Archiv der Kategorie 'Prosa'

Empfehlungen

Mittwoch, den 18. März 2009

Markus A. Hediger: Krötenkarneval

••• Wenn wir schon – anlässlich des heutigen »Rückspiegels« – bei Empfehlungen sind: Auch Markus A. Hedigers Prosa ist ein Erlebnis, das man so schnell nicht vergisst. Erschienen in der edition neue moderne, sind seine autobiographischen Fiktionen »Krötenkarneval« noch lieferbar.

La Tortuga schrieb kürzlich über Hedigers letzten Band »Das TamTam Grand Hotel«, ein halsbrecherisches Verwirrspiel um die Frage: Bin ich, und wenn ja, wer?

Kaufen! Lesen! Glücklich sein!

Zwanzig Jahre Fatwa

Montag, den 23. Februar 2009

Salman Rushdie
Sir Salman Rushdie

Ich setze das stolze Volk der Moslems in aller Welt davon in Kenntnis, dass der Autor des Buches »Die satanischen Verse«, das sich gegen den Koran, den Propheten und den Islam richtet, und alle an seiner Publikation Beteiligten zum Tode verurteilt sind.

Ayatollah Ruhollah Chomeini am 14. Februar 1989

••• Mit Salman Rushdies »Satanischen Versen« (die deutsche Originalausgabe ist gelegentlich noch zu haben) verbindet mich eine besondere Geschichte, die in der »Leinwand« erzählt wird. Die Hälfte des Begrüßungsgeldes, das ich im November 1989 bei meinem ersten Besuch in West-Berlin bekam, trug ich in eine Buchhandlung auf dem Kurfürstendamm. Dieses Buch, das Autor, Übersetzer und Verleger das Leben kosten konnte und dennoch erschienen war, musste ich einfach besitzen. Ich wurde auch literarisch nicht enttäuscht. Dennoch habe ich es nur einmal gelesen. Aber ich besitze es noch; und es gehört sicher zu den Büchern, die ich um keinen Preis verleihe.

Reinhold Neven DuMont plante zunächst die deutsche Ausgabe und ahnte nicht, was da auf ihn zukommen würde. Nachdem er damit rechnen musste, dass eine Autobombe den Verlag in der Rondorfer Straße in Schutt und Asche legen würde, kapitulierte er, wofür er sich von Hans Magnus Enzenzberger als Feigling bezeichnen lassen musste. Im virtuellen Gemeinschaftsverlag »Artikel 19« erschien die deutsche Übersetzung dann doch im Herbst 1989. Dass sich Verleger, Übersetzer und Autoren damals zusammengetan haben, um gemeinsam das Risiko der Veröffentlichung zu tragen, halte ich noch immer für eine der wenigen wirklich rühmlichen Geschichten des deutschen Literaturbetriebs.

Ich bin nicht sicher, ob es heute auch zu einer solchen Demonstration der kulturellen Zivilcourage käme – nach den Attentaten vom 11. September und den kaum noch zu zählenden martialischen Entschlossenheitsbeweisen des islamischen Fundamentalismus, sich mit terroristischer Gewalt durchzusetzen.

Im Oktober 2006 konstatierte Rushdie im Österreichischen Fernsehen:

Als ich ein junger Mann war, war Religion im Wesentlichen am Ende. Leute, die von Religion sprachen, waren sozusagen Idioten. Es schien undenkbar, dass es ein Revival der Religion als zentrale Kraft in der Weltpolitik geben könne. Religion war uncool. Dummerweise haben, während wir damit beschäftigt waren, cool zu sein, die uncoolen Leute die Welt übernommen.

Unschwer zu teilen ist auch seine heutige Einschätzung:

Der islamische Fundamentalismus ist keine religiöse, sondern eine politische Bewegung, die eine religiöse Sprache benutzt.

Weiterführende Informationen in Textform gibt es u. a. auf dem Politbüro-Blog. Wer gar 14 min. erübrigen kann, um sich die WDR5-Zeitzeichensendung zum Thema anzuhören, sollte es tun.

Übrigens:

Nach dem offiziellen Protest der iranischen Regierung gegen den geplanten Ritterschlag der Queen für Salman Rushdie haben Hardliner innerhalb der iranischen Geistlichkeit, eine Gesellschaft zur Ehrung der Märtyrer in der islamischen Welt, ein neues Kopfgeld für den britischen Schriftsteller in Höhe von 150.000 US-Dollar ausgesetzt. Der Ritterschlag fand im Juni 2008 statt. (wikipedia)

Rushdie ist nach wie vor in Gefahr.

WDR5 Zeitzeichen vom 14. Februar 2009
zum 20. Jahrestag der Fatwa gegen Salman Rushdie,
seine Übersetzer und Verleger

Zwischen neun und neun

Donnerstag, den 29. Januar 2009

Leo Perutz
Leo Perutz (1882-1957)

Manchen Menschen fehlt das Kinn. Das Gesicht geht unter dem Mund gleich in den Hals über. Sie sehen aus wie Hühner. Auch der Weiner gehört zu diesen Menschen. Sie tragen entweder Vollbart, dann sieht man es weniger, oder, wenn sie glattrasiert sind, dann sehen sie stupid aus. Ich glaube, das ist ein Atavismus. Zwischen der zweiten und der dritten Eiszeit sollen die Menschen so ausgesehen haben. – Nein, das ist kein Witz, ich hab’ das wirklich einmal in einem Aufsatz über den prähistorischen Menschen gelesen. Mir sind Leute ohne Kinn zuwider. Und wie ich den Alten anschau’, kommt mir der verrückte Gedanke, dass vielleicht ein Geheimbund aller dieser Kinnlosen besteht gegen die übrige Welt, dass sie zusammenstehen, und dass vielleicht der alte Trödler mit dem Georg Weiner im Einverständnis ist und mir nur eine Bagatelle für das Buch zahlen wird, damit ich nicht mit der Sonja nach Italien fahren kann.

Leo Perutz, aus: »Zwischen neun und neun«

••• Es war ein wenig zu wenig Schlaf letzte Nacht. Den für heute geplanten Beitrag muss ich verschieben. Aber es gibt ja den »Umblätterer«, der auch immer wieder auf Literatur zu sprechen kommt und vorgestern über Leo Perutz schrieb. Nie gehört, schon gar nicht gelesen. Aber nach der obigen Textpassage zu urteilen, muss ich das schleunigst nachholen.

Wie sieht der Tod aus?

Mittwoch, den 21. Januar 2009

Ich fragte Vater: Wie sieht der Tod aus? Hat er eine körperliche Gestalt? Mutter versetzte mir einen leichten Klaps auf die Wange, als wollte sie etwas Störendes vertreiben und sagte zu Vater auf Jiddisch: »Schejale mit seine klatz Kasches!« (Schejale mit seinen dummen Fragen!) Aber später am Abend gab sie, wenn ich mich recht entsinne, meinen Bitten nach und flüsterte mir zu: »Der Todesengel hat einen Schlangenkopf, Hühnerbeine und den Körper eines Fisches. Er erscheint nur demjenigen, dessen Ende gekommen ist.« […]


Den ganzen Beitrag lesen »

Romane fürs Handy

Samstag, den 17. Januar 2009

••• SMS und Twitter portionieren bereits die Wirklichkeit. Die Zeichenanzahl steht fest. Fortsetzungen sind gewünscht. Manche sind süchtig danach. Auf diversen Handys gibt es bereits e-Book-Reader. Ich habe einige von ihnen mehrfach probiert. Das Buch ziehe ich nach wie vor der elektronischen Darstellung vor, auch in der U-Bahn. In Japan allerdings boomt die Handy-Literatur bereits; und mobilebooks.net hofft auf einen vergleichbaren Boom im deutschsprachigen Raum.

SMS und Twitter-Nachrichten habe ich immer für »disposables« gehalten. Mit meinem – womöglich antiquierten – Verständnis von Literatur geht das nicht zusammen. Andere Autoren wie beispielsweise Oliver Bendel sehen das anders. Er sieht im Handy-Roman ein neues Genre, das der Belletristik neue Impulse geben und talentierten, aber nicht »buchmarkttauglichen« Autoren ungeahnte Chancen bescheren könnte.


Den ganzen Beitrag lesen »

Warten auf die Barbaren

Freitag, den 16. Januar 2009

J. M. Coetzee
J. M. Coetzee (Quelle: wikipedia)

»Vielleicht gegen Ende des Winters«, denke ich, »wenn der Hunger richtig zubeißt, wenn wir frieren und Mangel leiden oder wenn der Barbar wirklich vor dem Tor steht, vielleicht werde ich dann die Ausdrucksweise eines Beamten mit literarischen Ambitionen aufgeben und anfangen, die Wahrheit zu erzählen.«

J. M. Coetzee
aus: »Warten auf die Barbaren«
© S. Fischer Verlag (2001)

••• Zwischen den Jahren habe ich in Feinschmeckermanier (langsam und in kleinen Happen) J. M. Coetzee gelesen. Natürlich sollte man diesen Autor längst kennen. Dem Nobelpreis für Literatur, den Coetzee 2003 erhielt, gingen diverse andere hochkarätige Würdigungen seines Werks voraus, u. a. eine zweimalige Auszeichnung mit dem Booker Prize.

»Warten auf die Barbaren« ist keines der Booker-Prize-Bücher, aber ungeachtet dessen ein lohnender Einstieg in Coetzees Werk.

Der Roman spielt großteils in einer Grenzstadt eines zeitlich und örtlich nicht näher bestimmten »Reiches«. Der oberste Vertreter dieses Reiches in der Stadt ist der Magistrat, ein Verwaltungsbeamter, der auch für die Rechtsprechung zuständig ist. Der Magistrat berichtet als Ich-Erzähler seine Erlebnisse, Reflexionen und die Geschehnisse in der Stadt nach Eintreffen eines gewissen Oberst Joll.


Den ganzen Beitrag lesen »

Freie Hörbücher

Sonntag, den 11. Januar 2009

••• Nachdem Journalist, Hörfunk- und Fernsehsprecher Johannes M. Ackner für die Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig diverse Hörbücher eingelesen hatte, initiierte er eine Website für freie Hörbücher. Auf vorleser.net werden unterdessen an die 500 MP3-Hörbücher zum freien Download angeboten, allesamt eingelesen von professionellen Sprechern und Sprecherinnen.

Möglich ist das kostenfreie Angebot, weil es sich bei den eingelesenen Texten vor allem um solche mit ausgelaufenem Copyright handelt, wie sie in Textform u. a. auf den Seiten des »Projekt Gutenberg« präsentiert werden.

Da die Sprecher kaum pro bono arbeiten dürften, ist die Seite mit Google-Ads geradezu überladen. Eine weitere Einnahmequelle sind jedoch auch kommerzielle Hörbücher, aus denen gratis nur Teile angeboten werden – so etwa die Hörbuchausgaben der Lutherbibel und des Korans. Nicht zuletzt verkauft vorleser.net im angegliederten Shop auch Hörbücher anderer Audio-Verlage als Download.

Das Angebot von Vorleser.net wird laufend erweitert, ein Ende des Wachstums ist noch nicht abzusehen. Inzwischen nehmen mehr als 30 professionelle Sprecherinnen und Sprecher regelmäßig neue Hörbücher für das Portal auf. So wird in absehbarer Zeit ein Kanon der klassischen Literatur als kostenloses Hörbuch zur Verfügung stehen. Aber auch zeitgenössische Schriftstellerinnen und Schriftsteller nehmen einen immer größeren Raum auf Vorleser.net ein.

Vergleichbare Online-Angebote gibt es übrigens auch für französische, holländische und englische Gratis-Hörbücher.