Archiv der Kategorie 'Prosa'

Liebevoller Optimismus

Mittwoch, den 2. Juni 2010

••• Da Jan Faktors neuer Roman die unsittliche Länge von 636 1/2 Seiten hat, werde ich wohl noch eine Weile brauchen, bis ich mehr darüber schreiben kann. »Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag« – das ist jedenfalls mal ein gewichtiger Titel. Und eingetaucht bin ich in Faktors Erzählungen schon allein deswegen liebend gern, weil mich die Frauenwirtschaft, in der Georg in Prag aufwächst, angenehm an die Marková-Frauendynastie aus dem »Alphabet des Juda Liva« erinnert.

Eine Passage will ich, wenn ich auch noch 437 1/2 Seiten vor mir habe, doch gleich mit den Turmseglern teilen. Sie stammt aus dem Kapitel über Georgs »Hauptgroßmutter Lizzy«, die eine echte Optimistin war.

Wenn sie krank war, ließ sie sich nicht gern von anderen bedienen, sie pflegte sich am liebsten allein – leise, unauffällig, sie klagte nie. Um ihre Genesung voranzubringen, badete sie so lange im heißen Wasser, bis sie im Gesicht rot wurde wie ein Krebs – und am nächsten Tag war sie in der Regel tatsächlich wieder gesund und voller Optimismus. Ihren Optimismus versuchte sie sowieso in jeder Lebenslage zu wahren. Auch ihr erster Eindruck von Auschwitz war seinerzeit – trotz einiger Auffälligkeiten – nicht der schlechteste. Nach einem kurzen Blick aus der Fensterluke sagte sie zu ihren Töchtern noch im Viehwaggon:

– Hier wird es gut sein.

Wow! Da musste ich erst einmal absetzen.


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Üben, üben, üben?

Mittwoch, den 26. Mai 2010

Anton Tschechow: Die schönsten Liebesgeschichten (insel taschenbuch)••• Ich überlege, ob ich nicht ein paar Etüden schreiben sollte, Übungstexte, um ganz bestimmte handwerkliche Problemstellungen durchzuexerzieren. Wie man mit wenigen Worten erzählend einen Konflikt umreißt etwa. Oder wie man mit wenigen »Pinselstrichen« eine Figur beschreibt – äußerlich wie innerlich.

Als Maria Schrader letztens in den »Vorlesern« von den Erzählungen Tschechows schwärmte, nahm ich sie mir mal wieder vor, und diese Lektüre hat mir einige einprägsame Momente Demutserfahrung beschert.

Zwei enorm »ökonomische« Auftakte seiner Erzählungen will ich zitieren.


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Ingeborg Bachmann: Kriegstagebuch

Dienstag, den 20. April 2010

Ingeborg Bachmann. Kriegstagebuch (Suhrkamp)••• Zurück aus Hamburg erreicht mich heute eine Büchergeschenksendung von der Herzdame. Im Päckchen liegt ein schmaler grauer Band aus dem Hause Suhrkamp. Neues von der Bachmann? Kann es das noch geben? Ja, es kann. Hans Höller hat sich die Mühe gemacht, das »Kriegstagebuch« der Bachmann aus der Zeit Spätsommer 1944 bis Frühsommer 1945 (da war sie 18-19) aus dem Nachlass zu edieren.

Bevor die eingefleischten Bachmann-Fans vor Freude im Quadrat springen, muss man ein wenig Erwartungsmanagement betreiben. Das Tagebuch selbst besteht aus 15 1/2 großzügig gesetzten Seiten. Ich habe es heute früh in der U-Bahn gelesen, also innerhalb 15 Minuten. Man muss sich schon überlegen, ob man dafür 15,80 € auf den Zahlteller legen möchte. Herausgeber Höller wird sich das auch gefragt haben und liefert denn auch noch einiges an Material, das nicht von der Bachmann stammt, aber Licht auf dieses letzte Kriegsjahr und noch mehr auf das erste Friedensjahr wirft. Denn man hätte das Tagebuch mit wenigstens gleichem Recht auch »Friedenstagebuch« nennen können. Mehr als die Hälfte des Textes befasst sich nämlich mit Erlebnissen der Bachmann nach dem Eintreffen der Briten. In einen von ihnen – Jack Hamesh – verliebt sich die Bachmann.


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Die Sache zwischen uns

Freitag, den 9. April 2010

Anna-Patricia Kahn: Die Sache zwischen uns••• Ist es richtig und wichtig, dass Journalisten in Krisenregionen reisen und – womöglich inmitten bewaffneter Auseinandersetzungen – Bericht erstatten? Ist also Krieg eine Reise wert? Ein leidenschaftlicher Reporter wird das ohne Zögern bejahen. Wie aber verhält es sich, wenn die Krise überstanden, der Krieg zu Ende ist. Gibt es dann nichts mehr zu berichten?

Anna-Patricia Kahn ist im Dezember 2006, nach dem Ende des Feldzugs gegen die Hisbollah, in den Norden Israels gereist, um mit den Menschen dort, wo täglich die Hisbollah-Raketen niedergegangen waren, über ihre Erfahrungen während der Kriegsmonate zu sprechen. Sie war zwischen 1997 und 2001 Nahostkorrespondentin des »Focus« mit Sitz in Jerusalem gewesen, danach für ein Jahr Media Communication Advisor für die UNO im Nahen Osten. 2002 hatte sie Israel verlassen, um in Paris, ihrer Geburtsstadt, als Psychoanalytikerin zu arbeiten. Warum machte sie sich noch einmal als Reporterin auf den Weg?

Dieser Krieg, so berichtet sie, hatte sie noch in über 1.000 km Entfernung mit Angst erfüllt. Der Krieg und die Reaktionen der Medien wie auch von Freunden: »Warum müsst ihr immer so aggressiv angreifen? Doch nichts gelernt aus der Geschichte?« Oder: »Warum bleibt ihr dort?« Ihr, ihr, ihr – und gemeint waren damit: Juden und Israelis.

Diese Reise in die Grenzgebiete Israels entwickelte sich zu einer Gratwanderung, die mich an meine eigenen inneren Grenzen brachte – und mitten in den Konflikt zwischen Israelis und Arabern, Juden und Deutschen. Und zu der Sache zwischen uns. Zu dieser Sache, die immer da ist, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Die altneue Sache, diese »Chose«, die uns nicht zur Ruhe kommen lässt.


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Bitter im Mund

Freitag, den 12. März 2010

Monique Truong: »Bitter im Mund«, C.H.Beck 2010
Monique Truong: »Bitter im Mund«, C.H.Beck 2010, Foto: © Marion Ettlinger

••• Auf Monique Truongs neuen Roman »Bitter im Mund« musste ich länger warten, als mir lieb war. Bereits vier Monate vor Erscheinen wusste ich, dass ich dieses Buch lesen muss, und ich hatte eine sehr bestimmte Ahnung, dass ich es auch mögen würde. »Bitter im Mund« ist – wie »Die Leinwand« – im Verlag C.H.Beck erschienen, und aus diesem Grund konnte ich in der Verlagsvorschau, in der auch mein Buch angezeigt wurde, bereits den Klappentext zu Truongs neuem Roman lesen, als der noch nicht einmal fertig ins Deutsche übersetzt war.

»Du würdest unter dem zerbrechen, was ich über dich weiß, kleines Mädchen.« Das sind die letzten Worte der Großmutter Linda Hammericks, und es bleibt ihr überlassen, herauszufinden, was damit gemeint war. Linda, Mitte der Siebziger Jahre in Boiling Springs, North Carolina, aufgewachsen und heute in New York lebend, hat eine Gabe, die sie vom Rest der Familie unterscheidet. Sie kann Wörter »schmecken«, und an diese besonderen Wahrnehmungen heften sich zugleich ihre Erinnerungen. Aber ihre frühe Kindheit liegt im Dunkeln, geblieben ist ihr nur ein bitterer Geschmack im Mund, den sie keinem bestimmten Wort zuordnen kann.


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