Archiv der Kategorie 'Prosa'

Epilog

Donnerstag, den 17. September 2009

Truman Capote & Autograph
Truman Capote & Autograph

Es werden mehr Tränen über erhörte Gebete vergossen als über nicht erhörte.

Theresa von Avila (aus d. Gedächtnis nach T. Capote)

••• Am vorletzten Tag des Jahres kommt ein Epilog gerade recht, umso mehr, wenn darin von »Answered Prayers«, also erhörten Gebeten, und Tod die Rede ist.

Am Wochenende liegen die Bücher des Gerichts offen da: Wer wird leben, wer wird sterben? Und wenn ich dieses Jahr an den »großen weißen Tagen« meinen Kittel anziehe – Vorgeschmack auf die Tachrichim, die Grabkleider – wird das nach meinen Erfahrungen in Antwerpen noch einmal eine ganz andere Dimension haben als in den Jahren zuvor.

Mit dem Gebet ist es auch so eine Sache. Man muss vorsichtig sein. Man könnte erhört werden.


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Seppuku

Montag, den 14. September 2009

Yukio Mishima
Yukio Mishima (1925-1970)

••• Die leidige Kränkelei der letzten Woche hat mich weit hinter alle Planung zurückfallen lassen. So kommt es mir jedenfalls vor; dabei bin ich nur acht Tage »ausgefallen«. Immerhin konnte ich Scheuer lesen. Heute bin ich wieder zu meiner U-Bahn-Lektüre zurückgekehrt. Das ist noch immer Lawrence Grobels Interview mit Capote.

Es wundert nicht, dass Capote sehr pointierte und in aller Regel nicht eben schmeichelhafte Meinungen über die Autoren seiner Zeit hatte. Und natürlich geht er auch heftig mit der Nobelpreis-Jury ins Gericht. Einen der von dieser Jury zwar erwogenen, am Ende aber doch nicht bedachten Autor, hebt Capote allerdings hervor, den Japaner Yukio Mishima.

Gelesen habe ich von Mishima noch nichts (wer hat?), aber vor Monaten bin ich schon einmal auf ihn gestoßen. Damals las ich zum wiederholten Mal »Die Kunst des Krieges« von Sunzi und stöberte in den Online-Ressourcen nach Informationen über den korrekten Ablauf des Seppuku-Rituals. Sunzi wie auch Tsunetomo Yamamoto in seinem »Hagakure« widmen diesem Selbsttötungsritual einiges an Aufmerksamkeit.

Seit der Meiji-Restauration im Jahr 1868 ist Seppuku in Japan offiziell verboten. Das hinderte den Schriftsteller Yukio Mishima jedoch nicht daran, am 25. November 1970 öffentlich und im Beisein von Journalisten Seppuku zu begehen.


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Jugend

Samstag, den 12. September 2009

Wolfgang Koeppen (1991), Foto: Joseph Gallus Rittenberg
Wolfgang Koeppen (1991), Foto: Joseph Gallus Rittenberg

••• Letztens sprach ich mit Dina, die hier in München das jüdische Altenheim leitet, in der Synagoge über Wolfgang Koeppen. »Den haben wir alle sehr gemocht«, sagte sie. Wie wir auf ihn zu sprechen gekommen sind, weiß ich nicht mehr. Aber ich erfuhr einige wohl weniger bekannte Geschichten aus seinen letzten Jahren. Sein Verleger Unseld hatte für den hochbetagten Schriftsteller, als er sich nicht mehr allein zu Hause behelfen konnte, mit verschiedenen Altenheimen in München verhandelt, den mittellosen Autor ohne Krankenversicherung aufzunehmen. Das jüdische Altenheim erklärte sich bereit, obgleich Unseld nicht die vollen Kosten tragen konnte. Der Verleger hoffte noch immer auf den lange erwarteten »großen Roman«; und so bekam Koeppen ein Appartement mit zwei Zimmern und einer kleinen Terrasse und dazu eine Sekretärin. Sie soll nicht sehr helle gewesen sein, was wohl eine Voraussetzung dafür war, tagelang mit gezücktem Block neben Koeppen auszuharren, dem zunehmend Altersdemenz zusetzte und der weit davon entfernt war, noch ein großes Werk zu diktieren, wie Unseld hoffte.

– Wo bin ich denn?
– Im jüdischen Altersheim, Herr Koeppen.
– Soso… Aber ich esse keine Zwiiiiiebeln!


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Überm Rauschen

Freitag, den 11. September 2009

••• Das Wasser rauscht übers Wehr hinterm Gasthaus. Rauschen heißt auch der Fluss in der Eifel, den das Wehr aufstaut und so einen ruhigen Seitenarm bildet, in dem sich gut fischen lässt. »Überm Rauschen« ist schließlich der Titel des neuen, im Juni bei C. H. Beck erschienenen Romans von Norbert Scheuer. Und berauschendes Rauschen ist die lyrische Prosa, in der Scheuer sich in diesem Buch dem Erinnern an eine Kindheit und Jugend in jenem Gasthaus am Wehr — überm Rauschen eben — nähert und der Suche nach einem mytischen Fisch nachspürt, der sich vom geschicktesten Angler nicht fangen lassen will: das Glück, geliebt zu werden.

»Wenn Dichter Romane schreiben…«, meinte Undine Materni einmal schnippisch zu mir als erste Reaktion auf das »Andere Blau«. Ich nahm das nicht eben als Begeisterungsäußerung. Was für Romane sind das?, fragte ich mich natürlich, und mir kamen schmale, großzügig gesetzte Bücher in den Sinn, die einem den Zugang nicht eben leicht machen. Ich dachte an Woolfs »Wellen«, an Hermlins »Abendlicht« und Mayröckers »Reise durch die Nacht«. Aber gelegentlich kann so etwas auch ganz anders ausgehen. Scheuers poetische Variationen über den Fluss, seine Geräusche, Gerüche und Lichtspiegelungen, aus denen die Erinnerungen aufsteigen, sind ähnlich dicht wie Woolfs Betrachtungen des Meeres in den »Wellen«. Scheuer aber beweist sich in dieser dichten Sprache auch als Erzähler, der zu fesseln vermag und — bei aller Ruhe des Erzählflusses — einen Sog erzeugt, dem man sich als Leser bereitwillig hingeben kann.


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In Memoriam Truman Capote

Montag, den 31. August 2009

Ein Gastbeitrag von D. G. Myers
(Englische Originalversion v. 25. 08. 2009)

Truman Capote

••• Heute ist die Jahrzeit von Truman Capote, der fünfundzwanzigste Jahrestag seines Todes wegen einer »Lebererkrankung, kompliziert durch Venenentzündung und multipler Drogenvergiftung«, wie der Untersuchungsbeamte des Bezirks Los Angeles pflichtgemäß berichtete – wenngleich Jahrzeit womöglich nicht das passende Wort ist im Zusammenhang mit jemandem, der einst »die jüdische Mafia in der amerikanischen Literatur« attackierte, die »den Literaturbetrieb weitgehend kontrolliert« mithilfe von »jüdisch dominierten« Publikationen, die »das Schicksal von Schriftstellern in der Hand haben, indem sie ihnen Aufmerksamkeit schenken oder sie zurückhalten«.1

Die Provokation, die sich hinter Capotes Ausfall verbirgt, offenbart sich nicht auf den ersten Blick. Von »Commentary«, der am stärksten von Juden beherrschten Publikation von allen, kann kaum behauptet werden, dass sie »In Cold Blood« (»Kaltblütig«), überging, hat sie dieses Buch in ihrer Ausgabe vom Mai 1966 doch mit immerhin 2.200 Wörtern gewürdigt. William Phillips, der Rezensent, der zufällig auch die »Partisan Review« herausgibt, eine weitere von Juden beherrschte Publikation, räumte sogar ein, dass das Buch »auf seine Art gut« sei, wenn er auch die Frage hinzufügte – »wie in dem alten jüdischen Witz – ob ‚Kaltblütig‘ auch gut für die Literatur sei«.2 Vielleicht hatte Truman keinen Sinn für jüdischen Witz.


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D. G. Myers zu »Kaltblütig«

Mittwoch, den 26. August 2009

••• Ich lese mit andauernder Begeisterung D. G. Myers‘ »A Commonplace Blog«. Myers ist Associate Professer for English and Religious Studies an der Texas A&M University. Seine Artikel – publiziert in einschüchternder Länge und Frequenz – zeugen von seinem umfassenden Wissen nicht nur im Bereich der Literatur. Entdeckungen und neue Erkenntnisse sind garantiert, wenn man im »Commonplace Blog« stöbert.

Anlässlich meiner gestrigen Reminiszenz an Capote kam ich auf die Idee, Myers anzuschreiben und um einen Gastbeitrag zu Capote zu bitten. »Frühstück bei Tiffany« bescherte mir im letzten Jahr zwei glückliche Tage. Es ist nach meiner unmaßgeblichen Überzeugung einer der wenigen wirklich makellosen Romane, die ich je gelesen habe.

D. G. Myers sagte spontan zu und schickte wenig später seinen Beitrag. Ich hatte vor, ihn zu übersetzen und zeitgleich mit Myers Originalversion in seinem Blog hier im Turmsegler zu publizieren. Das ist mir nicht gelungen. Für die Übersetzung hätte ich sicher einen Tag gebraucht (und werde sie nachreichen, wenn die Turmsegler-Leser das wünschen). Vor allem aber war der Beitrag, als ich heute morgen (in anderer Zeitzone als Myers) erwachte, bei ihm bereits erschienen.


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Remembering Truman Capote

Dienstag, den 25. August 2009

A guest contribution by D. G. Myers

Truman Capote

••• Today is the yortsayt of Truman Capote—the twentieth-fifth anniversary of his death from „liver disease complicated by phlebitis and multiple drug intoxication,“ as the Los Angeles County coroner dutifully reported—although yortsayt may not be the best word to use in connection with someone who once attacked „the Jewish Mafia in American letters“ which „control[s] much of the literary scene“ through „Jewish-dominated“ publications that „make or break writers by advancing or withholding attention.“1

The provocation behind Capote’s rant is not immediately clear. Commentary, the most Jewish-dominated publication of them all, hardly withheld attention from In Cold Blood, devoting twenty-two hundred words to the book in its May 1966 issue. William Phillips, the reviewer, who also happened to edit the Partisan Review, another Jewish-dominated publication, even allowed that the book was „good in its own way,“ although he went on to ask—“as in the old Jewish joke—whether In Cold Blood was good for literature.“2 Maybe Capote could not take a Jewish joke.


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