Archiv der Kategorie 'Lyrik'

Das Unaufhörliche (Lied)

Donnerstag, den 30. August 2007

Gottfried Benn: Das Jahrhundertwerk in 2 Bd. (Klett-Cotta)

Lied

Lebe wohl den frühen Tagen,
die mit Sommer, stillem Land
angefüllt und glücklich lagen
in des Kindes Träumerhand.
Lebe wohl, du großes Werde,
über Feldern, See und Haus,
in Gewittern brach die Erde
zu gerechtem Walten aus.
Lebe wohl, was je an Ahnen
mich aus solchem Sein gezeugt,
das sich noch den Sonnenbahnen,
das sich noch der Nacht gebeugt.
Von dem Frühen zu dem Späten,
und die Bilder sinken ab –
lebe wohl, aus großen Städten
ohne Traum und ohne Grab.

Gottfried Benn, aus: „Das Unaufhörliche“

••• Zu finden ist der volle Text zum Oratorium nebst den nicht vertonten Teilen, Versuchen und Studien in der sehr schönen Benn-Gesamtausgabe von Klett-Cotta. In zwei Bänden findet sich die Lyrik und die künstlerische Prosa Benns. Was leider fehlt: „Probleme der Lyrik“, Benns Poetik-Vorlesung, die er 1951 an der Uni Marburg hielt.

Die Blumen des Bösen

Mittwoch, den 29. August 2007

Rops Les Epaves 1866

Rops Les Epaves 1866

••• Ein neues RSS-Projekt des Turmseglers geht heute an den Start. Analog zum Veröffentlichungsmodus des „Anderen Blau“ werde ich während des kommenden halben Jahres einen weiteren Spezial-Feed für Abonnenten anbieten.


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Das Unaufhörliche

Mittwoch, den 29. August 2007

Paul Hindemith Gedächtnisbriefmarke

Das Unaufhörliche:
Großes Gesetz.

Das Unaufhörliche
mit Tag und Nacht
ernährt und spielt es sich
von Meer zu Meer,
mondlose Welten überfrüht,
hinan, hinab.

Es beugt die Häupter all,
es beugt die Jahre.

Der Tropfen Brände,
der Arktis eis’ge Schauer,
hinan, hinab,
ein Hauch.

Und stolze Häupter,
voll Gold und Kronen umarmt
oder im Helm des namenlosen Mannes:
das Unaufhörliche,
es beugt auch dich.

Das Unaufhörliche.
Verfall und Wende
die Meere über,
die Berge hoch.

Sein Lager
von Ost nach West
mit Wachen auf allen Höhn,
kein Ding hat Frieden
vor seinem Schwert.

O Haupt,
von Gold und Doppelflügeln umarmt,
es beugt auch dich.

Gottfried Benn, aus: „Das Unaufhörliche“
Oratorium, 1. Teil No. 1 (Chorus)
Musik: Paul Hindemith

••• Eine Kostprobe zumindest aus dem Benn/Hindemith-Oratorium „Das Unaufhörliche“ wurde gewünscht. Das sollt ihr haben. Was für ein Oratorium!

Hörprobe aus Hindemith/Benn: „Das Unaufhörliche“
DeutschlandRadio, Rundfunkorchester und -Chöre Berlin
© Schott Music International (1931, 1959)
© Schott Wergo Music Media (1996)

Eifersucht

Dienstag, den 28. August 2007

Der Dorn - © by DerTeufel83@deviantart.com

Der Dorn – © DerTeufel83@deviantart.com (2007)

Die Straße wird zu einem breiten Strich.
Die Häuser werden weiß wie eine Wand.
Die Sonne wird ein Mond. Und unbekannt,
Gleichgültig, fremd, ein jedes Angesicht.

Sie sehen aus wie Blätter von Papier,
Weiß, unbeschrieben. Aber hinten winkt
Ein schlankes blaues Kleid, das fern versinkt
Und wieder auftaucht, und sich fern verliert.

Auf seinem Nacken sitzt die Eifersucht.
Ein altes Weib, gestiefelt. Einen Dorn
Bohrt in das Hirn sie ihm, und haut den Sporn
In ihres Reittiers weicher Flanken Bucht.

Georg Heym (28.10.1910)

••• Ich weiss nicht, ob ich wirklich von mir behaupten kann, nicht besonders zur Eifersucht zu neigen. Ich erinnere mich gut an Zeiten, in denen jedes Paar, das mir auf der Strasse begegnete, mir einen Schnitt verpasste in tiefliegenden Schichten des Hirns und der Brust.


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versteinerte flügel

Montag, den 27. August 2007

Zaunkönig

ich muss mich fest
gegen die wände stemmen
das haus erweitern
in dem ich steh
die riemen sind
zu fest angezogen
und der brustkorb schmerzt
im korsett

ich erinnere mich
ans spannen der muskeln
ans atemholen und springen
von ufer zu ufer
zwischen welten
taumelnd

die zäune sind
niederzureißen
auf denen der könig
sein gefälschtes lied
vom bewahren singt
und kraftlos die längst
versteinerten flügel
hebt und vorzeigt
wie einen schatz

der zaunkönig will
seine krone verpfänden
und niemand soll singen
wo er einst
in der sicherheit
der gefangenschaft saß:

vogelhäuser
kasernenhöfe
tempel
fabriken
da capo!

© Benjamin Stein (2007)

••• Das ist der Nachteil daran, dass es wieder „fließt“. Plötzlich bekommt auch so eine Wut eine Stimme und steht dann im Gedicht wie etwas Endgültiges da. Aber das ist eine Täuschung.


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Nicht mehr bewacht

Sonntag, den 26. August 2007

Rainer Maria Rilke

Seit mich mein Engel nicht mehr bewacht,
kann er frei seine Flügel entfalten
und die Stille der Sterne durchspalten,
denn er muß meiner einsamen Nacht
nicht mehr die ängstlichen Hände halten
seit mich mein Engel nicht mehr bewacht.

Rainer Maria Rilke

••• Per Mail habe ich leider noch nicht wie gehofft Hinweise auf markante Engelsgedichte bekommen. So suche ich selbst weiter.

Wäre dieses Weblog nicht, ich würde mich wohl nicht dafür interessieren, wie die einzelnen Autoren ausgesehen haben oder auch noch aussehen. So gehe ich aber doch immer wieder auf die Suche auch nach Poträts der zitierten Dichter. So durfte ich heute zum ersten Mal Rilke in die Augen sehen. Meine Knie zittern noch leicht…

I am the one

Donnerstag, den 23. August 2007

I am the one
who always goes
away with my home
which can only stay inside
in my blood – my home which does not fit
with any geography.

Sujata Bhatt
aus: „Point No Point“
© Carcanet Press (1997)

••• Auf den Seiten des Literaturhauses Bremen findet sich nicht nur dieses Gedicht von Sujata Bhatt, sondern auch Informationen zur ihrem Werdegang, ihren Themen und ihren Büchern.

Ich habe Sympathie für die Heimatlosen. Aber diese Variante der aussergeographischen Heimat ist noch immer die erfreulichste, weil dauerhafteste, am wenigsten angreifbare. Mit dieser Art Heimat in sich kann man fast überall heimisch werden.