Archiv der Kategorie 'Prosa'

Einwanderer (III)

Donnerstag, den 26. August 2010

Lanzarote, Puerto del Carmen - Foto: © Kerstin S. Klein
Lanzarote, Puerto del Carmen – Foto: © Kerstin S. Klein

Bei dieser Einwandererdichte auf Lanzarote hätte es also gut sein können, dass eine Masseurin aus Köln oder ein Masseur aus Manchester vor meinem Bungalow auftaucht. Aber so kam es nicht. Pünktlich eine Minute vor der vereinbarten Zeit ratterte etwas über den kieselgepflasterten Weg der Bungalowanlage. Ich ging zur Tür und sah einen sehr großen, schlaksigen Mann in weißer Pflegerkleidung und Flipflops, der auf Rollen etwas hinter sich her zog, das wie ein zu schmal geratener Schrankkoffer aussah, hochkant in ein Rollengestell geklemmt. Der böige Wind drohte auf dem kurzen Weg mehrmals, den Koffer umzuwerfen, so dass der Masseur die letzten Meter rückwärts gehen musste, mit einer Hand ziehend, mit der anderen den mysteriösen Schrankkoffer aufrecht haltend.


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Einwanderer (II)

Mittwoch, den 25. August 2010

Wandmosaik von César Manrique im Hof seines ehemaligen Wohnhauses in Arrecife (Lanzarote), Quelle: Wikimedia
Wandmosaik von César Manrique
im Hof seines ehemaligen Wohnhauses in Arrecife (Lanzarote), Quelle: Wikimedia

Die Kanaren sind ein Magnet für Einwanderer. Das war nicht immer so. Die Inseln verdanken ihre Existenz vulkanischer Aktivität. Die letzten größeren Ausbrüche liegen gerade einmal 280 Jahre zurück. Auf der Südspitze von Lanzarote wuchs um 1730 ein gewaltiger Berg aus dem Nichts, und Lavaeruptionen und Ascheregen verwandelten die Gegend in eine bis heute lebensfeindliche Mondlandschaft. Es muss zehntausende Jahre gedauert haben, bis auf den Kanaren, nachdem sie sich als schwarze Lavafelsen aus dem Meer erhoben hatten, überhaupt Landwirtschaft möglich war, um die »Canarios« zu ernähren. Und dann kamen die Spanier…


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Einwanderer (I)

Freitag, den 20. August 2010

Lanzarote, Puerto del Carmen - Foto: © Kerstin S. Klein
Lanzarote, Puerto del Carmen – Foto: © Kerstin S. Klein

Wohlbefinden steigt bei mir von den Füßen auf. Ich musste Vierzig werden, um zu entdecken, dass eine halbstündige Fußmassage mich zu entspannen vermag wie eine ganze Woche Urlaub unter der Sonne. Wärme – ja Hitze – und Sonne verschmähe ich allerdings nach wie vor nicht, und im diesjährigen Urlaub hatten wir gleich zu Beginn reichlich davon. Als wir vor acht Tagen auf Lanzarote landeten, wehte es kräftig von Osten, also von der Sahara her, übers Meer. Statt des typischen kanarischen Sommerwetters mit 28°C und leichtem Wind empfingen uns afrikanische Wüstenwinde. Die Strandpromenade und die mit weißen Flachbungalows, Villen und Hotelanlagen gesäumten Straßen von Puerto del Carmen lagen trotz Hochsaison wie ausgestorben unter der aus tupfenlos blauem Himmel gleißenden Sonne bei Temperaturen um 50°C. Die Böen, die uns entgegenschlugen, fühlten sich an, als stünde man im Strom eines überdimensionalen, auf Höchstleistung laufenden Föns. Bei unserer Ankunft in der Bungalowanlage entschuldigte sich die Rezeptionistin mit tränenverhangenem Blick für ihre Zerstreutheit. Am Tag zuvor, berichtete sie, sei einer ihrer Hunde am Hitzschlag gestorben, und sie hätte ihre Nachbarin bitten müssen, heute während der Arbeitszeit den zweiten ihrer Lieblinge mit kalten Handtuchwickeln vorm gleichen Schicksal zu bewahren.


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Kameraden

Dienstag, den 3. August 2010

••• Literatur kann ich dieser Tage nur in homöopathischen Dosen zu mir nehmen. Lustlos schleiche ich um den Stapel der ungelesenen Neuanschaffungen herum. Da wäre einiges Lesenswerte, aber nichts »macht mich richtig an«, so dass ich dazu greifen müsste. Also habe ich vor zwei Wochen etwa in den Regalen mit den »Altbeständen« gestöbert und nach einem bb-Taschenbuch (Aufbau Verlag, DDR) von 1969 gegriffen: Franz Fühmanns Erzählungsband »Tage« (nicht zu verwechseln mit »Zweiundzwanzig Tage oder die Hälfte des Lebens«). Die darin enthaltenen Erzählungen findet man heute wahrscheinlich nur in der achtbändigen Werkausgabe (sollte man die mal bestellen?) oder aber antiquarisch in diesem oder jenem Sammelband mit Fühmann-Erzählungen.

»Tage« enthält fünf Erzählungen über Kriegserfahrungen: »Kameraden«, »Das Gottesgericht«, »Die Schöpfung«, »König Ödipus« und »Kapitulation«. Ich habe in den letzten Wochen nur die beiden ersten lesen können, jeweils in einem Stück und jeweils nachher so berauscht und demütig, dass ich es kaum beschreiben kann. Ich fühlte mich an meine Tschechow-Erfahrung erinnert, wenngleich Fühmann natürlich ganz andere Themen verhandelt und sprachlich wie technisch noch einmal ganz andere Saiten anzupft als Tschechow.


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Fiktion braucht den Tod

Freitag, den 16. Juli 2010

Es geht schließlich darum zu begreifen, dass jeder Versuch einer Selbstfindung immer in einer Selbst-Erfindung mündet. Hediger erzählt nicht von sich, sondern das erzählende »Ich«, das Markus A. Hediger heißt, erzählt sich, d.h. es erschafft sich schreibend als einen Anderen. Daher gehen diese »Autobiographischen Fiktionen« unweigerlich durch diese Verstörung: »Ich weiß nicht mehr, wer ich bin.«

••• Mit großer Freude habe ich in den »Gleisbauarbeiten« von MelusineB die Rezension zum »Krötenkarneval« von Markus A. Hediger gelesen. Das hat mehrere Gründe.

Zum ersten bin ich immer froh, wenn bloggende Autoren sich in ihren Weblogs intensiv mit Veröffentlichungen anderer Autoren auseinandersetzen, wie es – für mein Gefühl – noch zu selten geschieht. Zum zweiten formuliert die Rezension deutlicher, als ich es je hätte tun können, warum ich dieses Buch in der Edition Neue Moderne herausgeben wollte, ja musste. Und drittens schließlich freut mich, dass Hedigers Text in dieser Rezensentin eine so aufmerksame und analytische Leserin gefunden hat.

»Krötenkarneval« ist die Geschichte eines Mordes. Zu Tode kommt: der »Ich-Erzähler«.

Nachzulesen ist die Rezension nebenan bei MelusineB.