Verneigung vor Giacometti

4. Januar 2009

Der Unterschied zwischen den Lebenden und den Toten ist der Blick.

Alberto Giacometti

••• Im ersten Layout-Entwurf dieses Weblogs gab es einen Vogel, keinen Turmsegler, wie es zum titelgebenden Gedicht von René Char gepasst hätte, sondern eine Taube – von Giacometti. Als Jugendlicher habe ich zum ersten Mal auf Fotos einige seiner Skulpturen gesehen und mich umgehend in sie verliebt. Für mich waren sie immer zu Materie gewordene Dichtung.

Die Herzdame hat auf YouTube ein Juwel ausgegraben, einen animierten Kurzfilm von Sam Chen, der wieder auf den großen Bildhauer aufmerksam machen möchte. Dabei ist ihm ein Film gelungen, der reine Dichtung ist.

Sam Chen: Eternal Gaze (Part 1)

Sam Chen: Eternal Gaze (Part 2)

Maxim macht sich Luft

4. Januar 2009

••• Maxim Biller schwört, keine Literaturpreise anzunehmen. Vorher aber macht er sich in seiner F.A.S.-Besprechung von Thomas Bernhards nicht ohne Grund erst postum erschienenen Buch »Meine Preise« ordentlich Luft, indem er ihn ausgiebig zitiert mit dem immergleichen Wort: Arschloch. Mon Dieu! Haltet euch bloß diese Literaturpreise vom Hals!

Die romanbelletristische Zukunft

3. Januar 2009

Dies alles aber in einer Zeit, in der ich weniger denn je an eine romanbelletistische Zukunft, sondern in der ich glaube, daß poetische Zukunft allein noch die Lyrik haben wird; das liegt einfach daran, daß es keine angemessene Übertragungsform für Lyrik in andere (Neue) Medien gibt, während dem Roman längst vom Spielfilm (den objektiven Bildern nämlich) der Rang abgelaufen wurde; auch Zeit spielt hierbei eine hervorstechende Rolle: Zeitmanagement. Man kann das beklagen, ja, doch gilt Hegel: Im Zweifel für die Tatsachen. Ich weiß, daß ich Widerspruch ernten werde: Nur zu.

Alban Nikolai Herbst im Arbeitsjournal

••• Auch wir – die Herzdame und ich – sind Film-Junkies und schauen seit langer Zeit erheblich mehr Filme an, als wir Bücher lesen. Die Frage, ob der Film dem Roman bereits den Rang abgelaufen habe oder aber bald ablaufen könnte, habe auch ich mir schon oft gestellt. Und die Antwort, die ich mir selbst als Autor gegeben habe und nach wie vor gebe, lautet: Jein.

Ja, der erzählende Roman von »Don Quijote« über »Buddenbrooks« oder »Anna Karenina« bis zu den letzten Deutschen Buchpreisträgern »Mittagsfrau« und »Turm« (die Liste ließe sich endlos fortsetzen) mag sich erübrigen, weil sich tatsächlich in einer filmischen Umsetzung eine »angemessene Übertragungsform« ins Neue Medium finden lässt. Die Autoren graben sich und ihrem Genre heute durch den bewussten, intensiven Flirt mit der Verfilmbarkeit selbst das Wasser ab. Die so eventuell nachlassende Bedeutung des Romans liegt jedoch nicht etwa an einer Überlegenheit des Neues Mediums Film, sondern vielmehr daran, dass die Autoren bequem geworden sind und heute kaum Versuche unternommen werden, das Genre des Romans weiterzuentwickeln, und zwar in einer Weise, die dem Buch gegenüber dem Film eben doch eine nicht übertragbare Eigenheit zurückgibt.

Im offensichtlichen Ausweg – Rückzug in die Lyrik als Urland der Dichtung – sehe ich eine künstlerische Kapitulation vor der größeren Aufgabe: für den (erzählenden oder auch nicht erzählenden) Roman neue Ausdrucksmöglichkeiten und Formen zu finden. In kaum einem Jahrhundert hat der Roman derartige künstlerische Fortschritte gemacht wie im letzten. Sollten all die Bemühungen von Simon, Woolf und Joyce (um nur drei von vielen zu nennen) völlig vergeblich gewesen sein? Nein. Ich fürchte vielmehr, dass es heute lediglich an Autoren-Persönlichkeiten fehlt, die den künstlerischen Antrieb spüren und ihm nacharbeiten, in ihrer angestammten Domäne, der Sprache und dem gedruckten Buch, dem Film etwas Originäres entgegenzusetzen.


Den ganzen Beitrag lesen »

Erzählen, erzählen!

1. Januar 2009

••• Vor einiger Zeit habe ich meinen Kindern ein paar Episoden aus meiner Kindheit erzählt. Es ist ja nicht so, dass mir keine Missgeschicke passiert wären, dass ich nie Blödsinn angestellt oder meine Eltern geärgert hätte. Aaliyah und David haben gebannt zugehört und wollen nun mehr und mehr wissen. Wenn ich sie ins Bett bringe, heißt es immer gleich: Erzählst du uns was aus deiner Kindheit?

Inzwischen sind mir die markanten Erinnerungen ausgegangen. Und ich habe auch keine Lust, zum x-ten Mal wieder zu erzählen, wie ich beim Eisschollenschieben vom Bootssteg aus ins Wasser gesaust bin. Also sage ich immer öfter: Och nö, mir fällt heute gar nichts ein. Und dann setzen sie im Sprechchor an, mich doch zu bewegen: Er-zäh-len, Er-zäh-len!


Den ganzen Beitrag lesen »

Schaltsekunde

31. Dezember 2008

••• … und vergesst nicht, um Mitternacht eure Uhren zu stellen. Das Jahr 2008 endet mit einer Schaltsekunde. Hätte ich das früher gewusst, hätte ich alles viel ruhiger angehen können.

Allen Turmseglern ein gesundes, ereignis- und erfolgreiches Jahr 2009!

Windschatten

30. Dezember 2008

••• Ich habe durchgehalten und alle 550 Seiten von »Im Schatten des Windes« von Carlos Ruiz Zafón gelesen. Als ich das Antichrist-Zitat brachte – grad erst um Seite 120 herum – war ich schon im Grübeln: Was treibt der Mann eigentlich und warum? Zu Ende gelesen habe ich dann aus rein technischem Interesse. Was macht heute einen Millionen-Seller aus?

Zunächst war ich angenehm überrascht. Zafón beherrscht sein Handwerk, schwingt sich – wenn auch nur auf den ersten ca. 150 Seiten – immer wieder zu sprachlich wunderbaren Passagen auf. Die Auftaktidee ist wundervoll, die »Bibliothek der vergessenen Bücher«. Barceloneser Antiquare bewahren in ihr je ein Exemplar aller Bücher auf, die vergessen wurden, verdient oder unverdient. Der Protagonist darf sich, als sein Vater ihn in das Geheimnis der Bibliothek einweiht, ein Buch aussuchen, um es zu lesen und so dem Vergessen zu entreißen.


Den ganzen Beitrag lesen »

Volle Beleuchtung

28. Dezember 2008

Chanukka 5769 8th Candle

••• Heute haben wir das letzte Chanukka-Licht angezündet. Jemand fragte, was wir da feiern. Den Sieg über das »frevelhafte griechische Reich«, müsste man wohl antworten.

Chanukka erinnert an die Wiedereinweihung des zweiten jüdischen Tempels in Jerusalem im jüdischen Jahr 3597 (164 v. Chr.) nach dem erfolgreichen Makkabäeraufstand der Juden Judäas gegen hellenisierte Juden und makedonische Syrer, wie er im Ersten Buch der Makkabäer und auch im Talmud überliefert ist. Die Makkabäer beendeten die Herrschaft des Seleukidenreiches über Judäa, beseitigten den im jüdischen Tempel von Griechen errichteten Zeus-Altar, und führten den jüdischen Tempeldienst wieder ein.