Archiv der Kategorie 'Lyrik'

Wir fanden, aber wir hielten es nicht

Sonntag, den 22. Januar 2012

Wir fanden, aber wir hielten es nicht und versagten. Es nahm unsern Kopf in die Hände und küßte ihn. Lange war’s da. Doch immer vergeht, was wir haben, sowie wir es haben. Es flieht, um dann wirklich zu bleiben: als eines, das war. Bliebe es anders, verlör’s sich, sich duckend, im Alltag. Für niedrige Türen, Geliebte, ist Liebe zu groß und verrenkt sich, gedemütigt, rutscht, wenn wir sie schieben, auf Knien, verbeißt sich den Stolz. Und erträgt’s nicht.

Merkten wir nicht, was wir taten? Wie oft putzten wir Zähne gemeinsam, aßen so sprachlos zu Abend, die Aufmerksamkeiten erlascht, wie ein Echo ins Mehl klingt, dem schwarzen für Brot, das uns nährt, aber stumpf macht: das Brot stumpf, das Herz stumpf. So kauen wir. Stromrechnung, Miete, die tägliche Rücksicht, der Einkauf, beiseitegeschobne, als würden sie schänden, Verlangen. Die Zimmer zu schmale, wir spüren Verlust, aber schweigen ums Unheil. Denn sprächen wir’s aus, es wär ein Verrat, denkt man, der’s weckte und herlockt. Plötzlich, da stehn wir uns fremd da, uns selbst und als Fremde einander. Da gingst du.

Verlust ist des Bleibenden Anfang […]

Alban Nikolai Herbst, aus:
»Das bleibende Thier • Bamberger Elegien«
Vierte Elegie

••• Von meinem Besuch letztens in der Arbeitswohnung von Alban Nikolai Herbst – es war mein erster bei ihm – nahm ich ein kleines Buch als Geschenk mit. Sobald ich konnte, am nächsten Morgen im Hotel, begann ich zu lesen und vertagte die Lektüre nach zwei Seiten. Im Vorbeigehen, wusste ich, würde ich dieses Buch nicht lesen können. Ein paar Tage später, wieder zu Hause in München, begann ich erneut. Und wieder wollte es mir nicht gelingen, mich auf den Text einzulassen.


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Bis morgen

Sonntag, den 25. Dezember 2011

••• Der Hanser-Michel ist mir unheimlich. Wenn er nicht ein Doppeldutzend Poesie-Schrate im heimischen oder im Verlagskeller zur Arbeit zwingt, ist es kaum zu fassen, wie er Ausgabe um Ausgabe der »akzente« so viel unterschiedlich Interessantes aus einem – wie er versichert – nicht versiegenden Vorrat aus dichterischen Devotionalien zusammenstellt. Ich lese jetzt schon seit Wochen in der Ausgabe 1/2011 der »akzente«, und wäre ich nicht so unsäglich blog-müde, ich hätte sicher schon längst über wenigstens vier Beiträge aus diesem Heft hier geschrieben. Vielleicht hole ich das noch nach – wenn das Heft, das soeben von meinem Sohn unter Badewasser gesetzt worden ist, wieder trocken…


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erotische gedichte

Montag, den 19. September 2011

e. e. cummings: »erotische gedichte«

Liebe, Humor, Frau, Mann. Kommt nun noch die Freude am sprachlichen Experiment dazu, ist man bei den erotischen Gedichten des amerikanischen Lyrikers und Malers E.E. Cummings (1894–1962) angelangt. Cummings liebt das Physische in allem, was er tut: Er liebt die Buchstaben, die Wörter. Und er liebt die Frauen, die Erotik, den Sex. So wie er immer wieder die sinnliche Einheit zweier Liebender und ihrer Körper feiert, so spielt er auch mit dem Körper der gedruckten Sprache: Er trennt und vereint die sprachlichen Körperteile, um sie zu neuen und überraschend lustvollen Bildern im Kopf der Leser werden zu lassen. Seine Gedichte bewegen sich dabei zwischen romantisch und obszön, zärtlich und derb, verspielt und frivol. Seine liebevollen erotischen Stellungnahmen entzücken und provozieren.
Dieser Band vereint zum ersten Mal ausgewählte erotische Gedichte aus dem umfangreichen lyrischen Werk von E.E. Cummings.

••• Gestern bekam ich eines der ersten Exemplare von cummings‘ »erotischen gedichten« in die Hand. Der zweisprachige Band erscheint am kommenden Donnerstag in der textura-Reihe von C.H.Beck. Die sehr gelungene Neuübertragung der Gedichtauswahl – ursprünglich in dieser Zusammenstellung bei W. W. Norton & Company erschienen (siehe auch »» hier) – hat Lars Vollert besorgt. Mich freut besonders, dass ich ein Nachwort zu diesem Band beisteuern durfte und sich in diesem Nachwort auch eine Zeichnung von Kerstin Klein findet, die sie mir vor einigen Jahren verehrt hat.


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Nicht bei Trost, aber bei litblogs.net

Samstag, den 19. Februar 2011

••• Es hilft, nicht ganz bei Trost zu sein, wenn man Endlos-Haikus schreibt wie Franz Dodel. Vielleicht ist es sogar eine Voraussetzung dafür. Über Dodels Mammutgedichte im Haiku-Silbenmaß habe ich hier schon ausführlich berichtet. Umso mehr freut es mich, dass Franz Dodel nun auch mit einem Weblog Präsenz zeigt und Aufnahme in den illustren Kreis der Litblogger von litblogs.net gefunden hat. Herzlich Willkommen, Franz!

Sein Blog »Nicht bei Trost« kann man per eigenem RSS-Feed oder über die Website bzw. den Feed von litblogs.net verfolgen. Viel Vergnügen!

Manifesto

Freitag, den 14. Januar 2011

Victor Jara: »Manifesto«

Yo no canto por cantar
ni por tener buena voz,
canto porque la guitarra
tiene sentido y razón.

Tiene corazón de tierra
y alas de palomita.
Es como el agua bendita,
santigua glorias y penas.

Aquí se encajó mi canto
como dijera Violeta;
guitarra trabajadora
con olor a primavera.

Que no es guitarra de ricos,
ni cosa que se parezca,
mi canto es de los andamios
para alcanzar las estrellas.

Que el canto tiene sentido
cuando palpita en las venas
del que morirá cantando
las verdades verdaderas.

No las lisonjas fugaces
ni las famas extranjeras,
sino el canto de una lonja
hasta el fondo de la tierra.

Ahí donde llega todo
y donde todo comienza,
canto que a sido valiente
siempre será canción nueva.

••• Als Teenager hatte ich eine Schallplatte von Victor Jara. Chile, der Putsch 1973, die exilierten Chilenen – unter ihnen viele Künstler – das alles war sehr präsent damals, hat mich ungemein bewegt. Ich habe alle Bücher von Antonio Skármeta und Ariel Dorfman gelesen, deren Texte zum Teil zuerst in deutscher Übersetzung in der DDR erschienen und erst viel später, nach Pinochets Abgang, in Chile selbst.


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Reiche Poeten

Dienstag, den 7. Dezember 2010

«Poetry», 1912 von der Dichterin Harriet Monroe gegründet, ist die älteste Lyrikzeitschrift der USA. Neben vielen anderen veröffentlichten T. S. Eliot und Ezra Pound dort ihre ersten Werke. Jahrzehntelang konnte das Heft nur dank kleinen Spenden überleben. Zusammengestellt wurde es von einem vierköpfigen Redaktionsteam in einem fensterlosen Raum, den die Bibliothek von Chicago kostenlos zur Verfügung stellte. «Ausser der bedingungslosen Liebe zur Literatur gab es keinen Grund, bei uns zu arbeiten», erinnert sich der Programmdirektor Stephen Young, «wir sassen so eng aufeinander, dass wir die Telefonate unserer Kollegen mithören konnten.»

••• Das hat sich gehörig geändert, seit Ruth Lilly, betagte Erbin eines Pharmaunternehmens, »Poetry« Wertschriften im Betrag von rund 100 Millionen Dollar vermachte. Deren Wert wird mittlerweile auf das Doppelte geschätzt wird und ermöglicht den »Poetry«-Herausgebern die Förderung von Dichtung in nirgendwo anders je gesehenem Umfang.

Das ist doch mal eine Geschichte, die hoffen lässt für die Dichtung. Gefunden hat sie in der NZZ »Verbrecher« Jörg Sundermeier. Merci.

At Roane Head

Freitag, den 8. Oktober 2010

She gave me a skylark’s egg in a bed of frost;
gave me twists of my four sons‘ hair; gave me
her husband’s head in a wooden box.
Then she gave me the sealskin, and I put it on.

© Robin Robertson, aus:
»The Wrecking Light«, Picador 2010

••• Heute nun endlich der Robertson-Band in der Post. Den Originaltext von »At Roane Head« (deutsch von Jan Wagner: »Am Robbenkap«), habe ich »» hier nachgetragen.