Archiv der Kategorie 'Gastbeiträge'

Sealed with a Taste

Mittwoch, den 1. September 2010

••• Gestern erschien in den USA »Bitter in the Mouth« von Monique Truong, die englische Originalausgabe von »Bitter im Mund«, deutsch erschienen bereits im Frühjahr bei C.H.Beck. Dieser Roman hat mich in nachhaltige Begeisterung versetzt. Zu den Vattenfall-Lesetagen in Hamburg wäre ich Monique Truong um ein Haar persönlich begegnet. Leider machte uns der isländische Vulkan mit dem unaussprechlichen Namen einen Strich durch die Rechnung. Monique konnte aus den USA nicht anreisen. Per Mail allerdings haben wir uns seither ausgetauscht.

Als ich nun gestern auf Facebook ihre Ankündigung der US-Ausgabe las, habe ich forsch gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, für den Turmsegler einen Gastbeitrag zum Thema Erinnerung zu schreiben, dem Thema also, das ihr aktuelles mit meinem aktuellen Buch verbindet. In Monique Truongs Roman dreht sich alles um Worte und den Geschmack, den die Heldin Linda jeweils mit ihnen verbindet. Aus den Worten und aus Geschmackssensationen steigt bei dieser Heldin die Erinnerung auf. So hatte ich – da ich gerade im Urlaub ein gutes Stück Proust gelesen habe – die vage Hoffnung, Monique würde vielleicht etwas über die in Lindenblütentee getauchten Madeleines schreiben. Stattdessen hat sie mir eine Geschichte geschickt, in der es auch um Geschmackserinnerungen geht. Aber lest selbst.

An Monique Truong einen herzlichen Dank und beste Wünsche für das neue Buch. Wenn ihr mehr solche Geschichten von ihr lesen wollt, empfiehlt sich ein Besuch der neuen Website, auf der sie einige davon, im Laufe der letzten Jahre für Zeitungen, Zeitschriften und Websites geschrieben, zusammengestellt hat.

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Bibel und Koran (V)

Donnerstag, den 1. Juli 2010

Nähe und Unvereinbarkeit zweier Konzepte
Ein Gastbeitrag von Chaim Noll

Krieg und Frieden

Die in unseren Augen geringe Wertschätzung des einzelnen Menschenlebens liegt im jihad begründet, dem der islamischen Glaubensgemeinschaft gebotenen heiligen Kampf zur weltweiten Durchsetzung des Islam. Der Prophet lässt keinen Zweifel daran, dass dieser Kampf erst dann zu Ende sein kann, wenn alle Menschen Allah anbeten (Suren 8,39; 61,9 u.a.). Während es missionierenden Christen erklärtermaßen um das Gewinnen von Individuen geht – Jesus bezeichnete seine Jünger als »Menschenfischer« (Matthäus 4,19) – geht es dem Islam um die Ausweitung des dar al Islam, also um die Beherrschung von Territorien.

Im Koran-Text finden sich widersprüchliche Angaben, wie dabei vorzugehen sei. Sure 2, Vers 187 gebietet für Allah zu kämpfen, jedoch nicht der Aggressor zu sein, »Gott liebt nicht den Angreifer«. Andere Stellen machen klar, dass bereits die Existenz von Nichtmuslimen in einem bestimmten Gebiet als Angriff auf den Islam, daher ein aggressives Vorgehen gegen sie als Verteidigung zu verstehen sei. In diesem Sinne wird für Verteidigung erklärt, was nach unseren Begriffen Aggression ist. Sure 4,104 spricht vom »Aufsuchen« oder »Aufspüren« der Ungläubigen – zweifellos ein offensiver Vorgang. Auch Sure 9, Vers 5 gebietet Taktiken des Angriffs: die Ungläubigen sollen getötet werden, »wo immer ihr sie findet«, sie sollen ergriffen, bedrängt oder belagert, ihnen soll »aus jedem Hinterhalt aufgelauert« werden. Mehrfach wird betont, dass Muslime im Kämpfen nicht nachlassen dürfen. Von »vorzeitigem Frieden« oder Waffenstillstand wird abgeraten, der Kampf bis zum siegreichen Ende angemahnt, »da ihr doch die Oberhand haben werdet und Gott mit euch ist« (Sure 47,35)


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Bibel und Koran (IV)

Mittwoch, den 30. Juni 2010

Nähe und Unvereinbarkeit zweier Konzepte
Ein Gastbeitrag von Chaim Noll

Menschenbild

»Gott ist gütig gegen alle, und sein Erbarmen waltet über all seinen Geschöpfen«, heißt es in Psalm 145,9. In dieser Textstelle wird – stellvertretend für viele – das entscheidende Kriterium des biblischen Menschenbildes ausgesprochen: die Gleichwertigkeit aller Menschen vor dem Schöpfer. Das Volk der Bibel hält sich nicht für besser oder moralischer als andere Völker und Religionen. Die hebräische Bibel versucht nirgendwo, Israel zu glorifizieren. Eher im Gegenteil: alle seine Schwächen und Verfehlungen werden in einer Offenheit dargestellt, die nicht wenige Judenfeinde zu dem irrigen Eindruck verführt, es handle sich um ein schwaches, von seinem eigenen Gott »verworfenes« Volk. Auch Mohamed, der seinerseits eine gänzlich andere Selbstdarstellung zelebrierte, verfiel dieser Täuschung.

Die »Erwähltheit« des biblischen Volkes ist als Verpflichtung gemeint, als kritischer Anspruch an sich selbst, nicht als Erhöhung über andere. Der Text betont, dass die Flüchtlinge aus Ägypten, die am Berg Sinai das Gesetz empfingen, nur zu einem Teil Hebräer waren, zum anderen Teil Unterdrückte und Verzweifelte anderer Völker, die sich ihnen angeschlossen hatten, im hebräischen Original erev rav(50), a mixed multitude in der Übersetztung der King James Bible, fremdes Volk in der Luther-Bibel, und diese Fremden »stiegen mit Israel auf«, wie das Verb alah im Hebräischen wörtlich meint, sie nahmen das Gesetz an wie die Hebräer, und schon von daher ist das Sein und Wesen Israels seit seiner eigentlichen Geburtsstunde mit Fremden verbunden.


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Bibel und Koran (III)

Dienstag, den 29. Juni 2010

Nähe und Unvereinbarkeit zweier Konzepte
Ein Gastbeitrag von Chaim Noll

Verbindlichkeit des Textes (textus receptus)

Die für Europäer ohnehin schwierige Rezeption des Koran wird noch schwieriger durch die nicht gesicherte Eindeutigkeit des Textes. Bis heute variieren seine »Lesarten« (tafsir al koran) so erheblich, dass bereits das Lesen des Textes eine erste Interpretation darstellt(38). Nicht nur Außenstehende, auch Muslime können in vielen Fällen keine Einigung erzielen, wie ein bestimmtes Wort zu lesen und zu sprechen ist, folglich, welche Bedeutung es hat. »Es gibt keinen uniformen Koran-Text«, schreibt Ignaz Goldziher in seinem Standardwerk »Die Richtungen der Islamischen Koranauslegung« von 1920. »Der schon an sich (…) nicht einheitliche textus receptus, die lectio vulgata (al kira’a al mashhura) des Koran geht auf die Redaktion zurück, die durch die Bemühungen des dritten Kalifen, Othman, zustande kam, um der drohenden Gefahr vorzubeugen, dass das Gotteswort in verschiedenen Kreisen in textlich voneinander abweichenden Formen überliefert würde (…) Jedoch diese Bestrebung ist nicht auf der ganzen Linie gelungen.«(39)

Unter den Ursachen für die Mehrdeutigkeit des Textes sind sprachliche, vor allem die »Eigentümlichkeit der arabischen Schrift, in der dasselbe grafische Skelett je nach der Verschiedenheit und der Anzahl der über oder unter dasselbe gesetzten Punkte verschiedene Lautwerte darstellt und wo auch bei gleichen lautlichen Werten die Verschiedenheit der in der ursprünglichen arabischen Schrift fehlenden Vokalbezeichnung eine Verschiedenheit der grammatischen Situation eines Wortes und, in Zusammenhang damit, in der Bedeutung desselben hervorruft.«(40) Hinzukommen zahlreiche andere Gründe für die Strittigkeit einzelner Worte und Passagen des Koran-Textes, nicht zuletzt politische. So hat die shiitische Richtung des Islam seit der frühesten Zeit ihres Auftretens die Integrität der othmanischen Textgestaltung bezweifelt und abgelehnt. Diese enthalte, behaupten die Shiiten, gegenüber dem echten Koran Mohameds unzulässige Änderungen und Zusätze, während andere Passagen des authentischen Textes durch Weglassung getilgt worden seien(41).


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Bibel und Koran (II)

Montag, den 28. Juni 2010

Nähe und Unvereinbarkeit zweier Konzepte
Ein Gastbeitrag von Chaim Noll

Textstruktur und –konsistenz

Der Koran ist ein Monolog. Er besteht aus 114 Suren oder Gesängen in Versform. Es gibt nur einen einzigen Sprecher, den Propheten Mohamed, der die göttliche Wahrheit zu besitzen erklärt und sie einem schweigenden Publikum mitteilt. Der Koran unterscheidet sich daher generell von der Bibel, die viele literarische Formen, zahlreiche Sprecher und immer andere Erzählweisen kennt.

Die biblischen Darstellungsweisen betonen, schon durch ihre textliche Struktur, den Dialog, die Interaktion zwischen verschiedenen Größen. Zunächst zwischen der erschaffenden Urkraft elohim und der zu gestaltenden Materie, dann zwischen den Menschen und ihrem Schöpfer, den Juden und ihrem Gott, später, auch in den Evangelien, von Juden untereinander. Es ist sozusagen das dualistische Prinzip des Monotheismus. Denn Monotheismus ist nicht zwangsläufig Monismus: immer wieder in der Bibel ist das Aufweisen und Überwinden von Widersprüchen – bis hin zum offenen Streitgespräch – die vorgeführte Methode der Erkenntnis- und Wahrheitssuche, in den Mosaischen Büchern, bei den Propheten, im Buch Hiob, im Kohelet, in der Sammlung der Sprüche oder in den zahlreichen Debatten des Neuen Testaments. Wegen dieser ungleich komplizierteren Textstruktur ist die Bibel das mit weitaus mehr Mühe zu rezipierende der beiden Werke.

Aus Judäa vertriebene Juden lebten in Mohameds Tagen seit rund einem Jahrtausend in Babylonien, arbeiteten dort, hielten die in der Bibel gebotenen Gesetze, studierten und lehrten. Zudem gab es zahlreiche christliche Gemeinden in der Region, die großen Städte waren oft Bischofssitze. Viele Beduinen der arabischen Halbinsel gerieten unter den Einfluss der Bibel. Unter dem Namen allah, abgeleitet vom alten hebräischen Gottesnamen al(23), wurde ein alleiniger, allvermögender Ein-Gott angebetet, ein Welterzeuger und Weltgebieter. Um 610 begann auch Mohamed, ein Sohn des Beduinenstammes Koresh, öffentlich als Prediger für diesen Gott zu wirken.


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