Archiv der Kategorie 'Lyrik'

Reiche Poeten

Dienstag, den 7. Dezember 2010

«Poetry», 1912 von der Dichterin Harriet Monroe gegründet, ist die älteste Lyrikzeitschrift der USA. Neben vielen anderen veröffentlichten T. S. Eliot und Ezra Pound dort ihre ersten Werke. Jahrzehntelang konnte das Heft nur dank kleinen Spenden überleben. Zusammengestellt wurde es von einem vierköpfigen Redaktionsteam in einem fensterlosen Raum, den die Bibliothek von Chicago kostenlos zur Verfügung stellte. «Ausser der bedingungslosen Liebe zur Literatur gab es keinen Grund, bei uns zu arbeiten», erinnert sich der Programmdirektor Stephen Young, «wir sassen so eng aufeinander, dass wir die Telefonate unserer Kollegen mithören konnten.»

••• Das hat sich gehörig geändert, seit Ruth Lilly, betagte Erbin eines Pharmaunternehmens, »Poetry« Wertschriften im Betrag von rund 100 Millionen Dollar vermachte. Deren Wert wird mittlerweile auf das Doppelte geschätzt wird und ermöglicht den »Poetry«-Herausgebern die Förderung von Dichtung in nirgendwo anders je gesehenem Umfang.

Das ist doch mal eine Geschichte, die hoffen lässt für die Dichtung. Gefunden hat sie in der NZZ »Verbrecher« Jörg Sundermeier. Merci.

At Roane Head

Freitag, den 8. Oktober 2010

She gave me a skylark’s egg in a bed of frost;
gave me twists of my four sons‘ hair; gave me
her husband’s head in a wooden box.
Then she gave me the sealskin, and I put it on.

© Robin Robertson, aus:
»The Wrecking Light«, Picador 2010

••• Heute nun endlich der Robertson-Band in der Post. Den Originaltext von »At Roane Head« (deutsch von Jan Wagner: »Am Robbenkap«), habe ich »» hier nachgetragen.

am strand

Donnerstag, den 7. Oktober 2010

am strand hab ich mich heute gehen sehn
mit kommissstiefeln an den füßen
zog ich schlurfend eine tiefe spur
zwischen deich und schlaffen wellenzungen
die den schlick ableckten unverkennbar grau
gesicht und schläfen und die augen
schwarze gruben voller erz
so bin ich hingegangen mit der stirn im wind
ein wenig taumelnd zögernd abgewandt
als ob ich widerginge hier und da
ein böenraunen und ein möwenschrei
und auf dem reetdachfirst des letzten hauses
hinter mir schon fast verdeckt vom halmspalier
der deichbebauung saß ein hahn aus blech
wie aufgespießt auf seinem rostdorn
unbeweglich unfolgsam und stolz
doch nur ein strich vor wolkendickicht
wenn man ihn wenden könnte
mit verschränkten armen und die fäuste
an die brust gepresst hab ich mich gehen lassen
und bin heimgegangen
heim

© Benjamin Stein (2010)

Am Robbenkap

Dienstag, den 5. Oktober 2010

Karin Christiansen: »Kopf in Kiste« (Skulptur, Holz, 50x40 cm)
Karin Christiansen: »Kopf in Kiste« (Skulptur, Holz, 50×40 cm)

Man sagt, sie gehe jede Nacht hinaus und lege
Decken auf die Gräber, um sie warm zu halten.
Das Ausmaß ihrer Trauer sei erschreckend.

© Robin Robertson
aus »Am Robbenkap« in:
»The Wrecking Light«, Picador 2010
Deutsch von Jan Wagner

••• In den von mir so geschätzten »akzente«-Heften geht es auch oft um Übersetzungsfragen, speziell denen der Übertragung von Gedichten. Dem Hanser- und »akzente«-Herausgeber Michael Krüger ist es zu danken, dass der poetische Horizont des interessierten deutschen Lesers immer wieder einmal gehörig erweitert wird und man Bekanntschaft schließen kann auch mit fremdsprachigen Dichtern, die hierzulande ganz unverdientermaßen (noch) unbekannt sind.

In der Ausgabe 4/2010 der »akzente«, die ich auf Lanzarote bei 50 °C am Pool las, stieß ich auf einen solchen (englischsprachigen) Dichter, dessen Verse mich umgehend elektrisierten – wohl wegen ihres starken mytisch-magischen Touchs, aber auch wegen ihres poetischen Ungestüms. Das sind Verse zum Anfühlen, Erriechen und Erschmecken: klamm, moosig, von Seeluft und Waldduft durchzogen, salzig und mitunter mit dem metallischen Beigeschmack von Blut.


Den ganzen Beitrag lesen »

Jacasser

Sonntag, den 3. Oktober 2010

Jarkko
Jarkko Tontti, Tampere 2010 – Foto: Jürgen Jakob Becker

Sillä jokainen tarvitsee avaran tilan

Sillä jokainen tarvitsee avaran tilan, seinät
tuekseen, niistä
koko pullonkohoavan kodin.

Siellä on Jacasserkin valtias,
kaupunkilainen, tarjoaa
lasillisen ystävälle avoimin sylin,
petosta pelkäämättä,
koko pullon jos niikseen tulee
koko pullonja tulee se.

Aamuyöllä ystävä
roikkuu seinään naulattuna
Jacasser havahtuu ja muistaa,
jurtta olisi kotina kevyempi,
vain erämaassa on oikeita ystäviä,
jokainen talo vankila,
kivitalo kuoleman peitenimi.

Pelkkään arotuuleen esi-isät nojasivat,
koko pullonavaruuden tyhjään.

© Jarkko Tontti, aus:
»Jacasser«, Otava, Helsinki 2009

••• Besonders reizvoll an der Reise nach Finnland war für mich auch das Zusammentreffen mit den finnischen Autoren. Sie hatten immerhin den Vorteil, Auszüge aus unseren Arbeiten in finnischer Übersetzung zu kennen. Wir hingegen waren ahnungslos, wen wir vor uns hatten. Die Bescheidenheit dieser Autorinnen und Autoren, die unsere Texte vor dem finnischen Publikum lasen, brachte es mit sich, dass wir auch nur ganz nach und nach erfuhren, was und wie viel sie selbst in Finnland bereits veröffentlicht hatten.

Jarkko Tontti beispielsweise, der dem finnischen Wechsler seine Stimme lieh, ist als studierter Jurist nicht nur Autor juristischer und philosophischer Fachliteratur, von Kritiken und Essays. Darüber hinaus hat er mehrere Gedichtbände und einen Roman vorgelegt und ist als Vizepräsident des finnischen PEN auch politisch für die Freiheit des Wortes engagiert. Ich habe sehr bedauert, dass ich der Sprachbarriere wegen keinen Eindruck bekommen konnte von seiner Dichtung. Dabei aber, haben wir beschlossen, sollte es nicht bleiben. Eine Reihe von Tonttis Gedichten sind ins Englische, Russische, Japanische und Portugiesische übersetzt worden. Ich habe ihn gebeten, mir doch immerhin einige der englischen Übersetzungen zuzusenden.


Den ganzen Beitrag lesen »