Archiv der Kategorie 'Prosa'

Krötenkarneval

Montag, den 14. Juli 2008

Der Autor dieser „Autobiographischen Fiktionen“, als Sohn protestantischer Missionare aus der Schweiz in Brasilien geboren und aufgewachsen, wandert nach 17 Jahren Zwischenaufenthalt in der Schweiz wieder nach Brasilien aus. Die Rückkehr ins Land seiner Kindheit weckt Erinnerungen. Es ist ein Wiedereintauchen in eine andere Sprache, ein anderes Land und auch eine Wiedebegegnung mit der starken religiösen Prägung, von der er sich über Jahre in einem nicht schmerzfreien Prozess emanzipiert zu haben meinte. Viele bewältigt geglaubte Konflikte brechen erneut auf, da ihnen am früheren Ort des Geschehens nicht mehr ausgewichen werden kann.

Die neue Geographie, so scheint es, erfordert auch eine neue Biographie. Inspiriert von der Form der bekenntnishaften Kolumnen, die Nelson Rodrigues in den Jahren 1967/68 unter dem Titel „A Cabra Vadia“ (Die herrenlose Ziege) in Brasilien veröffentlichte, macht sich der Autor daran, seine Biographie aus den Bruchstücken der Erinnerung zu rekonstruieren. Jedes Erzählen aber, so wird schnell deutlich, ist ein Neuerfinden, die erzählte Person wie auch ihre Biographie letzlich eine Fiktion. Die literarische Figur des Autors in diesem Buch trägt nur zufällig den gleichen Namen wie der Autor.

••• Als dritter Titel der Edition Neue Moderne geht heute Markus A. Hedigers „Krötenkarneval“ in den Verkauf. Bleibt mir nur, Buch und Autor alles Gute zu wünschen.

Aufatmen für Maxim Biller

Sonntag, den 13. Juli 2008

Am 13. Februar 2008 hat das Landgericht München I den Autor Maxim Biller und den Verlag Kiepenheuer & Witsch dazu verurteilt, Schadensersatz in Höhe von 50.000 Euro samt Zinsen und Prozesskosten an eine Klägerin zu zahlen, die sich in Billers Roman „Esra“ erkennbar porträtiert und in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt sah.

Dieses Urteil hat das Oberlandesgericht München am Dienstag dieser Woche in einem Revisionsprozess aufgehoben.

••• Obiges berichtete die „Süddeutsche“ am vergangenen Donnerstag. Und dieses Urteil gibt nun wenigstens Anlass, als Autor nicht völlig an diesem Justizirrsinn selber irr zu werden. Ein verbotener Roman ist als „Strafe“ bereits heftig. Darüber hinaus noch 50.000 Euro Schadenersatz zahlen zu müssen, das erschien mir bei Urteilsbegründung damals schon der Gipfel.

Der Hinweis auf Herbst, der durch Änderungen an seinem seinerzeit ebenfalls verbotenen Roman „Meere“ nun dessen Wiederfreigabe erreicht hat, hilft der Literatur auch nicht. Wo kommen wir hin, wenn wir uns als Autoren künftig schon während des Schreibens einen Anwalt nehmen müssen, um nur ja nicht Gefahr zu laufen, verboten zu werden? Wodurch unterscheidet sich das noch vom Schreiben in einer Diktatur?

50x Blau

Montag, den 19. Mai 2008

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Ein anderes Blau • die ersten 50 Exemplare zum Signieren

••• Die ersten 50 Exemplare von „Ein anderes Blau“ sind nun endlich eingetroffen. Ich werde sie umgehend nummerieren, signieren und verschicken.


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Nicht weniger Commitment

Sonntag, den 18. Mai 2008

Kerouac Quote Tattoo

The only people for me are the mad ones, the ones who are mad to live, mad to talk, mad to be saved, desirous of everything at the same time, the ones that never yawn or say a commonplace thing, but burn, burn, burn like fabulous yellow roman candles exploding like spiders across the stars and in the middle you see the blue centerlight pop and everybody goes „Awww!“

Jack Kerouac (1922–1969)

••• burn, burn, burn – Die Dame, die sich dieses Credo aus Jack Kerouacs „On the Road“ tätowieren ließ, zeigt damit nicht weniger Commitment als der Herr im letzten Beitrag.

Aphorismen

Dienstag, den 6. Mai 2008

Nicolás Gómez Dávila
Nicolás Gómez Dávila (1913-1994)

In den Literaturgeschichten sind es nicht die ersten Kapitel, die mit den Jahren schrumpfen, sondern die letzten.

Die großen Werke brauchen Jahre, um aus dem literarischen Leichenhaufen aufzutauchen, der sie erstickt.

Nicolás Gómez Dávila

••• Aphorismen – so dachte ich bisher – sind so etwas wie Abfallprodukte der literarischen Arbeit. Sie als eigenständiges Genre zu begreifen, das wäre mir nicht in den Sinn gekommen. (Lernen Literaturwissenschaftler dergleichen im Studium? Das würde mich wirklich einmal interessieren.)

Glücklicherweise trägt die aktuelle Akzente-Ausgabe nun wieder einmal zu meiner Bildung bei und macht mir klar, dass Aphorismen nicht nur als eigenständiges Genre anzusehen sind, sondern dass mitunter ein ganzes Werk ganz um dieses Genre angelegt sein kann. Das Beispiel: Nicolás Gómez Dávila, geboren 1913 in Bogotá, Kolumbien und gestoren 1994 ebenda.

Ich finde die Vorstellung, ausschließlich tiefsinnige eindestillierte Weltwahrheitssätze zu produzieren, auch nach der Lektüre der Dávila-Aphorismen und Essays über sie und den Autor ein wenig merkwürdig. Aber sie haben doch auch einen unwiderstehlichen Reiz: sie sind so schön tiefsinnig, eindestilliert und — wahr?

Lieber p.-, dies hier war das Zitat zum Thema Nachwelt, das mir letztens am Telefon nicht wortwörtlich einfallen wollte:

Für die Nachwelt schreiben heißt nicht, daß man uns morgen liest. Es heißt, eine bestimmte Qualität des Schreibens anzustreben. Selbst wenn uns keiner liest.

Neuerscheinungen

Montag, den 28. April 2008

••• Soeben erschienen in der „Edition Neue Moderne“

Benjamin Stein: Ein anderes Blau (Edition Neue Moderne)
Benjamin Stein: Ein anderes Blau
Prosa für 7 Stimmen
Edition Neue Moderne 2008
ISBN: 978-3-9523-2364-9

Die ersten 50 Exemplare werden vom Autor nummeriert und signiert.


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Der Zentaur im Garten

Freitag, den 18. April 2008

Zentauren - © Kerstin S. Klein (2008)
Zentauren – © Kerstin S. Klein (2008)

Kein Galopp jetzt mehr. Jetzt ist alles gut.

Jetzt sind wir wie alle anderen. Niemand wundert sich mehr über uns. Vorbei die Zeit, wo man uns als absonderlich bezeichnete — weil wir niemals an den Strand gingen, weil Tita, meine Frau, immer Hosen trug. Absonderlich, wir? Nein. Vergangene Woche kam der Geisterbeschwörer Peri zu Tita, und der ist allerdings ein absonderlicher Mann — ein kleiner, schlanker Indiomischling mit spärlichem Bartwuchs, behängt mit Ketten und Ringen, in der Hand einen Stab und von geheimnisvoller Sprache. Es mag ja ungewöhnlich scheinen, daß ein so seltsames Wesen zu uns kommt; aber schließlich kann jeder an der Tür klingeln. Und außerdem — absonderlich gekleidet war er, nicht wir. Wir? Nein. Wir sind von ganz normalem Aussehen.

© Moacyr Scliar (1980, 1985)
Übertragung: Karin von Schweder-Schreiner

••• Im Urlaub habe ich ein Buch erneut gelesen, das ich noch zu DDR-Zeiten gekauft und zum ersten Mal gelesen haben muss: „Der Zentaur im Garten“ von Moacyr Scliar.

Halb Mensch, halb Pferd, kommt Guedali, Sohn jüdischer Einwanderer in Brasilien, auf die Welt. Seine Geburt stellt die ratlosen Eltern vor durchaus nicht alltägliche Fragen. Womit ernährt man ein mythologisches Fabelwesen? Wie lässt sich an ihm die Beschneidungszeremonie vollziehen? Vertragen sich Tierleib und der zarte Torso des Kindes?


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