Archiv der Kategorie 'Prosa'

Die Scheibe

Montag, den 14. Mai 2007

Ein Gastbeitrag von Markus A. Hediger
zu „Die Scheibe“ von Jorge Luis Borges

Crowley Tarot - Ace of Discs••• Ich fürchte, ich bin mit meinem ersten Beitrag über die Begegnung mit dem Phantastischen in Borges Erzählungen zu forsch vorgeprescht und habe es versäumt (wie in den Kommentaren von Michael Perkampus auch zu recht moniert wurde) den Begriff des Phantastischen bei Borges enger einzufassen. Ich will dies anhand der sehr kurzen Erzählung „Die Scheibe“ nachholen. Darin spielt Religion nur am Rande eine Rolle, was mich vor eben jenen Ausschweifungen bewahren wird, die mich in Teufels Küche bringen. Sie veranschaulicht aber sehr genau, was das Phantastische bei Borges ausmacht. Ich werde eine Definition in meiner Rolle als Leser versuchen – nicht als Germanist und ohne Rückgriff auf eine der zahlreichen Literaturmodelle, die es zur Phantastischen Literatur gibt. Bei Borges geht es immer auch um das Lesevergnügen. Wer Spass an der Lektüre hat, hat den Weg in den Text hinein schon gefunden. Dort muss er sich lediglich umsehen, um zu erkennen, worin sein Reiz liegt. Lesen, eintauchen, schauen, Spass haben: das ist die Methode, die ich hier anwenden möchte.


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Spiegel und Maske

Donnerstag, den 10. Mai 2007

Ein Gastbeitrag von Markus A. Hediger
zu „Spiegel und Maske“ von Jorge Luis Borges

Jorge Luis Borges••• Als Urlaut, der alles in sich enthält: So stelle ich mir die Sprache Gottes beispielsweise vor. Und so die Schöpfungsgeschichte: als Urlaut, der sich in winzigen Abweichungen seiner Urform zu artikulieren beginnt und so die Welten mit allem, was in und auf ihnen ist, hervorbringt. Die Verse 1-27 des ersten Kapitels des Buches Genesis gehören für mich zu den schönsten Texten überhaupt. Es ist eine einfach erzählte Geschichte aber in ihrer Einfachheit umso verstörender. Viele Nächte lang bin ich wach gelegen und habe über der Frage gebrütet, wie eine Sprache, die in der Lage ist, unser Universum hervorzubringen, beschaffen sein muss. Gott sprach und es wurde. Das ist ungeheuer.

Jorge Luis Borges, der in einigen seiner Erzählungen sehr feinfühlig dem Unerklärlichen (oder den Ungereimtheiten) in der Bibel nachgespürt hat, kann das Skandalon der göttlichen Sprache nicht entgangen sein. Aber Borges kannte die Grenzen des menschlichen Herzens und Geistes. Er wusste, dass die Sprache, die dem Menschen gegeben ist, nicht die Macht hat, tote Materie so zu ordnen, dass Leben in sie kommt. Menschliche Sprache bewegt den Geist und das Herz, nicht tote Materie. Im besten, wiewohl unmöglichen Fall bildet sie Vergangenes 1:1 ab.

Unmöglich?


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Auf den Spuren des Phantastischen

Mittwoch, den 9. Mai 2007

••• Ich freue mich sehr, für morgen den ersten Turmsegler-Gastbeitrag von Markus A. Hediger ankündigen zu dürfen.

„Niemand begegnet ungestraft dem Phantastischen“ – unter diesem Motto hat Markus ein Terzett von Beiträgen ausgelobt zu den Folgen einer Begegnung mit dem Phantastischen in den Erzählungen von Jorge Luis Borges. Der Blickwinkel, unter dem Markus die Borges-Erzählungen betrachtet, wird manchen verblüffen. Da bin ich mir sicher.

Arsen, in gewissen Abständen

Sonntag, den 15. April 2007

Ich bin abgerufen worden in das Ärztezimmer, wo der Gerichtspsychiater wartete. Schwester Friedel hat mich hingebracht und mir vor der Türe noch einmal einen tröstlichen Schlag versetzt: „Nur Mut, mein Kind, er wird sie nicht fressen. Lassen Sie sich bloß nicht bange machen.“ … Aber ich war ja in keiner Weise bange und konnte mir überhaupt nichts rechtes vorstellen. Der Primarius war da und die Oberschwester – auf deren aufgeregtes Geflatter ich allerdings gern verzichtet hätte – und dann ein fremder, kleiner, glatzköpfiger Herr, dem ich nun nachträglich innig wünsche, daß er eine Tochter hätte, die nach einem Selbstmordversuch von einem Gerichtspsychiater drangsaliert wird. Aber diese wäre ja eine Dame, und es würde sich so wohl von allem Anfang an alles anders gestalten. „Das ist also die Person?“ war das erste, was ich von ihm hörte. Der Primarius lächelte ein bißchen schief, es war ihm wohl nicht ganz angenehm, daß es so begann. „Sie haben sich also das Leben nehmen wollen. Möchten Sie uns nicht sagen, warum?“ Die Oberschwester hüpfte an das Fenster und sah mich von dort her bohrend an, der Primarius lächelte immer noch auf den Boden hin, und in der Glatze des Kleinen spiegelte sich höhnisch die Schreibtischlampe. Ich habe gelacht. Es war ein blödes und sicher sehr widerliches Lachen, und ich begreife, daß es nicht dazu beitrug, mich dem Kleinen sympathischer zu machen. „Wir haben nicht viel Zeit“, sagte er böse, und zum Primarius: „Ist sie überhaupt vernehmungsfähig?“ … Der sah daraufhin einen Augenblick eigentümlich auf und sagte: „Ich denke schon.“ … „Also bitte!“, bohrte das Scheusal ungeduldig weiter. Ich sagte stur: „Ich mag einfach nicht.“ … „Aber sie müssen doch einen Grund dazu haben. Wahrscheinlich hat sie der Freund verlassen, und es war nicht gleich ein anderer da, wie?!“ … „Es war überhaupt nie einer da.“ … „Ach so, na schön, aber nun erzählen Sie mir einmal, wie es zuhause zugeht. Sie haben ja noch Eltern, was sagen die, wenn sie solche Sachen aufführen? Wie?“ … Hier warf der Primarius etwas von Not und Elend ein, was natürlich übertrieben ist, aber entweder hatte er von meinen Andeutungen tatsächlich dieses Bild bekommen, oder er wollte mir einfach ein bißchen helfen, Der Kleine fragte zu ihm: „Aber warum arbeitet sie eigentlich nicht? Wenn sie auch etwas schwächlich zu sein scheint, so könnte sie immerhin einen leichteren Posten ausfüllen, und Arbeit vertreibt alle Dummheiten, die diese jungen Damen da im gewissen Alter manchmal ankommen. Von der Schule heraus auf einen ordentlichen, strengen Dienstplatz ist immer noch das beste Mittel gegen Hysterie. Na vielleicht haben Sie sie in einem Jahr so weit, daß man sie dann wo unterbringen kann.“ … „Sie will ja nur dichten.“ sagte da die spitze Stimme vom Fenster her. Alle lachten, warum hätte ich nicht auch lachen sollen? … „Ja, meine Teure –“, sagte da der Kleine, „diese Gewohnheiten wirst du dir freilich abgewöhnen müssen. Düchten mit Umlaut ü, gelt, wahrscheinlich kann sie nicht einmal ordentlich rechtschreiben, aber dichten will sie! Sehen Sie, Kollege, solche Geschichten kommen heraus, wenn jeder Bergarbeiter schon glaubt, seine Sprößlinge in Hauptschulen und so schicken zu müssen. Also, mein Kind, das Düchten überlaß du schön anderen Leuten, und wenn dich der Herr Primarius wieder zur Vernunft gebracht hat, so nach ein, zwei Jahren, dann sei froh, wenn du eine Gnädige bekommst, die dich zu allem Häuslichen ordentlich abrichtet. Verstanden?“ Ich war brennrot vor Wut, der Primarius dachte wohl, vor Angst, denn er hob heimlich unter dem Tisch sechs Finger hoch und meinte damit, dass ich ja nur die sechs Wochen für die Arsenkur hier bleiben brauche. Nein, ich sehe es schon ein, daß er es mir nicht leichter machen konnte, denn da die Gemeinde für die Kosten hier aufkommen muß, wird sie auch die entsprechende Unterlage und Bestätigung haben müssen, daß ich auch tatsächlich verrückt bin. Nun, das kann lieblich werden, wenn ich wieder heim komme. Aber damit mußte ich schließlich rechnen, als ich um Aufnahme hier ansuchte. Was habe ich eigentlich davon erwartet? Heilung wovon? Dachte ich wirklich, daß so und so viel Arsen, in gewissen Abständen eingenommen, meinem Leben einen Sinn geben würde?

Christine Lavant, aus:
„Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus“
© Otto Müller Verlag, Salzburg-Wien 2001


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Ich bin der Dieb unter euch

Sonntag, den 8. April 2007

Cello by lostshadow1@deviantart.com

Lange habe ich geglaubt, was immer sie spielte, wären nur Variationen über einen Ton aus dem Mikrokosmos. Davon hatte ich selbst viel in mir. Aber ich konnte nicht spielen. Die Musik fängt erst hinter den Sternen an, davor ist nur Klingeln. Wenn sie mir etwas erzählte, war ich stumm.

So ist es immer geblieben. Ich kann nur hören und sehen und nach einer Hand greifen. Meine Geschichten von Sternen gehören anderen. Ich selbst habe nichts. Ich bin der Dieb unter euch und stehle mit Augen und Ohren, jeden Ton, jede Geste und am Ende das Herz.

••• Gestern begann das zweite Kapitel vom „Anderen Blau“. Die Exposition ist abgeschlossen. Im zweiten Kapitel tritt eine neue Stimme hinzu, eine andere verstummt. Geplänkelt wird nicht mehr. So viel sei verraten.

Sergej Rachmaninov: Cello Sonate, op. 19 (2. Satz)

Die Kunst des Krieges

Samstag, den 7. April 2007

••• Jetzt ist der Ruhm nicht mehr aufzuhalten. :-) Via Referrer erfahre ich, dass mich jemand in wikipedia.de verewigt hat, wenn man bei einem Wiki von so was wie Ewigkeit sprechen kann. Der Hinweis auf die Tatsache, dass ich geschäftlich recht umtriebig bin – Manager steht da, sic! – hat mich an eine Lektüre erinnert, die zwar nicht sehr poetisch ist, aber doch sehr wichtig für mich war und ist.

Die Rede ist von einem uralten chinesischen Text: „Die Kunst des Krieges“ von Sunzi. Bevor sich jemand ereifert – das Motto, unter dem dieses Buch steht, lautet: Die grösste Kriegskunst wird bewiesen, wenn das Schwert in der Scheide bleibt.


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Diamant in Schlacken

Mittwoch, den 28. März 2007

Michael Perkampous: Seelen am Ufer des Acheron••• Am Beginn meiner journalistischen Arbeit standen Buchbesprechungen. Das schien mir zunächst vor dem literarischen Hintergrund ganz natürlich. Aber ich bin ganz schnell davon abgekommen und habe mich journalistisch statt um Dichtung um Software und Programmiersprachen bekümmert. Ich brachte es einfach nicht anders übers Herz. Autoren, dachte ich mir, brauchen doch Freunde, die sie bestätigen, ein nettes Wort, gerade nachdem ein grosses Werk abgeschlossen und endlich erschienen ist. Da sollte man doch die Drecksarbeit den Kritikern überlassen, von denen eh niemand ein Herz erwartet.

Heute frage ich mich allerdings, ob das nicht kurzsichtig war. Als Autoren brauchen wir, wenn es um Kritik geht, keine Groupies. Wir brauchen starke Freunde, die uns bestärken, wo ungerechtfertigter Zweifel uns zu übermannen droht – und die uns verunsichern, wenn es nötig ist. Ich gebe heute letzteren Part.


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