Archiv der Kategorie 'Prosa'

Die unsichtbaren Städte

Donnerstag, den 18. Februar 2010

Italo Calvino
Italo Calvino (1923-1985)

••• Über einen Wikipedia-Artikel bin ich auf ein Juwel gestoßen. Seit gestern lese ich in Calvinos »Die unsichtbaren Städte«, und zwar in der Hanser-Neuübersetzung von Burkhart Kroeber (die Übersetzerangabe bei amazon ist falsch).

Das Buch besteht aus fiktiven Städteporträts in Form von Prosagedichten. »Marco Polo, der große venezianische Asien-Reisende im späten 13. Jahrhundert, berichtet dem alternden Mongolenherrscher Kublai Khan, Begründer der Yuan-Dynastie und somit Kaiser von China, an lauschigen Abenden in dessen Palast zu Kambaluk (= Peking), in welche Städte er auf seinen Inspektionsreisen durch das weitläufige Reich gekommen ist.«


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Salingers Safe

Freitag, den 29. Januar 2010

••• Letzten Mittwoch starb Jerome David Salinger, Autor des »Fänger im Roggen« im Alter von 91 Jahren. Seine letzte Erzählung erschien vor 45 Jahren, nicht etwa, weil der bekennende Grantler Salinger nicht mehr geschrieben hätte, sondern weil er nicht veröffentlichen wollte.

»There is a marvelous peace in not publishing«, gab er 1974 der New York Times zu Protokoll: »Publishing is a terrible invasion of my privacy. I like to write. I love to write. But I write just for myself and my own pleasure.«

Kaum ist Salinger kalt, überstürzen sich nun die Spekulationen über die mutmaßlichen literarischen Schätze, die er in all den Jahren produziert haben mag. Seine Tochter berichtet, er hätte die Manuskripte mit Farbmarkierungen versehen, wenn er sie ablegte: Rot für »kann so veröffentlicht werden«, Blau für »braucht Lektorat«.


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Das Leben gefiltert

Mittwoch, den 20. Januar 2010

Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras (Suhrkamp)

Mitternacht schlägt es vom Turm. Es endet der Tag. Ein Kalenderblatt fällt. Man schreibt ein neues Datum. Die Redakteure gähnen. Die Druckformen der Morgenblätter werden geschlossen. Was am Tage geschehen, geredet, gelogen, erschlagen und vernichtet war, lag in Blei gegossen wie ein flacher Kuchen auf den Blechen der Metteure. Der Kuchen war außen hart, und innen war er glitschig. Die Zeit hatte den Kuchen gebacken. Die Zeitungsleute hatten das Unheil umbrochen, Unglück, Not und Verbrechen; sie hatten Geschrei und Lügen in die Spalten gepreßt. Die Schlagzeilen standen, die Ratlosigkeit der Staatenlenker, die Bestürzung der Gelehrten, die Angst der Menschheit, die Glaubenslosigkeit der Theologen, die Berichte von den Taten der Verzweifelten waren vervielfältigungsbereit, sie wurden in das Bad der Druckerschwärze getaucht. Die Rotationsmaschinen liefen. Ihre Walzen preßten auf das Band des weißen Papiers die Parolen des neuen Tages […]

Wolfgang Koeppen
»Tauben im Gras / Das Treibhaus / Der Tod in Rom«
Bibliothek Suhrkamp 926, S. 220

••• Einmal mehr stehe ich in geradezu ehrfürchtiger Bewunderung vor Wolfgang Koeppens Prosa. Vor Monaten habe ich mir den 600 Seiten starken Band 926 der Bibliothek Suhrkamp bestellt, der die Romane von Koeppens Nachkriegstrilogie (»Trilogie des Scheiterns«) enthält. Seither lese ich »Tauben im Gras« – in homöopatisch zu nennenden täglichen Dosen wie seinerzeit schon »Jugend«. Heute morgen kam ich zur oben zitierten letzten Seite …


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Abenteuertee

Sonntag, den 17. Januar 2010

Lapsang Souchong
Lapsang Souchong (拉普山小種/正山小种)

••• Schon mal was von Lapsang Souchong gehört? Ich auch nicht. Bis eben jedenfalls. Da ist mir doch tatsächlich eine Delikatesse durch die Lappen gegangen, die La Tortuga aka Ursula T. Rossel Escalante Sánchez auf ihrem virtuellen Postamt »Notizen aus Kangerlussuaq« angerichtet hat.

Lapsang Souchong ist – ein Tee, und was für einer. Dass ich das nun doch noch erfahren durfte, verdanke ich dem litblogs-Lesezeichen 04/2009, das kürzlich online ging und neben dieser Tee-Rafinesse auch noch andere literarische Schmankerln zu bieten hat. Stöbern lohnt sich.

Mein Hut lüftet sich leis in Richtung La Tortuga für dieses Bijoux. In einem Punkt allerdings irrt unsere Feinschmeckerin definitiv:

Es gibt ja auch kaum Essbares, das roh schmeckt, bis auf manche Fleischsorten und Eier.

Wir sollten mal gemeinsam Sushi essen!

Ich dachte an die goldenen Zeiten

Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Red Shoes

Das Vorabexemplar des ersten Buches meines Mannes wollte und wollte nicht kommen, er hatte sogar zu trinken aufgehört und brüllte nachts, er werde aus dem Fenster springen, er werde sich vor einen Zug werfen, da zog ich an meinem nächsten freien Tag mein Paradekleidchen und meine roten Schuhe mit den Stöckelabsätzen an, ich nahm meinen Regenschirm und machte mich auf den Weg zum Verlag.

Bohumil Hrabal (1914-1997)
aus: »Ich dachte an die goldenen Zeiten«

••• Endlich mal ein bisschen Farbe hier im Turmsegler! Gestern hat mir die Herzdame einen echten Hrabal geschenkt: »Ich dachte an die goldenen Zeiten«, ein »Perlchen auf dem Grunde«, wie die Erzählerin dieses Romans wohl sagen würde, die Ehefrau also des vom Warten gepeinigten Schriftstellers, der dem Erscheinen seines ersten Erzählbandes entgegenfiebert. Das ist einer, der die grünen Kronenscheine seines Vorschusses im Einkaufsnetz (!) durch Prag trägt, was der Dame die Bemerkung einer Passantin einträgt: »Sie erleben wohl so allerlei mit ihm, nicht wahr?«

Nun habe ich mich gefragt, was für »rote Schuhe mit den Stöckelabsätzen« das gewesen sein mögen – vom »Paradekleidchen« zu schweigen, mit deren Hilfe die Dame dem Verlag das Vorabexemplar abzunötigen versuchte. Das wird im Text leider nicht vertieft. Aber wir erfahren immerhin, wie die roten Schuhe und der Regenschirm eingesetzt wurden…

Wie Hrabal hier mit den Motiven umgeht und sie variiert und transponiert – die Schuhe, den Schirm, die Farbe Rot, das Tänzeln – und wie er im Moment, da doch »das Größte« verhandelt wird, plötzlich die Diminutive bemüht – Schirmchen, Bändchen, Päckchen … – die zuvor ausgerechnet den roten Schühchen vorbehalten waren, mit denen … nun ja … wow!, das ist großartig.


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