Archiv der Kategorie 'Lyrik'

Der Hase im Rausch

Donnerstag, den 29. März 2007

Eberhard Esche: Der Hase im Rausch

Der Igel hatte einst zu seinem Wiegenfeste
Den Hasen auch im Kreise seiner Gäste,
Und er bewirtete sie alle auf das Beste.

Vielleicht ist auch sein Namenstag gewesen,
denn die Bewirtung was besonders auserlesen.
Und gradezu in Strömen floß der Wein,
Die Nachbarn gossen ihn sich gegenseitig ein.

So kam es denn, daß Meister Lampe
Bald zu schielen anfing – er verlor den Halt.
Er konnte nur mit Mühe sich erheben
Und sprach die Absicht aus,
Sich heimwärts zu begeben.

Der Igel war ein sehr besorgter Wirt
und fürchtete, daß sich sein Gast verirrt.

„Wo willst du hin mit einem solchen Affen?
Du wirst den Weg nach Hause
nicht mehr schaffen.
Und ganz allein im Wald
dem Tod entgegen gehen.
Denn einen Löwen, wild,
hat jüngst man dort gesehen.“

Dem Hasen schwoll der Kamm,
Er brüllt in seinem Tran:
„Was kann der Löwe mir?
Bin ich sein Untertan?
Es könnte schließlich sein, dass ich ihn selbst verschlinge.
Den Löwen her, ich ford’re ihn vor die Klinge!
Ihr werdet sehn wie ich den Schelm vertreibe,
Die sieben Häute, Stück für Stück,
zieh ich ihm ab von seinem Leibe
Und schicke ihn dann nackt
Nach Afrika zurück!“

Und so verließ der Hase also bald
Das fröhlich laute Fest,
Und er begann im Wald
Von einem Stamm zum anderen zu schwanken
Und brüllt dabei die kühnlichsten Gedanken
Laut in die dunkle Nacht hinaus:

„Den Löwen werde ich zerzausen,
Wir sahn in dem Wald
schon ganz andre Tiere hausen
Und machten ihnen doch
Den blutigen Garaus!“

Infolge des geräuschvollen Gezeters
Und des Gebrülls des trunk’nen Schwerenöters,
Der sich mit Mühe durch das Dickicht schlug,
Fuhr unser Löwe auf mit einem derben Fluch
Und packt den Hasen grob am Kragen:

„Du Strohkopf, willst es also wagen,
Mich zu belästigen mit dem Gebrüll? –
Doch warte mal, halt still!
Du scheinst mir ja nach Alkohol zu stinken!
Mit welchem Zeug gelang es dir,
Dich derart sinnlos zu betrinken?“

Sofort verflog der Rausch dem kleinen Tier,
Es suchte rasch, sich irgendwie zu retten:
„Sie, wir, nein ich…
Oh, wenn Sie Einsicht hätten –
Ich war auf einem Fest
Und trank viel Alkohol…
Doch immer nur auf Euer Gnaden Wohl!
Und Eurer guten Frau und Eurer lieben Kleinen!
Das wäre doch, so wollte es mir scheinen,
Ein trift’ger Grund, sich maßlos zu besaufen!“

Der Löwe ging ins Garn
Und ließ den Hasen laufen.

Der Löwe war dem Schnaps abhold
Und haßte jeden Trunkenbold.
Jedoch betörte ihn,
Wie dem auch sei,
Des Hasen Speichelleckerei.

Sergeij Michalkov

••• Nach der schweren Kost und den Debatten der letzten Tage heute einmal etwas ganz anderes. Dieses Gedicht musste ich natürlich für den Podcast aufnehmen. Aber ich gebe vorsorglich zu: Ich bin hier ganz Epigone. Die Interpretation stammt von Eberhard Esche. Die Schallplatte „Lyrik, Jazz und Prosa“, einen Veranstaltungsmitschnitt, in dem man neben Eberhard Esche auch Manfred Krug singen und rezitieren hören konnte, habe ich so oft gehört, bis sie den Geist aufgegeben hat. Ich kann also nicht mehr prüfen, wie stark ich hier den Vortrag von Herrn Esche kopiere. Aber darauf kommt es ja auch nicht an.

Ich wünsche also allen Turmsegler-Lesern einen entspannten Tag. Trinkt nicht zu viel und hütet eure sieben Häute!

Ich will das Brot mit den Irren teilen

Mittwoch, den 28. März 2007

A Simple Bell by osagelady@deviantart.com

Ich will das Brot mit den Irren teilen,
täglich ein Stück von dem großen Entsetzen,
auch die Glocke im Herzen,
dort, wo die Taube nistet
und ihre winzige Zuflucht hat
in der Wildnis über den Wassern.
Lange hab ich als Stein gehaust
am Grunde der Dinge.
Aber ich habe die Glocke gehört
leise von deinem Geheimnis reden
in den fliegenden Fischen.
Ich werde fliegen und schwimmen lernen
und das Steinerne unter den Steinen lassen,
die Schwermut betten in Perlmutter
doch den Zorn und das Elend erheben.
Meine Flügel sind älter als deine Geduld,
meine Flügel flogen dem Mut voraus,
der das Irren auf sich nahm.
Ich will das Brot mit den Irren teilen
dort in der furchtbaren Wildnis der Taube,
wo die Glocke das große Entsetzen drittelt
zum dreifachen Laut deines Namens.

Christine Lavant
aus: Gedichte. Suhrkamp Verlag 1988
© Otto Müller Verlag Salzburg 1978

••• Aller guten Dinge sind drei? Hier also noch ein weiteres grosses Gedicht von Christine Lavant…

Das Headset konnte ich schon mal aus den Umzugskisten fischen, um die Gedichte der letzten beiden Tage aufzunehmen. Die Beiträge wurden also aktualisiert.

Die Fremde aß des Gegengottes Haar

Dienstag, den 27. März 2007

Die Fremde aß des Gegengottes Haar,
sie wollte wachsen wie die Birkenruten,
der Sonne hold sein und den Mond beguten,
auch eine Hütte haben für das Jahr
der Heiligung und Gold am Heimzahltag.
Mir war sie fremd wie eine Abendspinne,
obwohl sie ständig mir am Herzen lag
und nacheinander alle meine Sinne
zu Waisen machte, um sie zu verkaufen.
Mit meinem Schatten ging sie Wetten-Laufen,
wenn ich erschöpft auf meinen Fersen hockte.
Oft, wenn vor Elend schon das Blut mir stockte,
sang sie als Lerche hoch auf meinem Scheitel,
wo ihr der Gegengott entgegenkam.
Ich ward so scheu, sie aber wandelt zahm
durch meinen Himmel und nennt alles eitel
und fühlt sich heilig unter meinem Dache,
trägt dort des Gegengottes Samen aus.
Mir stellt sie Fallen wie für eine Maus
und ich muß trachten, daß ich ständig wache,
sonst stiehlt sie mir auch noch den letzten Schlag
von meinem Herzen für den Heimzahltag.

Christine Lavant
aus: Gedichte. Suhrkamp Verlag 1988
© Otto Müller Verlag Salzburg 1978

••• Das Leiden der Christine Lavant wird oft auf ihre körperliche Krankengeschichte zurückgeführt. Doch woher rühren solch chronische Krankheiten? Ich bin immer geneigt anzunehmen, dass diese körperlichen Krankheiten Folgen eines ausgeprägten seelischen Leidens sind. Wie gewollt ist in diesem tieffrommen Haus das Kind, das sich nur als „des Gegengottes Samen“ empfinden kann? Das nichts gilt. Dessen Empfinden nichts gilt. Das nicht mithalten kann im Anbetungsmarathon der Mutter, die dabei das eigene Kind seelisch verhungern lässt.


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Meine Schwäche geht mit mir um

Montag, den 26. März 2007

Fortress by SirenniaStock@deviantart.com

Meine Schwäche geht mit mir um.
Sie duckt mich hinab zu den Straßensteinen
und läßt in verwunderten Krötenaugen
ihr Beigeselltes erstehen.
Niemand kauft mich dem los.
Entlegen schaukelt die Münze des Mondes
in viel zu schwarzen, zu mächtigen Wassern
für meine erstorbenen Finger.
Alles Gefühl wich aus ihnen zurück
und kauerte sich in den Handwurzeln nieder,
ängstlich, was ich befehlen werde
im Auftrag der Hoffnung.
Zitternd läutet mein Herz
den dreigeteilten heiligen Ton,
doch auf der Zunge liegt mir das Blei
des entschlossenen Schweigens.
Niemals will ich um Hilfe rufen.
Durch Straßensteine und Krötenaugen
folge ich meiner wütenden Schwäche
in die Festung des Vaters.

Christine Lavant
aus: Gedichte. Suhrkamp Verlag 1988
© Otto Müller Verlag Salzburg 1978

••• Je mehr ich wieder lese, desto öfter kehrt auch ein Gedanke wieder, der mir in den letzten Jahren nicht gefehlt hat und auf den ich gern verzichten würde. Der Gedanke nämlich, ob es nicht besser sei, es beim Schweigen und Lesen zu belassen. Wenn es nur ein Moment der Demut wäre angesichts dessen, was andere an Dichtung hervorgebracht haben, was schon gesagt wurde und wie… Aber es ist nicht Demut. Leider.

Die Entdeckung der Gedichte von Christine Lavant verdanke ich dem Turmsegler. Der Name war mir schon seit langem geläufig. Zum ersten Mal gehört hatte ich ihn von Charlotte Grasnick. Doch erst auf Empfehlung von Hans J. Hilbig aka Sturznest habe ich mir die von Thomas Bernhard besorgte und im Suhrkamp Verlag erschienene Auswahl gekauft. Was für Gedichte!

Der Eindruck hätte nicht grösser sein können, wenngleich meine Euphorie sich ein wenig relativiert hat, nachdem ich den ganzen Band mehrfach von vorn bis hinten und wieder zurück gelesen habe. Relativiert, ja. Aber davon ein anderes Mal mehr.

Abschied

Sonntag, den 25. März 2007

Nie war es schwieriger, Abschied zu nehmen, als jetzt.
Doch die Zeit, Lebewohl zu sagen, ist gekommen.

Sag den verbotenen Küssen adieu.
Gib deiner Angst zum letzten Mal die Hand.
Lass die Prinzessin noch einmal deinen Kopf ausgraben.
Schau ihr lang ins Gesicht und liebe ihr Haar und ihr Auge
und den stolzen Schwung ihrer Stirn.
Sieh noch einmal hinein in den Rachen der Kinderträume.
Gib dich noch einmal der Verlassenheit hin
und lass deinen Atem stocken
im Spinnenkessel der Nacht.

Du kannst das Loch nicht mit Wasser stopfen.
Kein Kuss macht den Hunger wett.
Atme aus und ein und öffne die Augen
und jage die Herzvagabunden davon.

Sag: Adieu, die Zeit ist gekommen.
Gib deiner Angst zum letzten Mal die Hand.

© Benjamin Stein (2007)
aus: „Ein anderes Blau“

••• Nach einigem Überlegen habe ich mich entschlossen, das „Blau“ ausschliesslich über die Tag-Seiten und RSS-Feeds zu bringen und hier mit dem Turmsegler-Programm ganz wie gewohnt fortzufahren. Eine Ausnahme allerdings will ich machen. Die Gedichte aus dem „Blau“ werde ich, wenn die Reihe an sie gekommen ist, auch hier bringen. Denn Lyrik ist schliesslich das vornehmliche Turmsegler-Thema.

Dieses Gedicht hat für mich eine besondere Bedeutung ganz jenseits des Themas. Es war, nach einer Pause von vielen Jahren, das erste Gedicht, das den Weg zu mir gefunden hat. Ich hatte mehrere Jahre als Journalist gearbeitet, zig Hundert Artikel produziert. An Literatur war nicht zu denken.

Dieses Gedicht entstand an einem Abend in Paderborn. Ich hatte eine Wochenschulung bei Siemens zu geben, am frühen Abend ein wenig zu Fuss die Innenstandt erkundet und sass im Hotel am offenen Fenster.

Und da war es plötzlich da und musste nur noch notiert werden. Und ich wusste: Es geht noch.

An diesem Abend schlief ich lange nicht ein.

Ballade

Freitag, den 23. März 2007

Er ging mit einer anderen vorbei,
und ich sah ihn gehn.
Samten der Wind,
im Frieden der Weg.
Meine armen Augen,
sie sahen ihn gehn!

Er liebt eine andere
im blühenden Land.
Der Weißdorn brach auf,
vorbei weht ein Lied.
Er liebt eine andere
im blühenden Land!

Er küßt eine andere
am Meeresstrand.
In den Wogen sank unter
weiß blühend der Mond.
Und mein Blut färbte nicht
die Weite des Meers!

Er wird mit der anderen
auf ewig gehn.
Heiter der Himmel.
(Gott hüllt sich in Schweigen.)
Er wird mit der andern
auf ewig gehn.

Gabriela Mistral
Übertragung: Albert Theile
© der Übertragung Luchterhand 1958

••• Dieses Gedicht erinnert mich an eine Schallplatte, die mir mein Grossvater vor vielen, vielen Jahren von einem Kuraufenthalt auf Kuba mitgebracht hat. Ich sehe noch genau das Cover vor mir, und habe noch die Boleros und Balladen im Ohr. An den Namen der Sängerin erinnere ich mich nur vage. Ich glaube, es war Miriam Ramos. Ich habe ja nichts verstanden, aber es muss pausenlos um Liebe gegangen sein in diesen Liedern.

Und das Gedicht erinnert mich auch an eine meiner liebsten CDs. Da singt Nina Simone einen Text von Jesse Mae Robinson:

The other woman finds time to manicure her nails
The other woman is perfect where her rival fails
And she’s never seen with pin curls in her hair

The other woman enchantes her clothes with french perfume
The other woman keeps fresh cut flowers in each room
There are never toys that’s scattered everywhere

And when her baby comes to call
He’ll find her waiting like a lonesome queen
‚Cos when she’s by his side
It’s such a change from old routine

But the other woman will always cry herself to sleep
The other woman will never have his love to keep
And as the years go by the other woman
Will spend her life alone

Ich würde das ja gern in den Podcast leiten; aber dann stehen gleich die bösen Anwälte der Musikindustrie auf der Matte…

Preß nicht meine Hände

Donnerstag, den 22. März 2007

Preß nicht meine Hände!
Die Zeit wird kommen, die lang dauernde,
des Ausruhn´s mit viel Staub und Schatten
in den verflochtenen Fingern.

Du möchtest sagen: „Ich kann
sie nicht lieben, denn ihre Finger lösten sich schon,
wie aus der Samenhülle das Korn“.

Küß nicht meinen Mund!
Der Augenblick wird kommen, erfüllt
von erlöschendem Licht, da ich ohne Lippen
sein werde, auf nasser Erde.

Du möchtest sagen: „Ich habe sie geliebt,
aber ich kann sie nicht länger lieben, jetzt,
wo sie den Ginsterduft meines Kusses nicht mehr atmet“.

Ängstigen würde es mich, dich sprechen zu hören,
und du sprächest im Wahn und blind.
Denn meine Hand wird auf deiner Stirne ruhen,
wenn meine Finger brechen,
und auf dein Gesicht, gezeichnet von Sehnsucht,
wird sich mein Atem senken.

Daher berühre mich nicht. Lüge wäre es,
zu sagen, ich schenkte dir meine Liebe
in meinen ausgebreiteten Armen,
meinem Mund, meiner Stimme;
und du, wenn du glaubst, du hättest alles getrunken,
du täuscht dich wie ein einfältiges Kind.

Denn meine Liebe ist nicht nur die Garbe,
widerspenstig, ermattet, meines Leibes,
der erzittert, wenn das Büßerhemd ihn streift
und mir zurückbleibt bei jeglichem Flug.

Im Kuß ist nicht nur die Lippe,
und die Stimme nicht nur Echo der Brust:
Meine liebe ist Gottes Sturmwind, der meines Fleisches
Zweig mir im Fluge spaltet!

Gabriela Mistral
Übertragung: Albert Theile
© der Übertragung Luchterhand 1958

••• Mit zwei Gedichten von Gabriela Mistral habe ich diese kleine Reise nach Lateinamerika begonnen. Mit zwei Gedichten von ihr will ich sie auch – vorläufig – beenden. Ich muss sicher noch einmal zurückkehren, denn allzu viele mir wichtige Autoren sind noch nicht erwähnt: Márquez beispielsweise oder Asturias. Das wird nachgeholt werden. Aber es drängt mich jetzt, das Thema zu wechseln, weil ich eine grosse Entdeckung gemacht habe, die ich mit den Turmseglern teilen möchte. Noch aber ist es nicht so weit, und es gibt – heute und morgen – nochmals Gabriela Mistral.