Archiv der Kategorie 'Poetik'

In Oxford ist was los

Dienstag, den 26. Mai 2009

••• Das 300 Jahre alte und höchst angesehene Amt des Oxford professor of poetry war jüngst neu zu besetzen. Und es wurde mit härtesten Bandagen gekämpft. Zunächst wurde der Favorit Derek Walcott aus dem Rennen geschlagen – und zwar mit einer anonym initiierten Kampagne, die an unerfreuliche, sexuell gefärbte Ereignisse seines Vorlebens erinnerte. Walcott verzichtete auf die Kandidatur, und die Mitbewerberin Ruth Padel wurde auf den ehrenwerten Posten gewählt. Nun trat auch sie nach nur wenigen Tagen zurück, denn es wurde ruchbar, dass sie höhstselbst die Informationen gestreut hatte

Wat ne schmutzige Nummer! Aber da ist was los in Oxford, das muss man schon sagen.

The writer’s guide to making a digital living

Samstag, den 9. Mai 2009

The writer’s guide to making a digital living

••• Australien ist ein Paradies für Autoren oder wird es zumindest bald sein. So jedenfalls behauptet es obiges Video. Das Geheimnis dieses unvermeidlichen Erfolgs der Autoren »down under« ist der »Writer’s guide to making a digital living«, der glücklicherweise nicht nur als Buch, sondern auch online verfügbar ist. Ein Klick in die interaktive Karte des Literatur-Universums zeigt auf, wie vielfältig für einen heutigen Autor die Möglichkeiten der digital-literarischen Ausdrucksmöglichkeiten sind. Ich war erstaunt.

Nun zähle ich wohl nicht zur Zielgruppe dieser Publikation, denn ich muss einräumen, dass ich ein Verfechter des altmodischen Buches als Literaturbehältnis bin. Ich bin durchaus für Experimente zu haben, wie »Die Leinwand« beweisen wird, aber es sind Experimente mit dem Medium Buch. Weder treibt es mich, meinen Lebensunterhalt mit Literatur zu verdienen (beim Gedanke, schreiben zu müssen, um die Miete zahlen zu können, wird mir schlagartig unwohl), noch treibt es mich, all jene in diesem Wegweiser vorgestellten Varianten der Online-Publikation zu erproben. Andere Autoren mögen das aber ganz anders sehen, und mancher Versuch in diesen neueren Medien ist sicher auch formal interessant, also im Hinblick auf die Frage, welche Rückwirkung die Form auf den Inhalt haben mag.

Generation iPod

Sonntag, den 29. März 2009

••• Endlich bringt jemand auf den Punkt, was mir seit Monaten im Kopf umhergeistert: Wie lange wird es noch Romane geben?

if:book ist ein Blog-Projekt des »Institute for the Future of the Book«. Sebastian Mary schreibt dort vor einigen Tagen über eBooks. Dabei geht es ihm nicht um die Frage, ob eBooks nun gut seien oder nicht. Es gibt sie, und sie werden ein regulärer Bestandteil der Literaturlandschaft werden. Aber Mary zieht einen Vergleich zwischen Literatur und Musikindustrie und illustriert seinen Gedanken am Beispiel des iPod: Die Frage sei nicht, ob und wie komfortabel man auf eBook-Readern längere Prosa lesen kann; die Frage sei vielmehr, ob die längere Prosa noch eine Zukunft hat.

It makes economic sense to sell LPs or CDs at a runtime of 60-odd minutes. It makes economic sense to sell books of around 80,000 words. But music for iPods can be sold song by song. So, extrapolating from this to an iPod for reading, what is the written equivalent of a single song? In a word (or 300), belles lettres.


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Rashomon-Effekt (II)

Freitag, den 27. März 2009

••• Der Begriff des Rashomon-Effekts lässt sich – bedenke ich es recht – doch nicht auf die »monologische Methode« anwenden. In der Erzählung »In a Grove« von Akutagawa erzählen die am fraglichen Geschehen beteiligten Personen zwar jeweils Ihre Version des Verbrechens. Sie alle aber – zumindest alle außer einer/m – lügen, und zwar aus gesellschaftlichem Druck heraus. Sie erzählen vom Geschehenen die jeweils einzig mögliche Version, die es ihnen erlaubt, ihr Gesicht zu wahren. Gerade dieser Umstand macht »In a Grove« so bedeutsam. Während Akutagawa auf diese Weise gesellschaftliche Normen thematisiert (ohne sie explizit zur Sprache zu bringen!), interessiert mich mehr die psychologische Dimension, die Weltsicht des Einzelnen, des Subjekts. Gibt es hier Lüge, ist sie unbewusst. Wie groß ist die Diskrepanz zwischen Spiegelbild und Gespiegeltem?

Rashomon-Effekt

Donnerstag, den 26. März 2009


Rashomon – Verfilmung nach zwei Erzählungen von Ryunosuke Akutagawa

••• Meine ans Ideologische grenzende Begeisterung für die »monologische Methode« – in zwei unterschiedlichen Ausprägungen exerziert sowohl im »Anderen Blau« als auch in der »Leinwand« – beruht auf dem subjektiven Wirklichkeitsverständnis, das notgedrungen aus ihr resultiert. Was ich bis eben nicht wusste: Es gibt einen Begriff dafür.

The Rashomon effect is the effect of the subjectivity of perception on recollection, by which observers of an event are able to produce substantially different but equally plausible accounts of it. A useful demonstration of this principle in scientific understanding can be found in the article „The Rashomon Effect: When Ethnographers Disagree,“ by Karl G. Heider (American Anthropologist, March 1988, Vol. 90 No. 1, pp. 73-81).

It is named for Akira Kurosawa’s film Rashomon, in which a crime witnessed by four individuals is described in four mutually contradictory ways. The film is based on two short stories by Ryūnosuke Akutagawa, „Rashōmon“ (for the setting) and „Yabu no naka“, otherwise known as „In a Grove“ (for the story line).

Darauf gestoßen bin ich, weil ich den Link zur Roshomon-Verfilmung gesucht habe, den ich irgendwo in den Untiefen des Turmseglers vergraben zu haben meinte. Gefunden habe ich den Link zu dem frei online zugänglichen Film bei der Herzdame und liefere ihn nun hier nach.

Reue und Buße

Freitag, den 13. März 2009

The most unnoticed of all miracles is the miracle of repentance. It is not the same as rebirth; it is transformation, creation. In the dimension of time there is no going back. But the power of repentance causes time to be created backward and allows re-creation of the past to take place. Through the forgiving hand of God, harm and blemish which we have committed against the world and against ourselves will be extinguished, transformed into salvation.

Abraham Joshua Heschel
aus: »The Meaning of Repentance« (1936)
in: »Moral Grandeur and Spiritual Audacity«
Farrar Straus & Giroux, New York, 1996

••• Ich zitiere hier Heschel nach D. G. Myers, der eben diese Passage in seinem aktuellen Beitrag zu Nabokovs »Lolita« bringt. Myers Beitrag sollte man unbedingt lesen. Er ist brilliant, Myers Prämisse unmissverständlich im Eingangssatz formuliert:

Lolita is the greatest novel ever written in English, because alone among English-language novels it is the enactment of a moral experience.

Das ist ein interessanter Ausgangspunkt. Wieder einmal legt uns die andere Sprache (das Englische) hier einen Stein in den Verständnisweg. Was Myers als »repentance« beschreibt, kann zu Deutsch Reue oder Buße heißen. Zwischen beiden Worten besteht jedoch ein dramatischer semantischer Unterschied: Reue ist nicht zwingend tätig, Buße hingegen schon. Und im Sinne von Myers These gehe ich davon aus, dass die tätige Reue gemeint sein muss, zumal Heschel von »repentance« im Sinne des Begriffs der »Umkehr« (Teschuva) spricht: Reue, Bekennen und Wiedergutmachung gehören hier untrennbar zusammen.

Worin der Unterschied zwischen Teschuva und bspw. bloßer Entschuldigung besteht, erläutert Myers in einem Follow-Up zum o. g. »Lolita«-Beitrag (Pull out his eyes, Apologize, Apologize), gespickt mit Textbeispielen aus der englischsprachigen Literatur.

Literatur sagt nicht die Wahrheit

Mittwoch, den 18. Februar 2009

Vladimir Nabokov sits in a parked car in Ithaca, New York, September 1958. Carl Mydans/Time & Life Pictures/Getty Images
Vladimir Nabokov, New York, September 1958.
Carl Mydans/Time & Life Pictures/Getty Images

Literature does not tell the truth but makes it up.

Vladimir Nabokov (1899-1977)