Archiv der Kategorie 'Lyrik'

So auch mit mir

Donnerstag, den 5. Juli 2007

Seeflotten – auch sie streben heim zum Pier.
Der Eisenbahnzug eilt dem Bahnhof entgegen.
Nun, um so mehr zieht es mich zu dir
(ich liebe ja!) -.
du mein Magnet und mein Segen.
Bei Puschkin: der geizige Ritter –
steigt die Kellertreppe hernieder,
um drunten lüstern im Golde zu wühlen.
So kehr auch ich, Freundin,
zu dir immer wieder.
Gern mustre ichs wie ein Zuhause:
dies Herz – es ist mein.
Ihr kehrt fröhlich heim,
gönnt euch eine Pause.
Schmutz schabt ihr vom Leibe,
rasiert und wascht euch tagein – tagaus.
So kehr auch ich
geläutert zu dir wieder, –
und bin ich, zu dir gehend,
nicht auf dem Heimweg, nach Haus?!
Die Irdischen empfängt der Erdenschoß,
wir kehren zurück zum zielhaften End.
So kehr auch ich
zu dir heim, du mein Los,
unausweichlich, wir haben uns kaum getrennt,
kaum ließen die Augen einander los.

Wladimir Majakowski (1922)

••• Schändlich! Da schreibe ich über Katajew und Majakowski; und kein einziges Gedicht bringe ich hinterdrein. Das lag zunächst daran, dass seine Verstreppen im Web nahezu unsetzbar sind. Aber es gibt, zumal aus den 1920er Jahren, ja auch Gedichte von ihm, in denen er die Verse noch weniger raumgreifend gestaltet. (Die Legende behauptet ja, dieser ausgreifende Stil wäre finanziell motiviert gewesen. So passten auf den gleichen Platz – einer Zeitungsseite etwa – weniger Gedichte, und es wurde nach Seiten bezahlt…)

Seeflotten – auch sie streben heim zum Pier.

Ein wenig fühlte ich mich an „Die Anker lichten“ erinnert…

Nicht bei Trost

Dienstag, den 3. Juli 2007

Franz Dodel - Nicht bei Trost - a never ending Haiku

••• Tankas haben oft einen Gesprächscharakter im Sinne von Rede (die ersten drei Zeilen) und Gegenrede oder Antwort (die zwei Schlusszeilen). Im Japan der Edo-Zeit machte man sich ein Gesellschaftsspiel daraus, Tankas aus dem Stregreif zu dichten und in Form eines Gesprächs zu verketten, wobei ein Tanka jeweils das Thema oder Material des Schlusses des Vorgänger-Tankas aufnahm.

Eine solche Verkettung der Kurzgedichtform hat auch Franz Dodel geschaffen. Sein auf drei wunderschöne Bände aufgeteilter 6.000-Zeilen-Haiku ist dabei nicht wirklich eine Verkettung von Haikus, sondern ein ständiger Wechsel zwischen Zeilen zu 5 und 7 Silben. „Nicht bei Trost – a never ending Haiku“ nennt Dodel sein Werk. Er nutzt die Form als ein Gefäss, in das er seine Dichtung tropfen lässt, nicht strukturlos, doch assoziativ mäandernd, oft wie ein Mantra. Dabei gelingen ihm zuhauf Momente grosser Poesie.


Den ganzen Beitrag lesen »

Japanische Kurzgedichte

Montag, den 2. Juli 2007

••• Bei meinen Streifzügen durch die poetischen Formenlandschaften bin ich früh auf eine Gattung gestossen, die sich seit längerer Zeit auch im deutschsprachigen Raum grosser Beliebtheit erfreut, obgleich es eine Form ist, die ganz und gar nicht für eine europäische Sprache gemacht ist. Die Rede ist von japanischen Kurzgedichten: Tankas und Haikus.


Den ganzen Beitrag lesen »

blaue stunde

Sonntag, den 1. Juli 2007

Smoke – © vikking20@deviantart.com

Smoke – © vikking20@deviantart.com

in der blauen stunde streift
meine zunge im schafspelz
geständnisse ab
an deiner haut

heute will ich auf steinen schlafen
hörst du mich sagen und
ehrlicher klirren die ketten nie
als am tag des verrats

in der blauen stunde
gehn die kinder durchs ried
und köpfen mit hölzernen schwertern
was vom schilf noch blieb

© Benjamin Stein (2007)

••• Das könnte der heutige Gegenentwurf sein zum Gedicht vom Donnerstag: in der Form wie im Inhalt. Ob es auch epigonal ist, müssen andere entscheiden…

Begegnung

Donnerstag, den 28. Juni 2007

Als wir begannen, schamlos zu betrachten
des andren Lippen, Augen, Hand und Haar
vergaßen wir sehr bald, darauf zu achten
was vorher uns die größte Angst noch war:
daß ohne Müh der andre uns erkennte.

Ich war darauf nicht sonderlich erpicht
daß mit dem ersten Wort uns nicht mehr trennte
Verschwiegenes, das meint: den kennst du nicht.

Sagt ich: Zur Offenheit gehört auch Mut
da riefst du: Feigling! Hast mich so genannt
und ich war stumm und Traurigkeit wohl da.

Doch wurd ich froh am Ende, als ich sah:
Wir hatten uns – trotz allem – doch erkannt.
Und wußt es: So – und nur so – war es gut.

© Benjamin Stein (1989)

Weiße Nächte

Mittwoch, den 27. Juni 2007

Niemand hier,
und der Körper sagt: nichts Gesagtes
sei gesagt. Doch ist auch
niemand ein Körper, und was der Körper sagt,
hört niemand
als du selbst.

Schneefall und Nacht. Die Wiederholung
eines Mordes
unter den Bäumen. Der Stift
fährt über die Erde: er weiß nicht mehr,
was geschehn wird, und die Hand, die ihn hält,
ist verschwunden.

Und dennoch schreibt er.
Schreibt: am Anfang, unter
den Bäumen, kam ein Körper
aus der Nacht. Er schreibt:
des Körpers Weiße
ist der Erde Farbe. Ist Erde,
und die Erde schreibt: alles hat
die Farbe des Schweigens.

Ich bin nicht mehr hier. Nie habe ich gesagt,
was du mir
nachsagst. Und doch ist der Körper ein Ort,
an dem nichts stirbt. Und jede Nacht
hörst du am Schweigen der Bäume,
dass meine Stimme
dir entgegenwandelt.

Paul Auster, aus: „Disappearances – Vom Verschwinden“
Nachdichtung: Werner Schmitz
© Rowohlt Taschenbuch Verlag 2001

••• „… alles hat / die Farbe des Schweigens.“ – Noch ein kleiner Nachschlag Lyrik von Paul Auster.

Nacht, wie von innen

Dienstag, den 26. Juni 2007

Paul Auster

Paul Auster

Night, as though tasted
within. And of us, each lie
the tongue would know
when it draws back, and sinks
into its poison.
We would sleep, side by side
with such hunger, and from the fruit
we war with, become the name
of what we name. As though a crime, dreamed
by us, could ripen in cold, and fell
these black, roweling trees
that drain the history of stars.

Nacht, wie von innen
gekostet. Und jede unserer Lügen
erkennt die Zunge,
wenn sie zurückweicht und in
ihr Gift versinkt.
Wir schliefen Seite an Seite
mit solchem Hunger, und wurden von dem Obst,
das wir bekämpften, zum Namen dessen,
was wir benennen. Als könne ein von uns
geträumtes Verbrechen im Kalten reifen
und jene schwarzen, spornenden Bäume fällen,
die die Geschichte der Sterne ausbluten.

Paul Auster, aus: „Disappearances – Vom Verschwinden“
Nachdichtung: Werner Schmitz
© Rowohlt Taschenbuch Verlag 2001

••• Heute gilt mein Dank Ken Yamamoto für seinen Hinweis auf die Gedichte von Paul Auster. Neue Gedichtbände lese ich normalerweise cover to cover und stecke kleine Lesezeichen an die Fundorte von Gedichten, die beim ersten Lesen gleich eine Resonanz in mir auslösen und von denen ich weiss, ich werde mich an sie erinnern und über kurz oder lang nach ihnen suchen.

Auch Austers „Disappearances“ begann ich so zu lesen. Aber ich habe schnell aufgegeben mit den Lesezeichen; es waren einfach zu viele.


Den ganzen Beitrag lesen »