Archiv der Kategorie 'Prosa'

Sealed with a Taste

Mittwoch, den 1. September 2010

••• Gestern erschien in den USA »Bitter in the Mouth« von Monique Truong, die englische Originalausgabe von »Bitter im Mund«, deutsch erschienen bereits im Frühjahr bei C.H.Beck. Dieser Roman hat mich in nachhaltige Begeisterung versetzt. Zu den Vattenfall-Lesetagen in Hamburg wäre ich Monique Truong um ein Haar persönlich begegnet. Leider machte uns der isländische Vulkan mit dem unaussprechlichen Namen einen Strich durch die Rechnung. Monique konnte aus den USA nicht anreisen. Per Mail allerdings haben wir uns seither ausgetauscht.

Als ich nun gestern auf Facebook ihre Ankündigung der US-Ausgabe las, habe ich forsch gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, für den Turmsegler einen Gastbeitrag zum Thema Erinnerung zu schreiben, dem Thema also, das ihr aktuelles mit meinem aktuellen Buch verbindet. In Monique Truongs Roman dreht sich alles um Worte und den Geschmack, den die Heldin Linda jeweils mit ihnen verbindet. Aus den Worten und aus Geschmackssensationen steigt bei dieser Heldin die Erinnerung auf. So hatte ich – da ich gerade im Urlaub ein gutes Stück Proust gelesen habe – die vage Hoffnung, Monique würde vielleicht etwas über die in Lindenblütentee getauchten Madeleines schreiben. Stattdessen hat sie mir eine Geschichte geschickt, in der es auch um Geschmackserinnerungen geht. Aber lest selbst.

An Monique Truong einen herzlichen Dank und beste Wünsche für das neue Buch. Wenn ihr mehr solche Geschichten von ihr lesen wollt, empfiehlt sich ein Besuch der neuen Website, auf der sie einige davon, im Laufe der letzten Jahre für Zeitungen, Zeitschriften und Websites geschrieben, zusammengestellt hat.

Den ganzen Beitrag lesen »

Einwanderer (III)

Donnerstag, den 26. August 2010

Lanzarote, Puerto del Carmen - Foto: © Kerstin S. Klein
Lanzarote, Puerto del Carmen – Foto: © Kerstin S. Klein

Bei dieser Einwandererdichte auf Lanzarote hätte es also gut sein können, dass eine Masseurin aus Köln oder ein Masseur aus Manchester vor meinem Bungalow auftaucht. Aber so kam es nicht. Pünktlich eine Minute vor der vereinbarten Zeit ratterte etwas über den kieselgepflasterten Weg der Bungalowanlage. Ich ging zur Tür und sah einen sehr großen, schlaksigen Mann in weißer Pflegerkleidung und Flipflops, der auf Rollen etwas hinter sich her zog, das wie ein zu schmal geratener Schrankkoffer aussah, hochkant in ein Rollengestell geklemmt. Der böige Wind drohte auf dem kurzen Weg mehrmals, den Koffer umzuwerfen, so dass der Masseur die letzten Meter rückwärts gehen musste, mit einer Hand ziehend, mit der anderen den mysteriösen Schrankkoffer aufrecht haltend.


Den ganzen Beitrag lesen »

Einwanderer (II)

Mittwoch, den 25. August 2010

Wandmosaik von César Manrique im Hof seines ehemaligen Wohnhauses in Arrecife (Lanzarote), Quelle: Wikimedia
Wandmosaik von César Manrique
im Hof seines ehemaligen Wohnhauses in Arrecife (Lanzarote), Quelle: Wikimedia

Die Kanaren sind ein Magnet für Einwanderer. Das war nicht immer so. Die Inseln verdanken ihre Existenz vulkanischer Aktivität. Die letzten größeren Ausbrüche liegen gerade einmal 280 Jahre zurück. Auf der Südspitze von Lanzarote wuchs um 1730 ein gewaltiger Berg aus dem Nichts, und Lavaeruptionen und Ascheregen verwandelten die Gegend in eine bis heute lebensfeindliche Mondlandschaft. Es muss zehntausende Jahre gedauert haben, bis auf den Kanaren, nachdem sie sich als schwarze Lavafelsen aus dem Meer erhoben hatten, überhaupt Landwirtschaft möglich war, um die »Canarios« zu ernähren. Und dann kamen die Spanier…


Den ganzen Beitrag lesen »

Einwanderer (I)

Freitag, den 20. August 2010

Lanzarote, Puerto del Carmen - Foto: © Kerstin S. Klein
Lanzarote, Puerto del Carmen – Foto: © Kerstin S. Klein

Wohlbefinden steigt bei mir von den Füßen auf. Ich musste Vierzig werden, um zu entdecken, dass eine halbstündige Fußmassage mich zu entspannen vermag wie eine ganze Woche Urlaub unter der Sonne. Wärme – ja Hitze – und Sonne verschmähe ich allerdings nach wie vor nicht, und im diesjährigen Urlaub hatten wir gleich zu Beginn reichlich davon. Als wir vor acht Tagen auf Lanzarote landeten, wehte es kräftig von Osten, also von der Sahara her, übers Meer. Statt des typischen kanarischen Sommerwetters mit 28°C und leichtem Wind empfingen uns afrikanische Wüstenwinde. Die Strandpromenade und die mit weißen Flachbungalows, Villen und Hotelanlagen gesäumten Straßen von Puerto del Carmen lagen trotz Hochsaison wie ausgestorben unter der aus tupfenlos blauem Himmel gleißenden Sonne bei Temperaturen um 50°C. Die Böen, die uns entgegenschlugen, fühlten sich an, als stünde man im Strom eines überdimensionalen, auf Höchstleistung laufenden Föns. Bei unserer Ankunft in der Bungalowanlage entschuldigte sich die Rezeptionistin mit tränenverhangenem Blick für ihre Zerstreutheit. Am Tag zuvor, berichtete sie, sei einer ihrer Hunde am Hitzschlag gestorben, und sie hätte ihre Nachbarin bitten müssen, heute während der Arbeitszeit den zweiten ihrer Lieblinge mit kalten Handtuchwickeln vorm gleichen Schicksal zu bewahren.


Den ganzen Beitrag lesen »

Kameraden

Dienstag, den 3. August 2010

••• Literatur kann ich dieser Tage nur in homöopathischen Dosen zu mir nehmen. Lustlos schleiche ich um den Stapel der ungelesenen Neuanschaffungen herum. Da wäre einiges Lesenswerte, aber nichts »macht mich richtig an«, so dass ich dazu greifen müsste. Also habe ich vor zwei Wochen etwa in den Regalen mit den »Altbeständen« gestöbert und nach einem bb-Taschenbuch (Aufbau Verlag, DDR) von 1969 gegriffen: Franz Fühmanns Erzählungsband »Tage« (nicht zu verwechseln mit »Zweiundzwanzig Tage oder die Hälfte des Lebens«). Die darin enthaltenen Erzählungen findet man heute wahrscheinlich nur in der achtbändigen Werkausgabe (sollte man die mal bestellen?) oder aber antiquarisch in diesem oder jenem Sammelband mit Fühmann-Erzählungen.

»Tage« enthält fünf Erzählungen über Kriegserfahrungen: »Kameraden«, »Das Gottesgericht«, »Die Schöpfung«, »König Ödipus« und »Kapitulation«. Ich habe in den letzten Wochen nur die beiden ersten lesen können, jeweils in einem Stück und jeweils nachher so berauscht und demütig, dass ich es kaum beschreiben kann. Ich fühlte mich an meine Tschechow-Erfahrung erinnert, wenngleich Fühmann natürlich ganz andere Themen verhandelt und sprachlich wie technisch noch einmal ganz andere Saiten anzupft als Tschechow.


Den ganzen Beitrag lesen »

Fiktion braucht den Tod

Freitag, den 16. Juli 2010

Es geht schließlich darum zu begreifen, dass jeder Versuch einer Selbstfindung immer in einer Selbst-Erfindung mündet. Hediger erzählt nicht von sich, sondern das erzählende »Ich«, das Markus A. Hediger heißt, erzählt sich, d.h. es erschafft sich schreibend als einen Anderen. Daher gehen diese »Autobiographischen Fiktionen« unweigerlich durch diese Verstörung: »Ich weiß nicht mehr, wer ich bin.«

••• Mit großer Freude habe ich in den »Gleisbauarbeiten« von MelusineB die Rezension zum »Krötenkarneval« von Markus A. Hediger gelesen. Das hat mehrere Gründe.

Zum ersten bin ich immer froh, wenn bloggende Autoren sich in ihren Weblogs intensiv mit Veröffentlichungen anderer Autoren auseinandersetzen, wie es – für mein Gefühl – noch zu selten geschieht. Zum zweiten formuliert die Rezension deutlicher, als ich es je hätte tun können, warum ich dieses Buch in der Edition Neue Moderne herausgeben wollte, ja musste. Und drittens schließlich freut mich, dass Hedigers Text in dieser Rezensentin eine so aufmerksame und analytische Leserin gefunden hat.

»Krötenkarneval« ist die Geschichte eines Mordes. Zu Tode kommt: der »Ich-Erzähler«.

Nachzulesen ist die Rezension nebenan bei MelusineB.

Liebevoller Optimismus

Mittwoch, den 2. Juni 2010

••• Da Jan Faktors neuer Roman die unsittliche Länge von 636 1/2 Seiten hat, werde ich wohl noch eine Weile brauchen, bis ich mehr darüber schreiben kann. »Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag« – das ist jedenfalls mal ein gewichtiger Titel. Und eingetaucht bin ich in Faktors Erzählungen schon allein deswegen liebend gern, weil mich die Frauenwirtschaft, in der Georg in Prag aufwächst, angenehm an die Marková-Frauendynastie aus dem »Alphabet des Juda Liva« erinnert.

Eine Passage will ich, wenn ich auch noch 437 1/2 Seiten vor mir habe, doch gleich mit den Turmseglern teilen. Sie stammt aus dem Kapitel über Georgs »Hauptgroßmutter Lizzy«, die eine echte Optimistin war.

Wenn sie krank war, ließ sie sich nicht gern von anderen bedienen, sie pflegte sich am liebsten allein – leise, unauffällig, sie klagte nie. Um ihre Genesung voranzubringen, badete sie so lange im heißen Wasser, bis sie im Gesicht rot wurde wie ein Krebs – und am nächsten Tag war sie in der Regel tatsächlich wieder gesund und voller Optimismus. Ihren Optimismus versuchte sie sowieso in jeder Lebenslage zu wahren. Auch ihr erster Eindruck von Auschwitz war seinerzeit – trotz einiger Auffälligkeiten – nicht der schlechteste. Nach einem kurzen Blick aus der Fensterluke sagte sie zu ihren Töchtern noch im Viehwaggon:

– Hier wird es gut sein.

Wow! Da musste ich erst einmal absetzen.


Den ganzen Beitrag lesen »