Krötenwanderung

26. Juli 2009

••• Es ist soweit. Markus A. Hediger macht sich zum zweiten Mal auf den One-Way nach Brasilien. Mit den Erfahrungen des »Krötenkarneval« und des »TamTam Grand Hotel« im Hinterkopf kommt hierbei keinem das Wort »endgültig« leicht über die Lippen. Aber Markus wäre nicht der Autor, der er ist, würde er sich wortlos auf diese erneute Reise machen. In den kommenden Monaten dürfen wir hier im Turmsegler seine Gastkolumne »Krötenwanderung« mitverfolgen, deren Beiträge hoffentlich eines Tages gesammelt als weiterer Hediger-Band in der edition neue moderne erscheinen werden. Vor das Buch aber hat der Ewige das Abenteuer des Schreibens gesetzt. Und vor das Schreiben das Leben und Zweifeln. Ich bin gespannt, wie es Markus ergehen wird und wie er uns davon berichtet.

Die »Krötenwanderung« kann man hier im Blog oder auch per RSS-Feed verfolgen.

Liebes-Lied

26. Juli 2009

Wie soll ich meine Seele halten, daß
sie nicht an Deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?

Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.

Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.

Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süßes Lied.

Rainer Maria Rilke (1875-1926)

••• Mit Tanja Warter (Presse C. H. Beck) sprach ich am Freitag über die Inkompatibilität zwischen orthodoxem Alltag und Literatur. Sie war überrascht. Ich habe darüber noch nie gesprochen, aber mich bewegt der Gedanke schon seit geraumer Zeit. Streng genommen ist er schon präsent, seit ich die Arbeit an der »Leinwand« begonnen habe. Es ist sicher kein Zufall, dass ich Amnon Zichroni mit 15 Jahren in das verbotene Zimmer der Eltern führe und ihn dort auf die »unpassende Liebe«, nämlich die Dichtung stoßen lasse. Nun ist Amnons Konflikt nicht einmal der, orthodox zu sein und »verbotene Bücher« zu schreiben. Der erste wesentliche Wendepunkt in seinem Leben belegt aber, wie deutlich die »Inkompatibilität« ist. Allein diese Bücher zu lesen, wird schon als »bitul zman« (Zeitverschwendung) betrachtet. Um wie viel größer ist die Verschwendung, wenn man nicht nur liest, sondern diese Bücher auch noch schreibt?

Es sind besonders die Folgen des Schreibens und Veröffentlichens, die im Kontrast stehen zu den Forderungen der Mussar-Lehrer, Demut zu üben, das Ego zurückzudrängen, in der Gemeinschaft aufzugehen, statt als Individuum hervorzustechen durch Talente und Fähigkeiten, die nicht in direktem Torah-Zusammenhang stehen.


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Das Subjekt im Auto

23. Juli 2009

Betrachten wir noch einmal das Modell, nach dem wir schon seit zweitausend Jahren denken und sehen. Es ist das Subjekt/Objekt-Denken, also ein Denken und Sehen, das rein und ausschließlich von unserem Ich ausgeht. Cartesius hat es auf das Cogito, auf den einzelnen Menschen reduziert und ein für allemal für verbindlich erklärt. Heute sitzt das Subjekt im Auto und beherrscht die Welt, zumindest die Oberfläche. Wir sehen nur noch das, was unsere Scheinwerfer beleuchten; wir sind, was wir fahren, und wer mir nicht glaubt, der spitze bitte seine Ohr! »Ich stehe vor der Oper«: Dieses Sätzlein wird in knapp fünf Minuten, am Ende meines Vortrags, mehrfach fallen. Die Personen, die es äußern, werden allerdings im Innern des Hauses stehen, nicht davor. »Ich stehe vor der Oper«, das besagt nichts anderes als: Mein wahres Ich ist mein Auto.

Thomas Hürlimann, aus:
»Das Holztheater« (Geschichten und Gedanken am Rand)
© Ammann Verlag 1997

••• Letzte Woche habe ich Pynchon gelesen. Ich habe es jedenfalls – mit mehreren Titeln – versucht. Dieser, wie viele meinen, bedeutendste amerikanische Gegenwartsschriftsteller bekommt mir allerdings gar nicht. Weg damit also. Und ich griff aus Mangel an Lesestoff für die U-Bahn wieder einmal ins Regal mit den schönen Ammann-Bänden aus der Meridiane-Reihe. Diese Bücher habe ich aus ästetischen Gründen gesammelt, aber bei weitem noch nicht alle gelesen. Dieses Mal griff ich Hürlimann heraus.


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Erste Sätze

22. Juli 2009

Rabbi Shmuel Plafker at a funeral service for Jeffrey Lynn Schneider at a plot owned by the Hebrew Free Burial Association on Staten Island.
Rabbi Shmuel Plafker at a funeral service for Jeffrey Lynn Schneider at a plot owned by the Hebrew Free Burial Association on Staten Island. (Foto: © Kirsten Luce for The New York Times)

••• Wenn mir für ein neues Projekt der erste Satz einfällt, ist das meist ein untrügliches Zeichen, dass die Sache nicht mehr aufzuhalten ist. Und wie wird »Diamond District« beginnen. Ich denke, mit einem Hauptsatz:

Meist wasche ich die Toten nachts.

Über das Warum darf spekuliert werden.


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Rechtschreibung, pah!

20. Juli 2009

Für das Wort »Blog« verzeichnet der Duden weiterhin die Artikel »das« und »der« als zulässig, was Puristen nach wie vor auf die Palme bringen wird, denn schließlich ist für das Wort Logbuch, von dem sich Blog (Web-Logbuch) ableitet, im Duden eindeutig der sächliche Artikel verzeichnet. Niemand würde »der Web-Logbuch« sagen. Dies verkennt jedoch, das »der Blog« nicht automatisch eine korrekte Schreibweise ist, da der Duden lediglich die tatsächliche Verwendung im Alltag verzeichnet. Da viele Leute fälschlicherweise von »der Blog« sprechen, nimmt der Duden diese Form auf. Auf diese Weise wanderte auch das falsch abgesetzte Genitiv-s (der sogenannte »Deppen-Apostroph«) seit einiger Zeit als mögliche Schreibweise in den Duden.

••• Das Literaturcafé berichtet heute über die neue Duden-Ausgabe. Obiges Zitat (mit Hervorhebung von mir) ist aus diesem Beitrag zitiert.

Schlimm genug, dass einige Reformschreibweisen – wie etwa »so genannt« – an die ich mich unter Krämpfen inzwischen gewöhnt habe, nun wieder zu lediglich statthaften, aber nicht bevorzugten Variante erklärt wurden… Abgesehen davon. (Ich schnappe nach Luft.) Was hat das alles noch mit Rechtschreibnorm zu tun, wenn der Duden »lediglich die tatsächliche Verwendung im Alltag verzeichnet«? Da wird doch wohl das ganze Konzept einer verbindlichen Rechtschreibung ad absurdum geführt, wenn Fehler nur lange genug gemacht werden müssen, um schließlich Eingang in den Duden zu finden. Da ist mir doch künftig dieses Werk gänzlich schnuppe, und ich schreibe nach Gusto wieder »sogenannt«, aber »ss« nach kurzem Vokal, und »Leid tun« braucht mir kein Leid mehr antun.

Habt ihr das gewusst? Der Duden als Spiegel der Sprachverwahrlosung? Kolossal.