Archiv der Kategorie 'Gastbeiträge'

Mathematiker oder Addierer

Samstag, den 12. April 2008

Ein Gastbeitrag von Wladimir Majakowski

••• Noch einmal mache ich sehr entschieden den Vorbehalt: Ich gebe keinerlei Regeln, wie man Dichter werden, wie man Verse schreiben soll. Solche Regeln gibt es überhaupt nicht. Dichter heißt gerade einer, der diese Regeln für die Dichtkunst schafft. Zum hundertsten Male führe ich mein bis zum Überdruss bekanntes Beispiel an.

Ein Mathematiker ist ein Mensch, der mathematische Regeln schafft, ergänzt, entwickelt, der einen neuen Beitrag zur mathematischen Wissenschaft liefert. Der Mann, der als erster die Formel »2+2=4« fand, ist ein großer Mathematiker, selbst dann, wenn er diese Wahrheit aus der Addition von je zwei Zigarettenstummeln gewonnen hat. Alle Nachfolgenden, mögen sie auch unendlich größere Dinge addiert haben, zum Beispiel eine Lokomotive und noch eine Lokomotive – alle diese Leute sind keine Mathematiker. Diese Feststellung setzt keineswegs die Arbeit desjenigen herab, der die Lokomotiven zusammenzählt. Seine Arbeit kann in Tagen einer Transportkrise hundertmal wertvoller sein als ein nackter arithmetischer Lehrsatz.


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Wie macht man Verse?

Freitag, den 11. April 2008

Ein Gastbeitrag von Wladimir Majakowski

••• Über dieses Thema muss ich schreiben.

In zahlreichen literarischen Diskussionen, im Gespräch mit jungen Mitarbeitern verschiedener Schriftstellerverbände (RAP, TAP, PAP und wie sie alle heißen mögen), bei der Auseinandersetzung mit Kritikern war ich oft gezwungen, die alte Lehre von der Dichtkunst wenn nicht umzustoßen, so doch mindestens zu diskreditieren. Der völlig unschuldigen alten Dichtkunst selbst haben wir natürlich kaum ein Haar gekrümmt. (Sie bekam nur etwas ab, wenn allzu eifrige Verteidiger des alten Krempels vor der neuen Kunst hinter den breiten Rücken der Denkmäler Deckung suchten.)

Umgekehrt: indem wir die Denkmäler von ihren Piedestalen herunterholten und sie geräuschvoll hin und her zerrten, haben wir den Lesern erst die »Großen« von einer völlig unbekannten, noch unerforschten Seite gezeigt.

Kinder (junge literarische Richtungen ebenfalls) interessieren sich immer dafür, wie das Schaukelpferd von innen aussieht. Nach den Bemühungen der »Formalisten« liegen die Eingeweide der papiernen Rösser und Elefanten offen zutage. Sollten die Pferde dabei einigen Schaden davongetragen haben – Entschuldigung! Mit der Poesie der Vergangenheit herumzustreiten, ist nicht unseres Amtes sie ist für uns Lehrstoff.


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Gastkolumne

Freitag, den 11. April 2008

Wladimir Majakowski••• Einen Gastbeitrag ganz besonderer Art kann ich heute ankündigen. Es handelt sich sogar um eine Reihe von Gastbeiträgen, also gewissermaßen eine Gastkolumne.

Das Thema ist schwergewichtig: Was ist Dichtung? Und: Wie schreibt man Verse? Dass ich keinen Zweifel daran hege, dass der Kolumnist uns Wesentliches zu sagen haben wird, das wird nicht verwundern, wenn ich den Namen des Autors nenne: Wladimir Majakowski.

Er hat übrigens zugesagt, sich an allfälligen Diskussionen hier im Turmsegler zu beteiligen.

Ein verwirrendes Lob der Faulheit

Dienstag, den 25. März 2008

EIn Gastbeitrag von Jürgen Kuri

••• Wenn ich auf den Balkon unserer Wohnung trete, fällt der Blick nahezu als Erstes auf das Straßenschild „Hammersteinstraße“. Gewundert hat mich der Name schon immer, eine Hammersteinstraße inmitten all der Chemiker und Physiker, die ansonsten den Straßen des Viertels ihren Namen geben, Hammerstein in einer Reihe mit Liebig, Fraunhofer, Bunsen, Röntgen oder Bessemer? Die Frage, wer denn nun dieser Hammerstein sei, spukte mir lange im Hinterkopf herum als etwas, das man mal nachschlagen könnte. Dann kam Hans Magnus Enzensberger mit seinem Hammerstein-Buch – und ich wünschte mir, ein flapsig hingeworfenes „So genau wollte ich das eigentlich gar nicht wissen“ hätte sich einem wie Enzensberger ohne besonderen Hinweis als Leitschnur gestellt.


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Der Müller und der Bach

Dienstag, den 23. Oktober 2007

Ein Gastbeitrag von: lykomedite

Der Müller

Wo ein treues Herze in Liebe vergeht,
da welken die Lilien auf jedem Beet,
da muß in die Wolken der Vollmond gehn,
damit seine Thränen die Menschen nicht sehn;
Da halten die Englein die Augen sich zu
und schluchzen und singen die Seele zur Ruh‘!

Der Bach

Und wenn sich die Liebe dem Schmerz entringt,
ein Sternlein, ein neues, am Himmel erblinkt. –
da springen drei Rosen halb rot und halb weiß,
die welken nicht wieder, aus Dornenreis;
und die Engelein schneiden die Flügel sich ab
und gehn alle Morgen zur Erde herab.

Der Müller

Ach Bächlein, liebes Bächlein, du meinst es so gut;
ach Bächlein, aber weißt du, wie Liebe thut?
Ach unten, da unten, die kühle Ruh‘!
Ach Bächlein, liebes Bächlein, so singe nur zu.

Wilhelm Müller (1794-1827)

••• Vollmond lässt mich dieses wunderschöne Gedicht erinnern, welches ich allerdings nur in vertont textigem Zustand im Kopf habe. Es ist Müllers/Schuberts Dialoglied „Der Müller und der Bach“, die vorletzte Szene aus Schuberts tragischem Liederzyklus „Die schöne Müllerin“. Der Protagonist, ein junger Müller, sucht in seinem Liebesschmerz Trost beim ewigen Lied des Baches, in dem er sein nasses Grab finden wird.


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Die Verweigerung im Konjunktiv

Dienstag, den 5. Juni 2007

Ein Gastbeitrag von Hartmut Abendschein
über Herman Melville: „Bartleby, the Scrivener“

••• Ich überlege mir, nicht mehr fernzusehen. Auch noch die Überreste meines Fernsehens über Bord zu werfen. Das sind nur noch: Eine kleine Nachrichtensendung, täglich, und ein sonntäglicher Tatort. Auf Letzteren habe ich schon seit Wochen verzichtet. Und der Rest? Wozu gibt es noch nachhaltige Zeitungen und, ja, die eine oder andere Seite im Internet?

Das Prinzip der Verweigerung, wie es bei Melvilles Kopisten Bartleby zum Tragen kommt, kulminiert in ein zur höflichen Formel geronnenes I would prefer not to, einer Aussteigerformel, die – irgendwie plötzlich – einen angestellten Schreiber aus der Umlaufbahn wirft, indem er diese setzt und immer dichter setzt und umsetzt, so dass er sich am Ende am Ende befindet.

Ohne mich jetzt weiter in den ganzen Wust der immer noch anschwellenden Kritik dieses Textes zu knien, denn das möchte ich lieber nicht, schreibe ich über diese einfache Formel und ihre Konsequenz, die dort natürlich nicht zum Guten endet, auch nicht so enden kann, denn was endet schon zum Guten?


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Verlorene Herkünfte

Donnerstag, den 31. Mai 2007

Ein Gastbeitrag von Alban Nikolai Herbst
in Erwiderung auf „Gereimtes Versmass“

••• Neue Formen auszuprobieren, sie zu füllen und schließlich (vorübergehend, weil so etwas immer weiter führt) zu beherrschen, ist von Anfang an ein nachdrückliches Element auch meiner Romane gewesen, wurde allerdings erst in letzter Zeit, und zwar von Literaturwissenschaftlern, nicht von der Kritik und kaum von Lesern bemerkt – was wohl auch daran liegt, daß ein plausibler Kanon, wie ein Roman auszusehen habe, nicht exitiert, so daß sich ein solcher Kanon auch nicht durchbrechen läßt, nicht eigentlich transzendieren läßt. Daran aber wäre überhaupt nur die neue Form merklich. Man kann sich allenfalls, was ich seit einiger Zeit tue, diesen Kanon selber schreiben. Nur zeitigt das bei Lesern wenig erkenntnistheoretische / ästhetische Erkenntnis, da meist die Zusammenhänge, aus denen argumentiert wird, gar nicht begriffen oder verlorengegangen sind.


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