Archiv der Kategorie 'Lyrik'

Traum

Samstag, den 17. Februar 2007

bluebeard - © 2006-2007 *lauren-rabbit@deviantart.com
bluebeard – © 2006-2007 by Lauren E. Simonutti

In der Nacht kam der Tod zu mir
Ich sagte:
„Noch nicht“
Er fragte:
„Warum noch nicht?“
Ich wußte nichts zu erwidern

Er schüttelte den Kopf
und ging langsam zurück
in den Schatten
Warum noch nicht?
Geliebte
weißt du keine Antwort?

Erich Fried, aus: „Liebesgedichte“
Verlag Klaus Wagenbach Berlin
(1983)

••• Das vertrödelte Buch waren die „Liebesgedichte“ von Erich Fried. Da fiel mir der „Gevatter Tod“ ein. Wie war das noch? Solange der Tod am Kopfende des Bettes steht…

fremder gast

Freitag, den 16. Februar 2007

Salavador Dali - Time

ich bin es noch immer
im fragenmantel
mein verlorenes land
im rücken
hat das suchen kein ende

die uhren vermessen beständig
und ohne zorn
die spannen
zwischen abschied und wiederkehr
mustert der stundenwächter
zufrieden
die riegel am herzbau

ich bin es noch immer
hinter begonientöpfen
webt die spinne ihr netz
in meinem mund

© Benjamin Stein (2006)

Was wir uns erzählen…

Dienstag, den 13. Februar 2007

Salome - © 2006-2007 by PonuryKosiarz@deviantart.com

Was wir uns erzählen
aus Kindheitstagen
ich erinnere mich an die Geräuschemacher
Regen, Sturm und Gewitter
niemand nimmt meinen Schatten an
über den Zaun geworfen ein Gnadenblick
für das Gesicht
und das Haus fällt in Tränen
aus deinen Augen

Das stille Weinen ist leicht
hörst du es?
du mußt leise sein
die Schultern sind es nicht gewohnt
so heftig bewegt zu werden

Charlotte Grasnick, aus: „Nach diesem langen Winter“
Verlag Un Art Ig Aschersleben
© Charlotte Grasnick (2003)


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Botschaften des Regens

Montag, den 12. Februar 2007

Pouring down with Rain - ©2006-2007 TheHumanFly@deviantart.com

Nachrichten, die für mich bestimmt sind,
weitergetrommelt von Regen zu Regen,
von Schiefer- zu Ziegeldach,
eingeschleppt wie eine Krankheit,
Schmuggelgut, dem überbracht,
der es nicht haben will –

Jenseits der Wand schallt das Fensterblech,
rasselnde Buchstaben, die sich zusammenfügen,
und der Regen redet
in der Sprache, von welcher ich glaubte,
niemand kenne sie außer mir –

Bestürzt vernehme ich
die Botschaften der Verzeiflung,
die Botschaften der Armut
und die Botschaften des Vorwurfs.
Es kränkt mich, daß sie an mich gerichtet sind,
denn ich fühle mich ohne Schuld.

Ich spreche es laut aus,
daß ich den Regen nicht fürchte und seine Anklagen
und den nicht, der sie mir zuschickte,
daß ich zu guter Stunde
hinausgehen und ihm antworten will.

Günter Eich, aus: „Botschaften des Regens“
© Suhrkamp Verlag 1955


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lasst nur die Toten Tote sein

Sonntag, den 11. Februar 2007

Neue Synagoge Ohel Jakob München - Gang der Erinnerung

lasst nur die Toten Tote sein. und legt sie schlafen unter Rinden
jetzt wo sie einmal Tote sind. ihr sollt sie binden fest
an Stricken unter schweren Steinen und keine Lilien auf die Gräber
die duften ja umsonst. stellt ihnen sieben Hütten drauf aus Stroh
die sind genug. da kommt nichts, nein, wenn Sehnen einmal reißen
und volle Herzen mal geschlagen sind. die schmalen Ohren doch mit Grind
und Erde jetzt. ach lasst die Toten schlafen, ihr.

den andern sollt ihr Wasser geben. wohl warmes Blut aus euren Kehlen
viel Milch, Muskat, drei Tüten Thymian, auch Zuckerhüte, wenn ihr habt
und manchmal eine Unze Gold. Vor allem sind sie durstig, sollt ihr wissen:
das Blut kühlt ihre Kehlen sehr und Wasser wühlt die Äcker auf. das macht
.die andern fester träumen.

Ulrike Almut Sandig, aus: „Zunder“,
Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke
© Ulrike Almut Sandig 2005-2007

••• Als ich in Ulrikes „Zunder“ stöberte und das Totengedicht zum ersten Mal las, wanderten meine Gedanken unwillkürlich zu der langen Tafel im „Gang der Erinnerung“ unserer neuen Synagoge am Münchner Jakobsplatz: über 4.500 Namen von Münchner Juden, die aus den Vernichtungslagern nicht heimgekehrt sind. Und ich dachte ebenso an eine ähnliche Namenstafel auf dem Friedhof der Sozialisten in Berlin Friedrichsfelde, auf der unter vielen anderen auch der Name meines Urgrossvaters steht, der 1933 in einem Gestapo-Gefängnis starb.


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Aria I

Freitag, den 9. Februar 2007

The Lone Leaf - © 2006-2007 ~Kyra-Wolf

Wohin wir uns wenden im Gewitter der Rosen,
ist die Nacht von Dornen erhellt, und der Donner
des Laubs, das so leise war in den Büschen,
folgt uns jetzt auf dem Fuß.

Wo immer gelöscht wird, was die Rosen entzünden,
schwemmt Regen uns in den Fluß. O fernere Nacht!
Doch ein Blatt, das uns traf, treibt auf den Wellen
bis zur Mündung uns nach.

Ingeborg Bachmann

••• Noch eine Assoziation zu Gabriela Mistral:

Die Seele wird dem Körper sagen, sie trüge
das Gewicht des Leibes auf dem Rosenweg nicht weiter …

Bei diesem Vers aus den „Sonetten des Todes“ musste mir einfach die „Aria I“ einfallen.

Morgens und abends zu lesen

Donnerstag, den 8. Februar 2007

Umbrella - by NELA.LAZAREVIC

Der, den ich liebe,
Hat mir gesagt,
Daß er mich braucht.
Darum
Gebe ich auf mich acht
Sehe auf meinen Weg
Und fürchte von jedem
Regentropfen
Daß er mich erschlagen
könnte.

Bertolt Brecht

••• Assoziation zu Gabriela Mistrals Vers

Auf meinen Leib achte ich nur, damit ich dein Grab schützen kann vor Regen und Schnee.

aus „Falls der Tod kommt“.