Archiv der Kategorie 'Lyrik'

Preß nicht meine Hände

Donnerstag, den 22. März 2007

Preß nicht meine Hände!
Die Zeit wird kommen, die lang dauernde,
des Ausruhn´s mit viel Staub und Schatten
in den verflochtenen Fingern.

Du möchtest sagen: „Ich kann
sie nicht lieben, denn ihre Finger lösten sich schon,
wie aus der Samenhülle das Korn“.

Küß nicht meinen Mund!
Der Augenblick wird kommen, erfüllt
von erlöschendem Licht, da ich ohne Lippen
sein werde, auf nasser Erde.

Du möchtest sagen: „Ich habe sie geliebt,
aber ich kann sie nicht länger lieben, jetzt,
wo sie den Ginsterduft meines Kusses nicht mehr atmet“.

Ängstigen würde es mich, dich sprechen zu hören,
und du sprächest im Wahn und blind.
Denn meine Hand wird auf deiner Stirne ruhen,
wenn meine Finger brechen,
und auf dein Gesicht, gezeichnet von Sehnsucht,
wird sich mein Atem senken.

Daher berühre mich nicht. Lüge wäre es,
zu sagen, ich schenkte dir meine Liebe
in meinen ausgebreiteten Armen,
meinem Mund, meiner Stimme;
und du, wenn du glaubst, du hättest alles getrunken,
du täuscht dich wie ein einfältiges Kind.

Denn meine Liebe ist nicht nur die Garbe,
widerspenstig, ermattet, meines Leibes,
der erzittert, wenn das Büßerhemd ihn streift
und mir zurückbleibt bei jeglichem Flug.

Im Kuß ist nicht nur die Lippe,
und die Stimme nicht nur Echo der Brust:
Meine liebe ist Gottes Sturmwind, der meines Fleisches
Zweig mir im Fluge spaltet!

Gabriela Mistral
Übertragung: Albert Theile
© der Übertragung Luchterhand 1958

••• Mit zwei Gedichten von Gabriela Mistral habe ich diese kleine Reise nach Lateinamerika begonnen. Mit zwei Gedichten von ihr will ich sie auch – vorläufig – beenden. Ich muss sicher noch einmal zurückkehren, denn allzu viele mir wichtige Autoren sind noch nicht erwähnt: Márquez beispielsweise oder Asturias. Das wird nachgeholt werden. Aber es drängt mich jetzt, das Thema zu wechseln, weil ich eine grosse Entdeckung gemacht habe, die ich mit den Turmseglern teilen möchte. Noch aber ist es nicht so weit, und es gibt – heute und morgen – nochmals Gabriela Mistral.

Ode an eine Uhr in der Nacht

Sonntag, den 18. März 2007

Lange 1 Werksansicht

An deiner Hand in der Nacht
wie ein Glühwurm schimmerte
meine Uhr.
Ich hörte
ihr Werk:
wie ein sprödes Geraun
von deiner unsichtbaren Hand
kam es her.
Da wandte sich deine Hand
zu meiner dunklen Brust,
meinen Schlaf und seinen Herzschlag aufzufangen.

Die Uhr
mit ihrer kleinen Säge
zerschnitt ohne Unterlass die Zeit.
Wie in einem Wald
fielen
Holzspäne nieder,
winzige Tropfen, Stückchen
Gezweig oder Nester,
ohne daß die Stille sich wandelte,
ohne daß die kühle Dunkelheit ein Ende fand,
also,
von deiner unsichtbaren Hand her, schnitt
die Uhr unaufhörlich
Zeit und Zeit,
und wie Blätter fielen
Minuten herab,
Fasern zerspellter Zeit,
winzige schwarze Federn.
Wie im Wald
roch es nach Wurzeln,
irgendwo ließ das Wasser
einen schweren Tropfen fallen
wie eine feuchte Traubenkugel.
Eine kleine Mühle
zermahlte Nacht,
summendes Dunkel
fiel nieder von Deiner Hand
und erfüllte die Erde.
Staub,
Erde, Ferne
mahlte und mahlte
von deiner Hand her
meine Uhr in der Nacht.

Ich schob
meinen Arm
unter deinen unsichtbaren Hals,
unter sein warmes Gewicht,
und in meine Hand
niederrieselte die Zeit,
Nacht,
winzig kleine Geräusche
von Holz und Wald,
von zerkleinerter Nacht,
von Schattensplittern,
von Wasser, das fällt und fällt:
Da
fiel der Schlaf
aus der Uhr und von
deinen schlummernden Händen,
fiel wie dunkles Wasser
der Wälder
von der Uhr
auf deinen Leib herab,
und von dir in die Lande,
dunkles Wasser,
Zeit, die fällt
und hinfließt
in unserm Innern.

Und so war jene Nacht,
Dunkel und Raum, Erde
und Zeit,
etwas, das fließt und fällt
und vorübereilt.
Also ziehen über die Erde
alle Nächte hin
und hinterlassen nur ein flüchtiges
schwarzes Arom,
es fällt ein Blatt,
ein Tropfen
auf der Erde,
ihr Klang verlöscht,
es schlummern Wald und Wasser,
die Wiesen,
die Glocken,
die Augen.
Ich höre dich, ja, du atmest,
meine Liebe,
Schlaf hüllt uns ein.

Pablo Neruda
Übertragung: Erich Ahrendt

••• Und jetzt – zum vorläufigen Abschied von Don Pablo – doch noch eine Ode.

Zu mechanischen Uhren hege ich eine innige Liebe. Sie sind etwas fürs Auge, fürs Ohr, für den Tastsinn. Sie sind kleine Maschinen mit der Anmutung von Leben. Und ihr rastloses Ticken wird immer den schöneren Klang abgeben als das sekundenweise Schlappen des Schrittmotors einer Quarzuhr. Solche Uhren sind einfach nicht poetisch, behaupte ich.

Oft lege ich meine Uhr auch nachts nicht ab, weil ich es zu gern mag, in den Sekunden des Hinübergleitens in den Schlaf dem Ticken zu lauschen, das mir versichert, dass die Zeit noch nicht stehengeblieben ist.

Das ist also – um genau zu sein – eine Ode an eine mechanische Uhr in der Nacht.

Kurz vor dem Regen

Freitag, den 16. März 2007

laundry in the rain © 2007 by eunoia@deviantart.com

Gleich wird es regnen, nimm die Wäsche herein!
Auf der Leine die Klammern schwanken.
Ein Wolkenschatten verdunkelt den Stein.
Die Dächer sind voller Gedanken.

Sie sind gedacht in Ziegel und Schiefer,
gekalkten Kaminen und beizendem Rauch.
Mein Auge horcht den bestürzten Worten, –
o lautloser Spruch aus dem feurigen Strauch!

Ein Schluchzen beginnt in mir aufzusteigen.
Die wandernden Schatten ändern den Stein.
Ein Windstoß zerrt an den flatternden Hemden.
Gleich regnet es. Hol die Wäsche herein.

Günter Eich, aus: „Botschaften des Regens“
© Suhrkamp Verlag 1955

••• Wäsche, Regen und Schluchzen. Beim Lesen von „Walking around“ kam mir dieses Gedicht von Günter Eich in den Sinn. Daher ein kleines Abschweifen von den Lateinamerikanern.

Irgendwo habe ich mal gelesen, es gäbe die Eich-Fraktion und die Celan-Fraktion; und da gäbe es kein Zusammenkommen. Das kümmert mich gar nicht. Ich mag sie beide.

Walking around

Donnerstag, den 15. März 2007

laundry time... © 2007 by patrickbateman@deviantart.com

Es geschieht, daß ich müde bin, Mensch zu sein!
Ich trete in Schneiderstuben, in Kinos
schlapp, undurchdringlich wie ein Schwan aus Filz,
der auf einem Wasser aus Ursprung und Asche treibt.

Der Geruch des Frisiersalons läßt mich laut schluchzen.
Ich möchte nichts weiter als eine Ruhe von Steinen oder Wolle,
ich will keine Verordnungen, keine Gärten mehr sehen,
keine Waren, keine Brillen, keine Fahrstühle.

Es geschieht, daß ich überdrüssig meiner Füße, meiner Nägel bin,
und meines Haars und meines Schattens!
Ich bin es müde, Mensch zu sein.

Dennoch wäre es köstlich,
einen Notar mit einer ausgerauften Lilie zu erschrecken
oder eine Nonne mit einer Ohrfeige umzubringen.
Es wäre wunderbar,
mit einem grünen Messer durch die Straßen zu laufen
und Lärm zu schlagen, bis man tot umfällt vor Kälte.

Ich mag nicht mehr Wurzel sein in der Finsternis,
schwankend, ausgestreckt, zitternd vor Schläfrigkeit,
abwärts immer, ins nasse Eingeweid der Erde,
saugend und sinnend, essend Tag um Tag.

Ich mag soviel Unheil nicht für mich.
Mag nicht weiterhin Wurzel sein und Grab,
verlassener Schacht, Kellergewölb mit Toten,
kältestarr, vor Leid zugrunde gehend.

Darum flammt der Montag wie Erdöl auf,
wenn er mich kommen sieht mit meinem Kerkergesicht,
und er heult in seinem Verlauf wie ein wundes Rad
und macht Schritte von heißem Blut der Nacht entgegen.

Und er treibt mich in manche Winkel, in manch feuchte Häuser,
in Spitäler, wo die Knochen durch die Fenster herauskommen,
in manche Schusterstube, die nach Essig riecht,
in Straßen, erschreckend wie Erdrisse.

Es gibt Vögel, schwefelfarbig, und gräßliches Gedärm,
die an den Türpfosten der Häuser hängen, die ich hasse.
Es gibt Gebisse, in einer Kaffeekanne vergessen,
es gibt Spiegel,
die hätten weinen müssen vor Scham und Entsetzen,
Schirme gibt es allerorts und Gifte und Nabelschnüre.

Und ich schlendre umher, mit Gelassenheit, mit Augen, mit Schuhen,
mit Wut, mit Vergessen,
ich geh vorüber, quere Amtsstuben und orthopädische Läden,
und Höfe, wo an einem Draht Wäsche hängt:
Unterhosen, Handtücher und Hemden, die langsame
schmutzige Tränen weinen.

Pablo Neruda
Übertragung: Erich Ahrendt

••• Weiter gehts mit Don Pablo. Ich hatte ja angedroht, ein paar Entdeckungen zu präsentieren, Gedichte, in denen es weniger odenhaft zugeht. Dieses hier hat es mir besonders angetan.

Gut bewahrt

Dienstag, den 13. März 2007

Feet and Balls in Light - © 2007 ~v1ntage@deviantart.com

Unterm Teppich bewahrst du
mein zerrissenes Foto
und knetest
auf deinen Wegen
von Tür zu Tür
auf dass auch ja nichts vergehe
mein hartes Herz

© Benjamin Stein (2007)

••• Frau Schimmerschnecke, bei der ich mir immer wieder gern ein Stück Erinnerung an „Sex and the City“ hole, hat ein Foto zerrissen. Unterm Teppich plaziert, sei das ein grossartiges Mittel gegen Liebeskummer.

Da fiel mir grad eben diese kleine Erwiderung ein…

PS: Um Missverständnissen vorzubeugen. Frau Schimmerschnecke und ich sind uns im 1st Life vollständig unbekannt.