Archiv der Kategorie 'Lyrik'

Der lebenslange Tag verging

Freitag, den 13. April 2007

Rabindranath Tagore und Mahatma Gandhi

Das Lied, das ich zu singen kam, bleibt ungesungen
Bis zu diesem Tag.

Ich habe meine Tage hingebracht, um Saiten aufzuziehn
An meinem Instrument – und wieder abzunehmen.

Es ist noch nicht die rechte Stunde;
Die rechten Worte sind noch nicht gesagt.
Allein der bittre Schmerz der Wünsche
Ist in meiner Brust.

Noch ist die Blüte nicht geöffnet,
Der Wind nur singt sein Klagelied.

Ich hab Sein Antlitz nicht gesehen,
Noch hab ich seine Stimme sprechen hören,
Ich habe nur die leisen Tritte Seiner Füße
Am Weg vor meinem Haus vernommen.

Der lebenslange Tag verging, Ihm einen Teppich
Auf den Flur zu breiten, doch die Lampe
Ist noch nicht entzündet.
Ich kann ins Haus ihn noch nicht bitten.

Ihm zu begegnen ist mein ganzes Hoffen –
Doch dafür ist die Zeit noch nicht gekommen.

Rabindranath Tagore, aus: „Gitanjali“

••• „Der lebenslange Tag verging, Ihm einen Teppich / auf den Flur zu breiten, doch die Lampe / ist noch nicht entzündet.“ Immerhin, denke ich mir, habe ich schon das Streichholz in der Hand. Es kann nicht mehr lange dauern. Oder doch?

Gitanjali

Donnerstag, den 12. April 2007

Mein Lied hat allen Zierat abgelegt.
Es ist nicht stolz auf Kleid und Putz.
Schmuckstücke würden unsere Einheit stören
Und zwischen Dich und mich sich drängen.
Es könnte leicht in ihrem Klirren
Dein Flüstern untergehen.

In Scham stirbt meine Dichtereitelkeit
Vor Deinem Blick dahin.
Ich saß zu Deinen Füßen, großer Meister,
Gewähre mir das Eine: Einfach und gerade leben,
Wie die Schilfrohrflöte wartet, sich für Dich
Mit Tönen zu erfüllen.

Rabindranath Tagore, aus: „Gitanjali“

Mein Lied berührt nur mit den Spitzen
Seiner ausgestreckten Flügel Deine Füße…

••• Hat es mit dem gerade vergangenen Pessach-Fest zu tun? Mit der Tatsache, dass an dieser Stelle schon des öfteren von Gott die Rede war? Womit auch immer: In den letzten Tagen häufen sich Gespräche über das Thema Gott und Religiosität in modernen Zeiten. So erreichte mich eine sehr freundliche Mail eines Autoren-Kollegen, der seine Sprachlosigkeit bedauert, wenn sein Denken um dieses Thema kreist. Auch mit Michael Perkampus entspann sich das Gespräch um Religiöses. Und heute früh führte mein Wunsch, ein Buch von meinem Busenfreund auszuleihen („The Blind Watchmaker“) zu einer hitzigen Diskussion um den müssigen Grabenkampf zwischen Kreationisten und Atheisten.

Wie es der Zufall will – den es ja womöglich nicht gibt – fiel mir vor zwei Tagen ein Gedichtband in die Hände, den ich viel zu lange nicht durchblättert habe: Das „Gitanjali“, Tagores „Liederbuch zum Lobe Gottes“ (so die wörtliche Übersetzung des Titels).

Tagore ist alles andere als wortlos. Und was mir besonders nahe geht an diesen Gedichten, ist die Betonung einer gewissen Demut, die es nicht nur braucht, um „a Mensch zu seijn“ – wie es das Jiddische ausdrückt – sondern die auch, wie ich meine, eine notwendige Zutat für grosse Dichtung ist.

Ein Genie

Mittwoch, den 11. April 2007

Charles Bukowski

Heute hab ich im Zug einen
genialen Jungen
kennengelernt.
Er war ungefähr 6 Jahre alt,
saß direkt neben mir,
und als der Zug an der Küste
entlangfuhr
sah man das Meer
und wir schauten beide aus dem
Fenster
und sahen das Meer an
und dann drehte er sich
zu mir um
und sagte,
„Das is nich schön.“

Da ging mir das zum
ersten Mal
auf.

Charles Bukowski

••• Gefunden hat dieses Gedicht meine Frau… Das Original ist bei ihr nachzulesen.

Ich weiß warum die Wege…

Freitag, den 30. März 2007

Ich weiß warum die Wege
wenn sie sich losreißen von der Erde
mit den Vögeln spielen.
Mir ist bestens bekannt
wohin der Soldat stirbt
wenn er sein letztes Wort gerufen hat.
Die Bleiknöpfe seines Mantels
werden Zeichen
für das was neu sich vor ihm auftut.
Ein zartes Ästchen Wind
bläst in sein Grab.
Mit riesigen Schwüngen der Rippen
fängt der Soldat die Lufträder ein
die das Blut kreisen lassen zur Verlängerung des Lebens.
Nicht schwer ist auszurechnen
wie oft in der Minute das Herz schlägt des Feindes und des Kriegers.
Ferner sei euch das Mittel entdeckt
zur Erforschung der Himmelsbalkone
in denen das Pendel der sechsten Zeit
irdische Grüße versteckt.
Ich will euch den Weg der Rettung weisen.

Daniil Charms

••• Auf der Suche nach etwas Lustigem wurde ich hierhin geschickt. Da gibt es tatsächlich vieles zum Schmunzeln und Lachen. Und was wähle ich aus?

Der Hase im Rausch

Donnerstag, den 29. März 2007

Eberhard Esche: Der Hase im Rausch

Der Igel hatte einst zu seinem Wiegenfeste
Den Hasen auch im Kreise seiner Gäste,
Und er bewirtete sie alle auf das Beste.

Vielleicht ist auch sein Namenstag gewesen,
denn die Bewirtung was besonders auserlesen.
Und gradezu in Strömen floß der Wein,
Die Nachbarn gossen ihn sich gegenseitig ein.

So kam es denn, daß Meister Lampe
Bald zu schielen anfing – er verlor den Halt.
Er konnte nur mit Mühe sich erheben
Und sprach die Absicht aus,
Sich heimwärts zu begeben.

Der Igel war ein sehr besorgter Wirt
und fürchtete, daß sich sein Gast verirrt.

„Wo willst du hin mit einem solchen Affen?
Du wirst den Weg nach Hause
nicht mehr schaffen.
Und ganz allein im Wald
dem Tod entgegen gehen.
Denn einen Löwen, wild,
hat jüngst man dort gesehen.“

Dem Hasen schwoll der Kamm,
Er brüllt in seinem Tran:
„Was kann der Löwe mir?
Bin ich sein Untertan?
Es könnte schließlich sein, dass ich ihn selbst verschlinge.
Den Löwen her, ich ford’re ihn vor die Klinge!
Ihr werdet sehn wie ich den Schelm vertreibe,
Die sieben Häute, Stück für Stück,
zieh ich ihm ab von seinem Leibe
Und schicke ihn dann nackt
Nach Afrika zurück!“

Und so verließ der Hase also bald
Das fröhlich laute Fest,
Und er begann im Wald
Von einem Stamm zum anderen zu schwanken
Und brüllt dabei die kühnlichsten Gedanken
Laut in die dunkle Nacht hinaus:

„Den Löwen werde ich zerzausen,
Wir sahn in dem Wald
schon ganz andre Tiere hausen
Und machten ihnen doch
Den blutigen Garaus!“

Infolge des geräuschvollen Gezeters
Und des Gebrülls des trunk’nen Schwerenöters,
Der sich mit Mühe durch das Dickicht schlug,
Fuhr unser Löwe auf mit einem derben Fluch
Und packt den Hasen grob am Kragen:

„Du Strohkopf, willst es also wagen,
Mich zu belästigen mit dem Gebrüll? –
Doch warte mal, halt still!
Du scheinst mir ja nach Alkohol zu stinken!
Mit welchem Zeug gelang es dir,
Dich derart sinnlos zu betrinken?“

Sofort verflog der Rausch dem kleinen Tier,
Es suchte rasch, sich irgendwie zu retten:
„Sie, wir, nein ich…
Oh, wenn Sie Einsicht hätten –
Ich war auf einem Fest
Und trank viel Alkohol…
Doch immer nur auf Euer Gnaden Wohl!
Und Eurer guten Frau und Eurer lieben Kleinen!
Das wäre doch, so wollte es mir scheinen,
Ein trift’ger Grund, sich maßlos zu besaufen!“

Der Löwe ging ins Garn
Und ließ den Hasen laufen.

Der Löwe war dem Schnaps abhold
Und haßte jeden Trunkenbold.
Jedoch betörte ihn,
Wie dem auch sei,
Des Hasen Speichelleckerei.

Sergeij Michalkov

••• Nach der schweren Kost und den Debatten der letzten Tage heute einmal etwas ganz anderes. Dieses Gedicht musste ich natürlich für den Podcast aufnehmen. Aber ich gebe vorsorglich zu: Ich bin hier ganz Epigone. Die Interpretation stammt von Eberhard Esche. Die Schallplatte „Lyrik, Jazz und Prosa“, einen Veranstaltungsmitschnitt, in dem man neben Eberhard Esche auch Manfred Krug singen und rezitieren hören konnte, habe ich so oft gehört, bis sie den Geist aufgegeben hat. Ich kann also nicht mehr prüfen, wie stark ich hier den Vortrag von Herrn Esche kopiere. Aber darauf kommt es ja auch nicht an.

Ich wünsche also allen Turmsegler-Lesern einen entspannten Tag. Trinkt nicht zu viel und hütet eure sieben Häute!