Archiv der Kategorie 'Lyrik'

Shakespeare • George

Freitag, den 14. Dezember 2007

Was ist mein vers an neuer pracht so leer •
Von wechsel fern und schneller änderung?
Was schiel ich mit der zeit nicht auch umher
Nach neuer art und seltner fertigung.

Was ich nur stets das gleiche schreib • das eine •
Erfindung halt im üblichen gewand?
Dass fast aus jedem wort mein name scheine •
Die herkunft zeigend und wie es entstand?

O süsses lieb • ich schreibe stets von dir
Und du und liebe • ihr seid noch mein plan . .
Mein bestes: altes wort in neuer zier:
Dies tu ich immer • ists auch schon getan.

So wie die sonne täglich alt und neu
Sagt meine liebe schon gesagtes treu.

William Shakespeare, Sonett LXXVI
Umdichtung: Stefan George (1909)

••• Wie ich via Lotrees erfahre, bringt Klett-Cotta im Rahmen der grossen kommentierten George-Ausgabe Anfang 2008 Band 12 mit den Georgeschen Umdichtungen der Shakespeare-Sonette, und zwar – wie der Verlag anmerkt – erstmals in kritischer Edition.


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Koreanische Kurzgedichte

Sonntag, den 9. Dezember 2007

동짓달 기나긴 밤을 한 허리를 버혀 내어
춘풍 니불 아래 서리서리 넣었다가
어론님 오신 날 밤이어든 굽이굽이 펴리라

Mittwinter, zu lang die Nacht –
zwei Hälften möchte ich daraus machen.

Und die zusammenrollen, stecken in
die Decke für die Frühlingsnacht.

Und wenn der Liebste wieder kommt zu mir,
roll ich sie wieder auf, damit die Nacht zu strecken.

Hwang Chini (etwa 1516-1544)

••• Während in der Prosa die Beschränkung auf bestimmte Mittel der Form offenbar wenige Anhänger hat, war in der Lyrik schon immer die Beherrschung bestimmter tradierter Formen unverzichtbarer Bestandteil von Meisterschaft. Besondere Beschränkung forderte vom Dichter (oder der Dichterin) in Japan der Haiku oder Tanka, der nicht nur die Anzahl Zeilen und Silben pro Zeile vorschreibt, sondern auch das statthafte Themenfeld.

Eine dem Haiku verwandte koreanische Form des Kurzgedichtes — Sijo — lockert zwar die thematische Fessel, ist dafür jedoch so kompliziert in der formalen Vorgabe, dass es einen deutschen Sijo wohl kaum geben kann. Auch der Sijo wird in drei Zeilen geschrieben, besteht jedoch statt aus 17 (Haiku) bzw. 31 (Tanka) aus 44 bis 46 Silben. Festgelegt ist nicht nur ihre Aufteilung auf die Zeilen, sondern auch die Silbenverteilung auf die einzelnen Wörter in den Zeilen.


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Streumen

Mittwoch, den 5. Dezember 2007

und was wir nur haben im luftarmen morgen, uns hochschrecken
lässt vom lärm auf der straße, die schwüle fast mittags, geschrei
von irgendwoher, und dass wir uns drehen im licht in den laken
im halbtraum, nicht wagen zu zeigen, wer wach ist, wer blickt
und wer durst hat, und dass wir einander die rücken zukehren
und still sind und atmen uns ab

Ulrike A. Sandig, aus: „Streumen“ Gedichte
© Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke (2007)

Streumen ist ein guter Ort, aber der Aufenthaltsort des Glücks liegt von hier aus gesehen immer im Süden. Streumen ist eng. In Streumen ist es wie überall. Streumen ist ein beweglicher Ort. Streumen ist eine unsichere Tätigkeit seiner Bewohner. Unsicher ist auch die Anzahl der Streumenden. Es handelt sich um uns. Wir streumen vor lauter Sehnsucht.

Ulrike A. Sandig: Streumen, Gedichte, Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke 2007••• Streumen — das ist der Titel von Ulrike A. Sandigs neuem Gedichtband (ihrem zweiten nach „Zunder“), der soeben in der Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke erschienen ist.

Was Streumen noch alles bedeuten mag? Ulrike A. Sandig legt ein paar Spuren aus. In der Danksagung etwa, ganz am Ende des Buches, erwähnt sie „Heiner und Allmut Sandig im Heidehaus bei Streumen“, einem Ort zwischen Dresden und Lutherstadt Wittenberg, mitten in Sachsen.

Streumen — das klingt auch nicht zufällig wie Streunen. Beides ist in diesem Band nah beieinander. Denn Streumen, das ist das Stück Heimat, das wir verlassen müssen, um zu uns finden zu können; der Stachel Fremdheit im Fleisch, weil wir dieser Scholle entwachsen sind. Und Heimat, das Fortgehen von ihr, das Wiederkehren als Besucher aus der fernen Fremde, in der man streunte, Heimat, die uns auch unsere Lieben sind — all das ist Thema dieser Gedichte.


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vom wenden des kopfes

Dienstag, den 4. Dezember 2007

circles - © Kerstin  S. Klein 2007

circles – © Kerstin S. Klein 2007

ab und an stirbt
auf meinen lippen ein wort
und tropft rot herab
und ein engel siegelt mit glut
jenen mund der sich öffnete um
vom wenden des kopfes zu sprechen
was nie gesagt wurde
solltest du hören
was nach atem sucht
nach einem wort:
ein tropfen tod nur
den wische ich fort
beim wenden des kopfes
siehst du
mich an

© Benjamin Stein (2007)

Gedichte – gute – sind oft wie Küsse; sie sind, wie sie sich anfühlen, nicht, was man über sie sagt.

••• Je mehr Gedichte nun doch wieder bei mir ankommen, desto öfter frage ich mich auch, ob es vielleicht so etwas wie eine Klammer um diese Texte gibt, Gemeinsamkeit(en), die sie in eine Reihe oder meinetwegen in einen Kreis stellen.


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In Ägypten

Montag, den 3. Dezember 2007

Paul Celan: In Ägypten
Video Art: Herry Dim
Musik: Peter Habermehl
Rezitation: Berthold Damshäuser

Du sollst zum Aug der Fremden sagen: Sei das Wasser.
Du sollst, die du im Wasser weißt, im Aug der Fremden suchen.
Du sollst sie rufen aus dem Wasser: Ruth! Noëmi! Mirjam!
Du sollst sie schmücken, wenn du bei der Fremden liegst.
Du sollst sie schmücken mit dem Wolkenhaar der Fremden.
Du sollst zu Ruth und Mirjam und Noëmi sagen:
Seht, ich schlaf bei ihr!
Du sollst die Fremde neben dir am schönsten schmücken.
Du sollst sie schmücken mit dem Schmerz um Ruth, um Mirjam und Noëmi.
Du sollst zur Fremden sagen:
Sieh, ich schlief bei diesen!

Paul Celan (1920-1970)

••• Noch ein letzter der Celan-Video-Texte, die ich gestern auf YouTube fand. (Die älteren Beiträge zur „Todesfuge“ und „Umsonst“ habe ich mit den entsprechenden Video-Links aktualisiert.)

Es wäre einiges dazu zu schreiben. Doch vorerst will ich es mir nur merken… Alles weitere später – vielleicht.