Archiv der Kategorie 'Prosa'

Combray

Freitag, den 26. Oktober 2007

Marcel Proust mit 16 Jahren

Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen. Manchmal fielen mir die Augen, wenn kaum die Kerze ausgelöscht war, so schnell zu, daß ich keine Zeit mehr hatte zu denken: ‚Jetzt schlafe ich ein.‘

Marcel Proust

••• Das obige Bild beschreibt ganz wunderbar mein persönliches Verhältnis zu Marcel Proust. Unter den besagten wichtigen Büchern, bei denen ich von meinem Recht als Leser, nicht zu Ende zu lesen, Gebrauch gemacht habe, ist „Die Suche nach der verlorenen Zeit“ vielleicht das wichtigste.

Das Lesezeichen im ersten Buch meiner 10bändigen Recherche-Ausgabe bezeugt, mit welcher unendlichen Langsamkeit ich Proust bislang gelesen habe. Es ist gut möglich, dass ich nie fertig werde. Vielleicht will ich das auch gar nicht. Ich bin bis zwei Seiten vor Schluss des ersten Teils vorgedrungen, der den Titel „Combray“ und die Aura von Kindheit trägt. Und grad weil ich noch immer nicht weitergelesen habe, ist Marcel Proust für mich noch immer ein Junge – ganz wie oben auf dem Foto. Er weigert sich, erwachsen zu werden und von den noch folgenden tausenden Seiten Prosa etwas preiszugeben.


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Die folgende Geschichte

Freitag, den 19. Oktober 2007

Keiner der anderen wird meine Geschichte hören, keiner von ihnen wird sehen, daß die Frau, die da sitzt und auf mich wartet, das Gesicht meiner allerliebsten Kriton hat, des Mädchens, das meine Schülerin war, so jung, daß man mit ihr über die Unsterblichkeit sprechen konnte. Und dann erzählte ich ihr, dann erzählte ich dir Die folgende Geschichte

Cees Nooteboom, aus: „Die folgende Geschichte“

••• Ich habe manche Angewohnheiten, die die Herzdame – wenn nicht grad scheusslich – so doch zumindest unpassend findet. Öffentlich beichtbar ist folgende: Bücher lese ich immer von hinten, die letzte Seite zuerst und dann die erste. Wenn eine(r) einen guten Abschluss hinbekommt und einen guten Beginn, lässt das hoffen. (Erinnern wir uns kurz an Primo Levis nicht gehaltene Poetik-Vorlesung…) Einmal zumindest bin ich einem Autor – Cees Nooteboom – dabei in die Falle gegangen.

„Die folgende Geschichte“ endet, wo sie beginnt oder beginnt an ihrem Ende. Worum es geht, kann man unter anderem » hier nachlesen.

Mokusei!

Donnerstag, den 18. Oktober 2007

Cees Nooteboom: Mukosei!••• Nachdem ich mich mit Nootebooms „Ritualen“ nicht recht anfreunden konnte, hat er mich mit zwei anderen Büchern später dennoch ganz und gar für sich gewonnen. Das eine davon: Mokusei!

Ein holländischer Fotograf wird nach Japan geschickt, um für Reiseprospekte Aufnahmen vom Fuji zu machen, im Vordergrund eine Japanerin in verschiedene Kimonos gekleidet. Satoko, die er Schneemaske nennen wird und in die er sich verliebt, wird ihm als Modell vermittelt. Sie führt ihn zum Fuji; und eine leise, doch deswegen keineswegs weniger intensive Liebesgeschichte nimmt ihren Lauf. Eine Geschichte von Fremdheit, die auch in der Liebe unüberbrückbar bleibt.

Ganze 75 gross bedruckte Seiten sind das, intensive, unprätentiöse Prosa, die sehr berührt. Eine einfache Geschichte, eine ehrliche Geschichte.

Ein solches Stück Kammermusik würde ich in meinem Leben gern noch schreiben. Das wäre genug.


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Religiöser Atheismus

Donnerstag, den 11. Oktober 2007

Natürlich war bei uns jedermann religiös: aus Taktgefühl. Sieben oder acht Jahre nach dem Kulturkampf unter dem Ministerium Combes sah man in dem zur Schau getragenen Unglauben den Ausdruck einer heftigen, ungezügelten Leidenschaft. Ein Atheist war ein Sonderling, ein Wildgewordener, den man nicht zum Abendessen einlud, weil man fürchten mußte, er werde aus der Rolle fallen, ein Fanatiker mit ungezählten Tabuvorstellungen, der sich das Recht versagte, in der Kirche niederzuknien, seine Tochter kirchlich zu verheiraten und dabei Tränen der Rührung zu vergießen, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, die Wahrheit seiner Doktrin durch die Reinheit seiner Sitten zu untermauern, der in einer Weise gegen sich und das eigene Glück wütete, daß er sich der Möglichkeit beraubte, getröstet zu sterben, ein Gottesnarr also, der allenthalben Seine Abwesenheit feststellte und unablässig Seinen Namen aussprach, kurzum: ein Herr mit religiösen Überzeugungen. […]


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Aufrichtigkeit

Mittwoch, den 10. Oktober 2007

Jean-Paul Sartre

••• Warum ich Sartres „Wörter“ wieder hervorgekramt habe, das habe ich schon berichtet. Nach den ersten zwanzig Seiten hätte ich nicht gedacht, ich würde mich festlesen. So ist es aber gekommen.

Sartre, der berühmte Autor, berichtet von Sarte, dem Sechsjährigen, der lesen lernte, bevor man überhaupt erwogen hatte, ihn in die Schule zu schicken. Und der zuvor schon so tat, als würde er lesen, vor allem, um die entzückte Aufmerksamkeit von Großvater Charles Schweitzer zu erregen, der seinerseits das Lesen aufgegeben hatte – jedenfalls das Lesen um des Vergnügens willen.

Es gibt viele Arten, keine Kindheit zu haben… Dies war wohl eine davon. Erst Lesen, um zu gefallen. Dann Schreiben, um zu gefallen. Und während Sartre über seine Lektüren im Kindesalter berichtet, überrascht er plötzlich mit einer Betrachtung zur Aufrichtigkeit, die vielleicht beim Lesen entbehrlich ist, jedoch nicht beim Schreiben.


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