Archiv der Kategorie 'Prosa'

Und danach – traf mich die Peitsche

Dienstag, den 25. August 2009

Truman Capote im Alter von 14 Jahren (1948) - Foto: Carl van Vechten (aus der Van Vechten Collection der Library of Congress)
Truman Capote im Alter von 14 Jahren
Foto: Carl van Vechten (aus der Van Vechten Collection der Library of Congress)

When God hands you a gift, he also hands you a whip; and the whip is intended for self-flagellation solely. […] Writing stopped being fun when I discovered the difference between good writing and bad and, even more terrifying, the difference between it and true art. And after that, the whip came down.

Truman Capote (1924-1984)

••• »Wem Gott eine Gabe schenkt, dem gibt er auch eine Peitsche; und die Peitsche dient einzig der Selbstgeißelung. […] Das Schreiben hörte auf, mir Spaß zu machen, als ich den Unterschied zwischen gutem und schlechtem Schreiben entdeckte und – schrecklicher noch – den Unterschied zwischen Schreiben und wahrer Kunst. Und danach – traf mich die Peitsche.«

Heute vor 25 Jahren starb Truman Capote

Malerin und Modell

Dienstag, den 4. August 2009

Benjamin Stein 2009 - Foto: © Oliver Maier
Foto: © Oliver Maier (2009)

••• Ich lasse mich nicht gern fotografieren. Das hat, ich gebe es ohne Umschweife zu, mit einer gewissen Eitelkeit zu tun oder vielmehr einem Komplex, den ich von Kindheit an mit mir herumtrage, inzwischen stark gemildert, doch nie ganz überwunden. Die Muskeln, die mein rechtes Auge bewegen sollten, verweigern seit meiner Geburt den Dienst, und so steht dieses Auge unbeweglich im äußersten rechten Augenwinkel und starrt – inzwischen nahezu blind – ins Leere. Dieses Auge hat wenig Liebe erfahren im Laufe der Jahre, weder von mir noch von anderen. Vielleicht rächt es sich dafür, indem es sich auf Fotos so dominant und irritierend in Szene setzt.

Wenn es um Porträts von mir geht, zitiere ich gern Picasso, der einer von ihm gemalten und über das Ergebnis tief enttäuschten Dame erwiderte: »Madame, eine wie Sie sollte sich fotografieren lassen. Dann sind sie sechs Zentimeter groß und grau.« Mir liegt dieses Format nicht.

Gemalt zu werden, ist mir deutlich lieber, und tatsächlich sind es vier Gemälde, in denen ich mich vor Jahren zum ersten und vielleicht einzigen Mal ganz als mich selbst wiedererkannte. Die Bilder sind verschollen wie auch die Malerin, der ich Modell gesessen habe. Das macht mir die Sache noch sympathischer. Denn viel plastischer als die Gemälde selbst ist mir in Erinnerung, wie sie entstanden sind. Die Geschichte also ist mir geblieben. Und in Geschichten fühle ich mich noch immer am wohlsten.


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Das Subjekt im Auto

Donnerstag, den 23. Juli 2009

Betrachten wir noch einmal das Modell, nach dem wir schon seit zweitausend Jahren denken und sehen. Es ist das Subjekt/Objekt-Denken, also ein Denken und Sehen, das rein und ausschließlich von unserem Ich ausgeht. Cartesius hat es auf das Cogito, auf den einzelnen Menschen reduziert und ein für allemal für verbindlich erklärt. Heute sitzt das Subjekt im Auto und beherrscht die Welt, zumindest die Oberfläche. Wir sehen nur noch das, was unsere Scheinwerfer beleuchten; wir sind, was wir fahren, und wer mir nicht glaubt, der spitze bitte seine Ohr! »Ich stehe vor der Oper«: Dieses Sätzlein wird in knapp fünf Minuten, am Ende meines Vortrags, mehrfach fallen. Die Personen, die es äußern, werden allerdings im Innern des Hauses stehen, nicht davor. »Ich stehe vor der Oper«, das besagt nichts anderes als: Mein wahres Ich ist mein Auto.

Thomas Hürlimann, aus:
»Das Holztheater« (Geschichten und Gedanken am Rand)
© Ammann Verlag 1997

••• Letzte Woche habe ich Pynchon gelesen. Ich habe es jedenfalls – mit mehreren Titeln – versucht. Dieser, wie viele meinen, bedeutendste amerikanische Gegenwartsschriftsteller bekommt mir allerdings gar nicht. Weg damit also. Und ich griff aus Mangel an Lesestoff für die U-Bahn wieder einmal ins Regal mit den schönen Ammann-Bänden aus der Meridiane-Reihe. Diese Bücher habe ich aus ästetischen Gründen gesammelt, aber bei weitem noch nicht alle gelesen. Dieses Mal griff ich Hürlimann heraus.


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Eine Beschwörung

Montag, den 13. Juli 2009

Krötenkarneval

Markus A. Hediger: Krötenkarneval – Autobiographische Fiktionen
ISBN 978-39523236-5-6, 160 Seiten, Gallimard-Paperback












Euro 14,-
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••• Dies ist eine Beschwörung. Schaut in den »Rückspiegel« und stellt fest: Wer Hedigers Buch noch nicht gelesen hat, der hat etwas verpasst. Und das würde ich auch felsenfest behaupten, wenn ich nicht der Verleger dieses wunderbaren Bandes wäre. Die Titelgrafik übrigens stammt von der Herzdame, nach wie vor mein favorisiertes Cover unter den Editionstiteln.

Finstere Bilanz

Montag, den 13. Juli 2009

J. D. Salinger 2009
J. D. Salinger (2009)

••• In den letzten zwei Wochen habe ich zum ersten Mal Salinger gelesen. Um welches Buch es sich handelte, muss man ja nicht erwähnen. Ich war enttäuscht und begeistert. Enttäuscht hat mich der nach meinem Geschmack völlig unspannende Ablauf dieser Teenager-Geschichte. Begeistert hingegen war ich von der für mein Gefühl sehr gut getroffenen Sprache, die Salinger seinem Helden Caulfield verpasst. Ich habe die aktuelle Ausgabe von Kiepenheuer & Witsch gelesen in der Übersetzung also von Eike Schönfeld von 1962 und offenbar im Jahr 2003 nachträglich in die neue deutsche Rechtschreibung übertragen, die mir an manchen Stellen wirklich Beschwerden bereitet. Es tut mir Leid. Auch wenn das sinnvoll ist, ich gewöhne mich nur allzu langsam daran und stocke jedes Mal wieder im Lesefluss.

Wie es möglich war, dass sich dieser Roman unterdessen sage und schreibe mehr als 75 Millionen mal verkauft hat, ist mir ein Mysterium. Als Autor ist Salinger nach diesem Streich verstummt und ist es bis heute – 40 Jahre später – geblieben. Ich finde das okay. Wer wollte einen Autor zwingen, Buch auf Buch zu schreiben, nur weil dieser Roman ein solcher Erfolg war?

D. G. Myers vom »Commonplace Blog« sieht das in seinem Beitrag »Suspended in literary amber«, den ich bei ihm – what a coincidence – vor wenigen Tagen las, weniger versöhnlich:

Like an overprotective parent, Salinger has fought desperately to prevent Holden from achieving independence, and the folie à deux has arrested the development of both. Among other things, The Catcher in the Rye is a less interesting novel because it has had no descendants and inheritors, only rivals and apes.

Spurwechsel

Freitag, den 10. Juli 2009

Diamond District Antwerpen
Diamond District Antwerpen

••• Dem treuen Team, das mir während der Arbeit an der »Leinwand« zur Seite stand, habe ich gestern ein ausführliches Exposé für einen neuen Roman geschickt. Die Antworten waren so, dass mir nun wohl nichts anderes übrig bleibt, als jäh die Spur zu wechseln, »Pans Wiederkehr« links liegen zu lassen und mit den Recherchen für dieses neue Buch zu beginnen. Es ist eine faszinierende Geschichte, und es wird wieder eine herausfordernde und – wie ich finde – interessante Erzählkonstruktion. Arbeitstitel: »Diamond District«.

Ein Exposé ist noch kein Buch, sagt die Herzdame gerade. Nun ja, das ist wohl so. Aber so klar wie dieses Buch habe ich »Die Leinwand« anfänglich noch nicht vor Augen gehabt.

Wieviel Erde braucht der Mensch?

Dienstag, den 30. Juni 2009

Der Knecht nahm die Hacke, grub Pachom ein Grab, genau so lang wie das Stück Erde, das er mit seinem Körper, von den Füßen bis zum Kopf, bedeckte – sechs Ellen –, und scharrte ihn ein.

••• ANHs gestrige Bemerkung zu Michael Jackson scheint mir deutlich den Tatbestand der Herzlosigkeit zu erfüllen. Ich stehe nicht unbedingt im Verdacht, ein ausgesprochener Jackson-Fan zu sein. Lasse ich aber einmal diese Biographie Revue passieren, sehe ich eine Art Sklaven vor mir, der weder je Kind sein noch später kaum einmal er selbst sein durfte. Es mag ihm sogar schwer gefallen sein, zu erahnen, was dieses Selbst tatsächlich hätte ausmachen können.

Den derzeit hinausgespülten Berichten über Jackson kann man kaum glauben. Aber in einigen scheint mir doch das gewisse Körnchen Wahrheit zu stecken. Allein der Bericht der »Daily Mail« vom letzten Wochenende kann einem das kalte Grausen bereiten. Man muss den Eindruck gewinnen, da sei jemand kalkuliert in den Tod gehetzt worden – weil er tot mehr »wert« ist als lebendig.

Da fällt es mir schwer, nachzuvollziehen, wie man die Bemerkung »Einer weniger, na und? Ja, wenn es Mantler gewesen wäre oder Jack Bruce…« so leicht über die Lippen bekommt. Diese Art Wertung eines Menschen unterscheidet sich von jener der gierigen Eltern und »Berater« nur in der Währung.

Gier… Bei diesem Stichwort fielen mir die einfachen einstöckigen Häuschen mit Flachdach auf Fuerteventura ein, die man dort gelegentlich sieht. Jemand erzählte mir, dass auf der Insel nach wie vor ein altes spanisches Gesetz in Kraft ist, das folgendes festlegt: Gelingt es jemanden, binnen 24 Stunden ein vollständiges bewohnbares Haus auf herrenlosem Grund zu errichten, erwirbt er damit das lebenslange unentgeltliche Bleiberecht auf dem vereinnamten Boden.


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