Archiv der Kategorie 'Prosa'

Die Wunde (Schluss)

Sonntag, den 25. Februar 2007

Wolfspur im SchneeUnd dann geschah das Unglück, geschah das Unvermeidliche, das früher oder später hatte kommen müssen, denn in den Wäldern bleibt nichts verborgen, am wenigsten die Schwäche des Herrschers. So kam eines Tages mein Vetter über den Fluss, über die seit Jahren feststehende Grenze zwischen unseren Jagdrevieren, um mit mir zu kämpfen, mir meine Herrschaft streitig zu machen. In ihm trat mir meine frühere Gestalt entgegen, der kräftige, flinke, geschickte Wolf.


Den ganzen Beitrag lesen »

Die Wunde (IV)

Samstag, den 24. Februar 2007

.:.Wolve K.:. - © 2007 by ~Kitty3105@deviantart.com

Dabei hatte ich schon recht bald den Verdacht, dass nicht alle Menschen so sein konnten wie das Kleine Mädchen, so gütig und mit jener Kraft des Verzeihens, denn hätten sie sonst so über mich gesprochen? Hätten sie mich nicht vielmehr wie das Kleine Mädchen als ihresgleichen annehmen müssen, statt mich zu verleugnen und zu beschimpfen? Doch wie durch einen Zauber hatte ich alle Erinnerung an andere Menschen außer dem Kleinen Mädchen verloren, selbst die Erinnerung an den Jäger, den ich so oft gesehen, der mir immerfort nachgestellt hatte mit seinem Gewehr und mit den Fangeisen, die er, im Unterholz versteckt, ausgelegt hatte, selbst das Bild dieses Jägers war schon verblasst, so dass ich mich bald gar nicht mehr seiner erinnern konnte, ja dass er alle Bedeutung für mich verlor.


Den ganzen Beitrag lesen »

Die Wunde (III)

Freitag, den 23. Februar 2007

Wolf

Sehr lange noch blieb es so an meiner Seite sitzen und sprach zu mir. Es erzählte von den Menschen, die offenbar doch in dem Dorf leben mussten, wenn ich sie auch nicht bemerkt hatte. Und so hörte ich von dem Kleinen Mädchen, wie diese Menschen über mich sprachen, dass sie mich einen grausamen Mörder nannten, der gnadenlos umgehe in diesen Wäldern und wahllos töte, was immer ihm in den Weg komme. Dass ich blutrünstig sei, eine gefährliche Bestie. Und während das Kleine Mädchen all das sagte, hörte es nicht auf, mich in seiner furchtlos zärtlichen Art zu streicheln und zu kraulen, obgleich es doch den Erzählungen der Menschen nach allen Grund zur Furcht vor mir gehabt hätte.


Den ganzen Beitrag lesen »

Die Wunde (II)

Donnerstag, den 22. Februar 2007

Als ich aufwachte, war es früh am Tag; und es musste schon längere Zeit hell gewesen sein. Ich fühlte mich auf wunderbare Weise gestärkt, und erst als ich aufstehen wollte, erinnerte mich der stechende Schmerz in meiner Pfote daran, was geschehen war. Ich lag noch immer an derselben Stelle, an der das Kleine Mädchen mich am Vortag gefunden hatte, neben dem Fangeisen. Als ich meine verwundete Pfote sah, die das Kleine Mädchen mit seinem Hemd umwickelt hatte, das unterdessen mit dunkelrotem Blut getränkt war, erschrak ich. Wie unvorsichtig war es gewesen, sich jemandem so sehr anvertraut zu haben! Stundenlang hatte ich völlig schutzlos hier gelegen.


Den ganzen Beitrag lesen »

Die Wunde

Mittwoch, den 21. Februar 2007

Not a Single Flower - © 2005-2007 Florian Freundt ~hermik@deviantart.com

Vielleicht war mein Fell nie etwas anderes als einfach das Fell eines Wolfes. Doch ein schönes Fell war es: dicht und glatt und unentbehrlich für mich, denn es wärmte, war mein Schutz, passte sich den Farben der Jahreszeiten an, eine gute, eine notwendige Tarnung auf der Jagd und auf der Flucht. Ich weiß es nicht sicher, es ist mir bisher nicht gelungen herauszufinden, ob ich unter diesem Fell auch eine solch glatte und weiche Haut habe wie das Kleine Mädchen. Einmal habe ich mir mit den Zähnen büschelweise Haare aus meinem Fell gerissen, um Gewissheit zu bekommen darüber. Und es hat mich erschreckt, was ich sah: diese kahle Stelle; und ich fand auch wirklich etwas wie Haut. Nur hatte sie gar nichts von der Haut des Kleinen Mädchens, war grau, unansehnlich, zusätzlich entstellt von dem Blut, das in zähflüssigen Rinnsalen aus einigen kleinen Wunden hervorquoll, die ich mit meinen Zähnen aufgerissen hatte. Vielleicht, dachte ich, gehört dieses hässliche Stück Haut noch zu meinem Fell, dem Fell eines Wolfes, und ich hätte doch auch eine Haut wie das Kleine Mädchen, gelblich braun und ein wenig transparent, sehr verletzlich darunter, in einer tieferen Schicht, unter meinem grauen Fell. Lange hatte ich mir die Hoffnung bewahrt, dass sie eines Tages zum Vorschein kommen, dass ich sie lieben und mein Fell entbehren könnte. Doch das ist eine eitle Hoffnung. Jetzt beginnen mir tatsächlich die Haare auszufallen, und mein Fell, das einst glatt und glänzend war, wird von Tag zu Tag dünner; doch die erhoffte Haut will sich nicht zeigen.


Den ganzen Beitrag lesen »

Abendlicht

Montag, den 29. Januar 2007

Caspar David Friedrich - Das Grosse Gehege bei Dresden

••• Stephan Hermlins „Abendlicht“ habe ich 1980 von meiner Mutter oder meiner Großmutter geschenkt bekommen. Ein Buch zur Unzeit für mich. Ich war gerade einmal zehn Jahre alt. Nichts vom Erzählten ist mir in Erinnerung geblieben. Aber der tiefe Eindruck der Poesie dieses Buches hat sich im Gedächtnis festgesetzt.

Ich habe im Laufe der Zeit so manches Buch gelesen, von dem ich nichts oder nur wenig verstanden habe. Das machte mir gar nichts. Ich konnte immer eintauchen in die Sprache, ihrem Klang nachlauschen, ihrem Rhythmus folgen, mich in den Assoziationen verlieren, die einzelne Worte oder Wendungen in mir entzündeten.

Die Bücher hinterliessen eine Stimmung, eine Atmosphäre, Klänge und Sprachsplitter, an die ich mich noch lange erinnern konnte und noch immer erinnere. So habe ich Friederike Mayröcker gelesen, deren Prosa zu einer solchen Art des Lesens geradezu einlädt. So las ich damals aber auch das „Abendlicht“.

Es funktioniert immer noch. Seit ich das Buch vor einigen Tagen aus dem Regal gesucht habe, kann ich mich nicht davon lösen. Der gleiche Zauber, doch heute fesselt mich auch das Erzählte. Und ich finde – es gibt ja keine Zufälle – heute im „Abendlicht“ einen Abschnitt, der von einer ähnlichen Erfahrung mit dem Lesen berichtet…


Den ganzen Beitrag lesen »

Reise durch die Nacht

Sonntag, den 28. Januar 2007

Late Night Train Spotting © 2002-2007 by renderdude

••• Die Bekanntschaft mit den Gedichten von Zbigniew Herbert verdanke ich Charlotte. Und sie war es auch, die mir eines Tages in grosser Aufregung von Friederike Mayröcker erzählte. In der schwarzen Spektrum-Reihe des Verlages Volk und Welt war 1986 ihre Erzählung „Reise durch die Nacht“ erschienen. Daraus las sie mir vor. Sie las langsam, wie beschwörend.


Den ganzen Beitrag lesen »