Archiv der Kategorie 'Lyrik'

im felderlatein

Mittwoch, den 22. September 2010

im nervenbündel dreier birken:
umrisse der existenz & alte formen
von geäst wie
nnschwarzer mann & stummer
nnstromabnehmer. diese gegend

ist nicht leicht verständlich. havel
havelseen, hauptversammlung
der geschlagnen stunden &
all die falschen scheitel, sauber

nachgezogen im archiv
der glatten überlieferung. gern
sagst du, es ist die kälte, welche

dinge hart im auge hält, wenn
große flächen schlaf wie
winkelschleifer schleifen in
nnden zweigen. so

sagt man auch: es ist ein baum
& wo ein baum so frei steht
muß er sprechen

© Lutz Seiler (2010)
aus: »im felderlatein«
Gedichte, Suhrkamp Verlag 2010

Lutz Seiler: im felderlatein, Gedichte, Suhrkamp 2010••• Schuftig nachlässig, das habe ich gestern eingeräumt, bin ich zunächst über Lutz Seilers neue Gedichte gegangen. Aber ist das wirklich das richtige Wort? War ich flüchtig, unaufmerksam? Oder ist etwas anderes geschehen, als ich sie zum ersten Mal las? Wenn ich es recht bedenke, haben mich zwei »Zutaten« der Seilerschen Verse so abgelenkt, dass ich nicht zu den Untiefen und den sprachlichen, den klanglichen Schönheiten vordringen konnte. Bei diesen »Zutaten« handelt es sich möglicherweise zum einen um eine Belanglosigkeit, zum zweiten um ein vom Dichter bewusst verwendetes Mittel, das mich aber – zunächst – nervte.

Fangen wir mit der mutmaßlichen Belanglosigkeit an. Es handelt sich um das Zeichen »&«. Nichts anderes bedeutend und gelesen wie »und«, ist es doch die Abkürzung für das lateinische »et«, auch bekannt als Kaufmanns-Und, wohl weil man es häufig in Firmennamen antrifft wie etwa »A. Lange & Söhne«. Ich will nichts beschönigen: In Gedichten halte ich das für Firlefanz. Häufig stört es sogar empfindlich das Schriftbild, weil es nicht recht Buchstabe sein mag, also als Fremdzeichen in der Sprache auftaucht. Warum aber? Welchen Zweck hat diese Schreibweise?


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hüte dich

Dienstag, den 21. September 2010

Augapfel - © Evoline + Karin Schmidt / pixelio.de
Augapfel – © Evoline + Karin Schmidt / pixelio.de

als kinder wollten wir immer
in andere länder
marschieren, aber
am waldrand waren wir alt
& mußten zurück.

ein augapfel die mutter, ein
augapfel der vater;
& mußten wir abends zur zeit
nnnach haus, so
rollten uns beide voraus

© Lutz Seiler (2010)
aus: »im felderlatein«
Gedichte, Suhrkamp Verlag 2010

••• Vor unserer gemeinsamen Lesung in der »Villa Kivi« in Helsinki saß ich mit Lutz Seiler noch ein paar Minuten abseits vom Publikum, und äugte interessiert auf einen Lyrikband, den er bei sich hatte. Es war sein eigener, neuer, am gleichen Tag erschienen. Er hatte ein Vorabexemplar dabei und reichte es mir über den Tisch.


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Im Nebel

Freitag, den 21. Mai 2010

The Mist
The Mist • ©2008-2010 SerdarAKIN@deviantart.com

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
kein Baum sieht den andern,
jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
als noch mein Leben licht war;
nun, da der Nebel fällt,
ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
der nicht das Dunkel kennt,
das unentrinnbar und leise
von allen ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
jeder ist allein!

Hermann Hesse (1877-1962)

••• Es wird einfach nicht Sommer. Heute sitze ich hier im 35. Stock des o2-Hochhauses wie in einer Wolke. Draußen dichter Nebel. Und da kommt mir dieses Gedicht von Hesse in den Sinn, unvermeidbarer Begleiter durch Spätpubertätsdepressionen.


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Lothar Müller über Charlotte Grasnick

Mittwoch, den 28. April 2010

••• Mit freudiger Überraschung habe ich eben Lothar Müllers Besprechung des Charlotte-Grasnick-Bandes »So nackt an dich gewendet« in der heutigen »Süddeutschen« gelesen. Dass es überhaupt ein Lyrikband in die »Süddeutsche« geschafft hat, ist schon Anlass genug zur Freude. Aber auch was Müller schreibt, hat mich sehr gefreut, wenn auch ich als Herausgeber Schelte ernte:

Nein, Benjamin Stein tut der Autorin keinen Gefallen, wenn er sie auf das Liebesgedicht und den reinen Ausdruck des »Ich« festlegt.


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drei tage

Mittwoch, den 17. März 2010

Neumond
47 Sekunden nach Neumond © A. Liesen

drei tage
habe ich nicht
mit dir gesprochen

welch eine ferne
dass ich selbst
den neumond vergesse
der als sichel
im schwarz schwebt
ein schwert über mir
gehalten von deiner
unsichtbaren hand

heute ist über mich
schon alles gesagt

das urteil ist längst
gesprochen

© Benjamin Stein (2010)