, sondern um die literarische Gestaltung einer großen Geschichte vom Überleben durch die Liebe, faktisch wie im übertragenen, psychischen Sinne. Also keine Dokumentation, kein Genrestück für die »Holocaust-Industrie«.


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Natalie liest (nicht)

15. März 2009

Natalie Portman liest (nicht)
Natalie Portman liest (nicht)

••• … ein schönes Bild, wenn dem Bibliophilen auch der Herzschlag stocken dürfte. Ich fühlte mich spontan erinnert an eine Szene aus »Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber«, in der der bibliophile Liebhaber inmitten seiner zerstörten Bibliothek von den Handlangern des Gangsters grausam zu Tode gebracht wird, indem man ihn mit zerknüllten Seiten aus seinen geliebten Büchern stopft wie eine Gans.

Billy Collins downloadbar

14. März 2009

Billy Collins: The Best Cigarette (Original CD Cover)
Billy Collins: The Best Cigarette (Original CD Cover)

••• Auf das gestern zitierte Gedicht von Billy Collins bin ich kurz vor Schabbes gestoßen und hatte keine Zeit mehr, weiteren Quellen über ihn nachzugehen. Warum er, wie Andrew Shields im Kommentar anmerkt, in den USA eine kontroverse Figur ist, konnte ich noch nicht herausfinden. Zwei Vermutungen: wer mit derart vielen Preisen dekoriert wurde und auch auf offiziellen Feierlichkeiten wie etwa der für die Opfer vom 11. September gelesen hat, dürfte nicht nur Freunde haben.

Wahrscheinlicher aber scheint mir, dass Billy Collins ähnliche den traditionellen Buchmarkt torpedierende Aktionen unternommen hat wie etwa Cory Doctorow. »The Best Cigarette« ist nicht nur der Titel des gestern zitierten Gedichtes, sondern auch der einer Sammlung von 33 Gedichten, die Collins unter der Creative Common License im Internet veröffentlicht hat – in Text und Ton: von ihm selbst eingelesen und in verschiedenen gängigen Audio-Formaten u. a. bei archive.org herunterzuladen.

Die CD mit diesen Aufnahmen – ursprünglich für 12 USD zu erwerben – bekommt man inzwischen nur noch gebraucht und zwar zu Liebhaberpreisen.

The Best Cigarette

13. März 2009

Billy Collins: The Best Cigarette

There are many that I miss
having sent my last one out a car window
sparking along the road one night, years ago.

The heralded one, of course:
after sex, the two glowing tips
now the lights of a single ship;
at the end of a long dinner
with more wine to come
and a smoke ring coasting into the chandelier;
or on a white beach,
holding one with fingers still wet from a swim.

How bittersweet these punctuations
of flame and gesture;
but the best were on those mornings
when I would have a little something going
in the typewriter,
the sun bright in the windows,
maybe some Berlioz on in the background.
I would go into the kitchen for coffee
and on the way back to the page,
curled in its roller,
I would light one up and feel
its dry rush mix with the dark taste of coffee.

Then I would be my own locomotive,
trailing behind me as I returned to work
little puffs of smoke,
indicators of progress,
signs of industry and thought,
the signal that told the nineteenth century
it was moving forward.
That was the best cigarette,
when I would steam into the study
full of vaporous hope
and stand there,
the big headlamp of my face
pointed down at all the words in parallel lines.

© Billy Collins


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Reue und Buße

13. März 2009

The most unnoticed of all miracles is the miracle of repentance. It is not the same as rebirth; it is transformation, creation. In the dimension of time there is no going back. But the power of repentance causes time to be created backward and allows re-creation of the past to take place. Through the forgiving hand of God, harm and blemish which we have committed against the world and against ourselves will be extinguished, transformed into salvation.

Abraham Joshua Heschel
aus: »The Meaning of Repentance« (1936)
in: »Moral Grandeur and Spiritual Audacity«
Farrar Straus & Giroux, New York, 1996

••• Ich zitiere hier Heschel nach D. G. Myers, der eben diese Passage in seinem aktuellen Beitrag zu Nabokovs »Lolita« bringt. Myers Beitrag sollte man unbedingt lesen. Er ist brilliant, Myers Prämisse unmissverständlich im Eingangssatz formuliert:

Lolita is the greatest novel ever written in English, because alone among English-language novels it is the enactment of a moral experience.

Das ist ein interessanter Ausgangspunkt. Wieder einmal legt uns die andere Sprache (das Englische) hier einen Stein in den Verständnisweg. Was Myers als »repentance« beschreibt, kann zu Deutsch Reue oder Buße heißen. Zwischen beiden Worten besteht jedoch ein dramatischer semantischer Unterschied: Reue ist nicht zwingend tätig, Buße hingegen schon. Und im Sinne von Myers These gehe ich davon aus, dass die tätige Reue gemeint sein muss, zumal Heschel von »repentance« im Sinne des Begriffs der »Umkehr« (Teschuva) spricht: Reue, Bekennen und Wiedergutmachung gehören hier untrennbar zusammen.

Worin der Unterschied zwischen Teschuva und bspw. bloßer Entschuldigung besteht, erläutert Myers in einem Follow-Up zum o. g. »Lolita«-Beitrag (Pull out his eyes, Apologize, Apologize), gespickt mit Textbeispielen aus der englischsprachigen Literatur.