Archiv der Kategorie 'Lyrik'

Die Nacht des Soldaten

Dienstag, den 13. März 2007

Pablo Neruda

Ich lebe die Nacht des Soldaten, die Zeit des Mannes ohne Schwermut, ohne Untergang, des vom Ozean oder einer Woge in die Ferne geworfenen Sinnbilds, und der nicht weiß, daß das bittere Wasser ihn abgesondert hat und daß er allmählich und furchtlos altert, ausersehen für das normale Leben ohne Erschütterungen, ohne Abwesenheiten, in seiner Haut und seinem Kleid dahinlebend, wahrhaft dunkel. So also werde ich mit dummen und fröhlichen Kameraden zusammen gesehen, die rauchen und spucken und entsetzlich saufen und plötzlich todkrank zusammenbrechen. Denn wo sind Tante, Braut, Schwiegermutter und Schwägerin des Soldaten? Wahrscheinlich gehen sie an Ostrazismus oder an Malaria zu Grunde und werden kalt und gelb und wandern aus nach einem Gestirn aus Eis, nach einem jungen Planeten, um endlich auszuruhen, unter jungen Mädchen und glazialen Früchten, und ihre Leichen, ihre armen Leichen aus Feuer werden fern der Flamme und der Asche schlummern, von Alabasterengeln bewacht.


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Amor América (1400)

Montag, den 12. März 2007

Pablo Neruda (1966)

Vor Perücke und Seidenfrack
waren die Ströme, Ströme arterienhaft,
waren die Kordilleren, auf deren kahler Welle
der Kondor und der Schnee unbeweglich schienen:
war die Feuchte und das Dickicht, der noch
namenlose Donner, die Planetensteppen.

Erde war der Mensch, Gefäß, Lidschlag
des zitternden Lehms, Gebild aus Ton,
war karibischer Krug, Chibcha-Stein,
kaiserlicher Pokal oder araukanischer Kiesel.
Zart und grausam war er, aber in den Knauf
seiner Waffe, aus benetztem Kristall
waren eingezeichnet
der Erde Initialen.
der Erde Initialen.Niemand vermochte
später sich ihrer zu erinnern: der Wind
vergaß sie, die Sprache des Wassers
wurde verscharrt, die Schlüssel gingen verloren
oder wurden von Schweigen überflutet oder Blut.

Nicht verloren ging das Leben, hirtenhafte Brüder.
Doch einer wilden Rose gleich
fiel ein roter Tropfen ins Dickicht,
und eine Erdenlampe erlosch.

Ich bin hier, der Geschichte Lauf zu erzählen.
Vom Steppenfrieden des Büffels
bis zu den gepeitschten Gestaden,
wo die Erde endet, in den angehäuften
Schäumen des antarktischen Lichts
und in den steilabstürzenden Felshöhlen
des düsteren venezuelischen Schweigens
suchte ich dich, mein Vater,
junger Krieger aus Dunkelheit und Kupfer,
oder dich, bräutliche Pflanze, Haarflut unbändig,
Kaimanenmutter, metallische Traube.

Ich, Inkamächtiger des Schlammes,
rührte an den Stein und sprach:
Wer
erwartet mich? Und preßte die Finger
um eine Handvoll tauben Kristalls.
Aber zwischen Zapotecablüten schritt ich,
und sanft wie ein Edelwild war das Licht
und der Schatten ein grünes Augenlid.

Du mein Land ohne Namen, ohne Namen Amerika,
der Äquinoktien Blütenfaden, Purpurlanze,
dein Duft klomm auf zu mir durch die Wurzeln
bis zur Schale, die ich leerte, bis zum zartesten
Wort, noch ungeboren von meinem Mund.

Pablo Neruda


Pablo Neruda spricht: Amor América (1400)


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Nahoa-Urne für eine Frau

Samstag, den 10. März 2007

Nur zwei Wege
stehn dem verzweifelt Liebenden offen:
der Weg deiner Augen, der mir den Frieden nimmt,
und der deines Herzens,
der ihn gewährt. Ich aber suche ein Wort,
das in dich eindringt.

Pablo Antonio Cuadra
Übertragung: Uwe Grüning

••• Was eine Nahoa-Urne ist? Ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung. Aber „ein Wort, das in dich eindringt“, danach suche auch ich, nach wie vor, immer wieder.

Verharren

Freitag, den 9. März 2007

Gioconda Belli

Ein Verharren will ich, das uns alle eint.
Ein Verharren der Arme, Beine, Haare,
ein Verharren, das aus jedem Körper ersteht.

Ein Verharren will ich
der Arbeiter, der Tauben
Chauffeure, Blumen
Techniker, Kinder
Ärzte, Frauen

Ein allgemeines Verharren will ich,
das selbst die Liebe erfaßt.
Ein Verharren, das alles reglos macht,
die Uhr, die Fabriken
das Beet, die Schulen
den Bus, die Krankenhäuser
die Landstraße, die Häfen

Ein Verharren der Augen, Hände, Küsse
Ein Verharren, das Atmen verbietet,
ein Verharren, das Stille hervorbringt,
ein Verhadamit wir die Schritte
ein Verhades Tyrannen hören, wenn er davongeht.

Gioconda Belli
Übertragung: Christel Dobenecker

••• Auch das also ist Gioconda Belli. Ihre Leidenschaft ist nicht nur der erotischen Poesie vorbehalten…

Ihn erwarten

Donnerstag, den 8. März 2007

Miniature Bird - © 2006-2007 by ~zerosector@deviantart.com

Am Morgen
erwache ich wie eine Gazelle
freudig im Busch
freudig und warte auf dich.

Am Mittag,
vergraben zwischen Blumen,
male ich deinen Namen
in den Bauch der Flüsse.

In der Dämmerung,
bebend vor Liebe, ducke ich mich
und warte darauf,
daß du kommst in der Nacht,
daß du kommst und dich niederläßt
wie ein Vogel auf mir
und deinen Körper
über mir schwingst
wie eine Fahne.

Gioconda Belli, aus: „Zauber gegen die Kälte“
© Peter Hammer Verlag 1992

••• Als wäre es eine Antwort auf das Gedicht von gestern

Unter den Autoren in der erwähnten Anthologie ist eine Dichterin, die auch in Deutschland zu grösserer Bekanntheit gekommen ist: Gioconda Belli. Liebesgedichte mit erotischem Touch, das ist das Label, das ihr anhaftet. Mir ist das, um ehrlich zu sein, ein wenig zuviel von Schenkeln, Fruchtfleisch und Lilienknospen geredet. Doch nicht überall – wie zum Beispiel hier, in diesem Gedicht.

Weniger bekannt dürfte sein, mit welcher Kraft Gioconda Belli zur Zeit vor und während der Revolution in Nicaragua gegen den Diktator Somoza angeschrieben hat. Morgen gibt es eine Kostprobe davon.