Archiv der Kategorie 'Prosa'

Die Wunde (II)

Donnerstag, den 22. Februar 2007

Als ich aufwachte, war es früh am Tag; und es musste schon längere Zeit hell gewesen sein. Ich fühlte mich auf wunderbare Weise gestärkt, und erst als ich aufstehen wollte, erinnerte mich der stechende Schmerz in meiner Pfote daran, was geschehen war. Ich lag noch immer an derselben Stelle, an der das Kleine Mädchen mich am Vortag gefunden hatte, neben dem Fangeisen. Als ich meine verwundete Pfote sah, die das Kleine Mädchen mit seinem Hemd umwickelt hatte, das unterdessen mit dunkelrotem Blut getränkt war, erschrak ich. Wie unvorsichtig war es gewesen, sich jemandem so sehr anvertraut zu haben! Stundenlang hatte ich völlig schutzlos hier gelegen.


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Die Wunde

Mittwoch, den 21. Februar 2007

Not a Single Flower - © 2005-2007 Florian Freundt ~hermik@deviantart.com

Vielleicht war mein Fell nie etwas anderes als einfach das Fell eines Wolfes. Doch ein schönes Fell war es: dicht und glatt und unentbehrlich für mich, denn es wärmte, war mein Schutz, passte sich den Farben der Jahreszeiten an, eine gute, eine notwendige Tarnung auf der Jagd und auf der Flucht. Ich weiß es nicht sicher, es ist mir bisher nicht gelungen herauszufinden, ob ich unter diesem Fell auch eine solch glatte und weiche Haut habe wie das Kleine Mädchen. Einmal habe ich mir mit den Zähnen büschelweise Haare aus meinem Fell gerissen, um Gewissheit zu bekommen darüber. Und es hat mich erschreckt, was ich sah: diese kahle Stelle; und ich fand auch wirklich etwas wie Haut. Nur hatte sie gar nichts von der Haut des Kleinen Mädchens, war grau, unansehnlich, zusätzlich entstellt von dem Blut, das in zähflüssigen Rinnsalen aus einigen kleinen Wunden hervorquoll, die ich mit meinen Zähnen aufgerissen hatte. Vielleicht, dachte ich, gehört dieses hässliche Stück Haut noch zu meinem Fell, dem Fell eines Wolfes, und ich hätte doch auch eine Haut wie das Kleine Mädchen, gelblich braun und ein wenig transparent, sehr verletzlich darunter, in einer tieferen Schicht, unter meinem grauen Fell. Lange hatte ich mir die Hoffnung bewahrt, dass sie eines Tages zum Vorschein kommen, dass ich sie lieben und mein Fell entbehren könnte. Doch das ist eine eitle Hoffnung. Jetzt beginnen mir tatsächlich die Haare auszufallen, und mein Fell, das einst glatt und glänzend war, wird von Tag zu Tag dünner; doch die erhoffte Haut will sich nicht zeigen.


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Abendlicht

Montag, den 29. Januar 2007

Caspar David Friedrich - Das Grosse Gehege bei Dresden

••• Stephan Hermlins „Abendlicht“ habe ich 1980 von meiner Mutter oder meiner Großmutter geschenkt bekommen. Ein Buch zur Unzeit für mich. Ich war gerade einmal zehn Jahre alt. Nichts vom Erzählten ist mir in Erinnerung geblieben. Aber der tiefe Eindruck der Poesie dieses Buches hat sich im Gedächtnis festgesetzt.

Ich habe im Laufe der Zeit so manches Buch gelesen, von dem ich nichts oder nur wenig verstanden habe. Das machte mir gar nichts. Ich konnte immer eintauchen in die Sprache, ihrem Klang nachlauschen, ihrem Rhythmus folgen, mich in den Assoziationen verlieren, die einzelne Worte oder Wendungen in mir entzündeten.

Die Bücher hinterliessen eine Stimmung, eine Atmosphäre, Klänge und Sprachsplitter, an die ich mich noch lange erinnern konnte und noch immer erinnere. So habe ich Friederike Mayröcker gelesen, deren Prosa zu einer solchen Art des Lesens geradezu einlädt. So las ich damals aber auch das „Abendlicht“.

Es funktioniert immer noch. Seit ich das Buch vor einigen Tagen aus dem Regal gesucht habe, kann ich mich nicht davon lösen. Der gleiche Zauber, doch heute fesselt mich auch das Erzählte. Und ich finde – es gibt ja keine Zufälle – heute im „Abendlicht“ einen Abschnitt, der von einer ähnlichen Erfahrung mit dem Lesen berichtet…


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Reise durch die Nacht

Sonntag, den 28. Januar 2007

Late Night Train Spotting © 2002-2007 by renderdude

••• Die Bekanntschaft mit den Gedichten von Zbigniew Herbert verdanke ich Charlotte. Und sie war es auch, die mir eines Tages in grosser Aufregung von Friederike Mayröcker erzählte. In der schwarzen Spektrum-Reihe des Verlages Volk und Welt war 1986 ihre Erzählung „Reise durch die Nacht“ erschienen. Daraus las sie mir vor. Sie las langsam, wie beschwörend.


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Ich brauche Liebe

Sonntag, den 21. Januar 2007

Klaus Kinski

Ich brauche Liebe! Liebe! Immerzu. Und ich will Liebe geben, weil ich zu viel davon habe. Niemand begreift, daß ich nichts anderes will, als mich zu verschwenden.

••• Wir waren bei Klaus Kinski stehengeblieben. Er war einer der Grössten. Und nicht nur als Schauspieler. Ich habe ihn auch als Autor geliebt. Seine Prosa ist eine Energieexplosion. Man wird atemlos beim Lesen und kann nicht aufhören.

Seine Autobiographie ist in mehreren, stark unterschiedlichen Ausgaben erschienen, da verschiedene Klagen – unter anderem von Familienangehörigen – ihn zu diversen Kürzungen zwangen. Man sollte unbedingt versuchen, antiquarisch ein Exemplar der Erstausgabe mit dem Titel „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund…“ zu bekommen. Es enthält diverse Passagen, die in der heute angeboteten Edition fehlen.


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