Archiv der Kategorie 'Film'

Fürchte den Regen nicht

Montag, den 7. Januar 2008

Ghost Dog (Jim Jarmusch) - Szenenfoto
Ghost Dog (Jim Jarmusch) – Szenenfoto

Man muß „die Lektion des Platzregens“ verstehen. Ein Mann, der unterwegs von plötzlichem Regen überrascht wird, rennt die Straße hinunter, um nicht naß und durchtränkt zu werden. Wenn man es aber einmal als natürlich hinnimmt, im Regen naß zu werden, kann man mit unbewegtem Geist bis auf die Haut durchnäßt werden. Diese Lektion gilt für alles.

Tsunetomo Yamamoto (1659-1719)
aus: “Hagakure – Der Weg des Samurai”

••• Wie wohl die meisten hierzulande, die das „Hagakure“ von Tsunetomo Yamamoto kennen, bin ich durch Jim Jarmuschs Film Ghost Dog auf dieses Buch aufmerksam geworden. Von Jarmuschs Film – den ich zusammen mit der Herzdame mehrmals gesehen habe – geht mindestens ebenso ein befremdlicher Reiz aus wie von dem Buch, das im Film an diversen Stellen zitiert wird.


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Ryunosuke Akutagawa

Montag, den 10. Dezember 2007

Ryunosuke Akutagawa

••• Die Herzdame räumt ihre Bücher um und reicht mir ein Buch, über das ich schon vor Monaten schreiben wollte. Nur gingen damals die Assoziationen, von denen ich mich hier treiben lasse, offenbar andere Wege, so dass das Vorhaben in Vergessenheit geriet. Das Versäumnis soll nun aber wettgemacht werden.

Ryunosuke Akutagawas Prosa ist eine Offenbarung, rein und klar wie Quellwasser und dabei doch irritierend und verwirrend, wie man es sich nur vorstellen (und wünschen) kann.

Ganze 35 Jahre alt wurde dieser japanische Autor. Von Depressionen geplagt, nahm er sich 1927 das Leben. Seine Werke – zumeist short stories, die auch Romane hätten werden können – spielen häufig in der weiter zurückliegenden Vergangenheit, im Japan versunkener Jahrhunderte. Die Verbindung zum Japan des beginnenden 20. Jahrhunderts, in dem Akutagawa lebte und in dem die aufkommende Industrialisierung die Isolation Japans aufzubrechen begann, die Verbindung zu diesem Japan knüpft der Autor im Subtext seiner stories, im unausgesprochen Mitschwingenden. So sehr jene anbrechende neue Zeit den strikten Traditionen am Zeug zu flicken schien, so fest verwurzelt zeigten sie sich doch nach wie vor in den Menschen.


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Das siebente Siegel

Montag, den 10. September 2007

Ingmar Bergman: Das siebente Siegel

••• Eben habe ich mit der Herzdame in memoriam Ingmar Bergman seinen 1957 erschienenen Film „Das siebente Siegel“ gesehen.

Ein Kreuzritter, der gern seinen Glauben verlieren würde, spielt auf dem Heimweg aus dem heiligen Land eine Partie Schach mit dem Tod. So lange sie dauert, bleibt er am Leben. Gewinnt er, ist er frei. Es wird eine Hängepartie in mehreren Etappen und mit allerlei Täuschungen durch beide Spieler. Sie ziehen durch ein von der Pest verwüstetes Land. Sehr pathetisch und sehr poetisch. Unbedingt sehenswert.

Da fällt mir auf, dass ich einen kleinen Stapel Gedichte, Ideen und Geschichten zum Tod vor mir liegen habe. Das ist doch ein guter Anschluss an die Strecke mit Liebesgedichten. Liebe und Tod — das waren schon immer die besten Zutaten der poetischen Alchemie.

Volver

Sonntag, den 19. August 2007

Penelope Cruz in: „Volver“ (Gesang: Estrella Morente)

Ich fürchte mich vor der Begegnung
mit der Vergangenheit,
die mich einholt.
Ich fürchte mich vor den Nächten
voller Erinnerungen,
die meine Träume anketten.
Doch der Reisende, der flüchtet,
hält früher oder später inne.
Und obwohl das Vergessen,
das alles zerstört,
meine alte Illusion
schon getötet hat,
bewahre ich insgeheim
demütig die Hoffnung,
die das ganze Vermögen
meines Herzens ist.
Zurückkehren
mit verwelkter Stirn.
Der Schnee der Zeit
hat meine Schläfen ergrauen lassen.
Fühlen, dass das Leben
nur ein Hauch ist,
dass zwanzig Jahre nichts sind,
dass der fiebrige Blick,
im Schatten irrend,
dich sucht und beim Namen nennt.
Leben mit der Seele, die sich
an eine süsse Erinnerung klammert,
die mich noch heute
zum Weinen bringt.

Carlos Gardel & Alfredo La Pera
„Raimundas Lied“, aus: „Volver“
Ein Film von Pedro Almodóvar

••• Eine Erinnerung daran, dass die Poesie aus dem Schoss des Liedes kommt…


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Aus der Welt gespült

Sonntag, den 29. Juli 2007

Toke Constantin Hebbeln: Nimmermeer
Toke Constantin Hebbeln: Nimmermeer

Gregor Buchkremer: Kaltmiete
Gregor Buchkremer: Kaltmiete

Jens Lien: The Bothersome Man
Jens Lien: The Bothersome Man

••• Ich bin heute wie aus der Welt gespült. Jetzt konnte ich mit meiner Herzdame doch noch aufs Fantasy Filmfest gehen. Drei Filme in fünf Stunden. Länger wollten wir die Kinder der Freundin nicht zumuten; sonst hätten wir „La Antena“ noch drangehängt. Sage noch einer, vom deutschen Film sei nichts zu halten. Wenn es sich in der Literatur ähnlich verhält wie beim Film… Nach „Nimmermeer“ und „Kaltmiete“ kann ich nur sagen: Man muss die nur machen lassen. Nur ist das beim Film ja immer gleich eine 1000x höhere Investition als bei einem Buch. Das erhöht nicht eben die Chancen, dass all jene, die eine Chance verdient hätten, sie auch bekommen.

Und was stellen wir nun mit dem Abend an? Ach, vielleicht ein Film?

Was ist ein Geist?

Mittwoch, den 25. April 2007

Was ist ein Geist?
Ein schreckliches Ereignis
das dazu verdammt ist
immer und immer wieder stattzufinden
Ein Augenblick des Schmerzes vielleicht
Etwas Totes, das für einen Moment
zum Leben zu erwachen scheint
Ein Gefühl, das in der Zeit erstarrt ist
Wie eine unscharfe Fotografie
Wie ein in Bernstein gefangenes Insekt
Ein Geist, das ist es, was ich bin.

Alfred Tennyson, Canto Nr. 28
aus: „In Memoriam“

Alfred Tennyson auf wikipedia.de••• Wieder einmal ist es spät geworden. Der Film heute abend versprach nicht eben, poetisch zu sein: „The Devils Backbone“ von Guillermo del Toro. Und wieder einmal wird in einem Film ein Gedicht zitiert, das mir nicht aus dem Kopf gehen will. Glücklicherweise waren Autor und Werk im Abspann vermerkt. Vielleicht hat jemand den Originaltext zur Hand und ist so freundlich, ihn in die Kommentare zu stellen. Ich habe das Gedicht lediglich von der Aufnahme transkribiert und keine Ahnung, wie der Text im Original aufgeteilt und interpunktiert ist.

Brennende Geduld

Dienstag, den 20. März 2007

Antonio Skármeta: Mit brennender GeduldAm Abend des 4. September ging eine aufregende Nachricht um die Welt: Salvador Allende, der erste Marxist, der die Wahlen in Chile gewonnen hatte, demokratisch gewählt.

Innerhalb weniger Minuten war das Gasthaus der Doña Rosa krachendvoll mit Fischern, Frühlingsausflüglern, Schülern, die am nächsten Tag freihatten. Pablo Neruda war unter ihnen, als eine Art Statist; er hatte seine Wohnung verlassen, um den von weit her kommenden Telefonaten internationaler Agenturen zu entfliehen, die ihn interviewen sollten. Die Aussicht auf bessere Tage brachte Gäste dazu, das Geld mit lockerer Hand auzugeben, und Rosa wußte sich nicht anders zu helfen, als daß sie Beatriz aus ihrem Gefängnis befreite, damit sie eine Stütze bei der Arbeit hatte.

Mario Jiménez hielt sich in unvorsichtiger Entfernung. Als der Telegrafist aus seinem klapprigen Ford 40 stieg, um sich unter die Feiernden zu mischen, betraute der Briefträger ihn mit einer Mission, die sein Chef, in seiner politischen Hochstimmung, mit Wohlwollen entgegennahm. Es ging um eine Art Kuppeldienst: er sollte in einem günstigen Augenblick Beatriz zuflüstern, daß er sie in dem nahe gelegenen Schuppen mit den Fischereigerätschaften erwartete.

Der entscheidende Moment ergab sich, als der Abgeordnete Labbé in seinem Anzug, so weiß schimmernd wie sein Lächeln, überraschend das Lokal betrat und unter den Sticheleien der Fischer – „sácate la cola!“ – bis zu dem Tisch ging, an dem Neruda ein paar Gläschen trank, und mit Versaille-Geste zu ihm sagte: „Don Pablo, so sind die Regeln der Demokratie. Man muß verlieren können. Die Besiegten grüßen die Sieger.“

„Zum Wohl also, Abgeordneter“, erwiderte Neruda, bot ihm ein Glas Wein an und hob sein eigenes, um mit Labbé anzustoßen.

Die Gäste klatschten, die Fischer riefen: „Es lebe Allende!“ und dann: „Es lebe Neruda!“, und der Telegrafist überbrachte vorsichtig Marios Botschaft und berührte dabei mit seinen Lippen fast das sinnliche Ohrläppchen des Mädchens.

Sie ließ den Weinkrug stehen und band die Schürze ab, nahm ein Ei vom Tisch und ging barfuß im Licht der sternklaren Nacht zum Stelldichein.

Als sie die Tür zum Schuppen öffnete, konnte sie mitten unter den wirren Netzen den Briefträger erkennen, der auf einem Schuhmacherbänkchen saß, das Gesicht grell beleuchtet von dem orangefarbenen Schein einer Petroleumlampe. Mario seinerseits konnte, mit der gleichen Rührung wie bei der ersten Begegnung neben dem Fußballtisch, den kurzen Rock und die enge Bluse wahrnehmen. Gleichsam in Übereinstimmung mit seinen Gedanken hob das Mädchen das ovale, zerbrechliche Ei hoch, und nachdem sie die Tür mit dem Fuß zugestoßen hatte, führte sie es an ihre Lippen, senkte es auf ihre Brust und ließ es abwärts gleiten, indem ihre tänzelnden Finger der beweglichen Rundung folgten, und weiter zur Magengegend und zum Unterleib, knickte es vor ihrem Geschlecht, verbarg es im Dreieck ihrer Beine, dann nahm sie es unvermittelt in die Hand und heftete einen heißen Blick in Marios Augen. Er wollte aufstehen, aber das Mädchen hielt ihn mit einer Geste zurück. Sie legte das Ei an die Stirn, rollte es über die kupferfarbene Haut und über die Nase zu den Lippen und umschloß es mit dem Mund, hielt es mit den Zähnen fest.

In ebendiesem Moment wurde es Mario klar, daß die monatelang so getreulich ertragene Erektion ein Hügelchen war, verglichen mit dem Gebirge, das nun von ihm aufstieg, mit dem Vulkan und seiner ganz und gar nicht metaphorischen Lava, die sein Blut zum Sieden brachte, ihm den Blick trübte, selbst seinen Speichel in eine Art Sperma verwandelte.

Beatriz bedeutete ihm, sich hinzuknien. […]

Antonio Skármeta, aus: „Brennende Geduld“
© Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1985

••• Brennende Geduld – das ist der poetische Originaltitel eines Buches, das viele in Deutschland nur unter dem Buch-zum-Film-Titel „Il Postino“ oder auch „Der Postmann“ kennen. (Wie grausam können Verlage zu einem Autor sein, ihn eines solchen Titels zu berauben um des schnöden Cross-Marketing-Mammons willen!)

In brennender Geduld muss auch ich mich üben, und zwar so oft, dass mir dieser Begriff als geflügeltes Wort in den Stammwortschatz übergegangen ist. Aber das ist nicht der Grund, warum ich hier heute Skármeta zitiere. Auch Pablo Neruda ist nicht der Grund, lediglich der Anlass, handelt doch das Buch vom Briefträger des großen Dichters, der durch ihn die Welt der Metaphern kennenlernt, mit deren Hilfe er dann die schöne Beatriz umgarnt etc. pp.

Nein, das alles ist nicht der Grund. Nicht einmal der Sex ist der Grund, der hier ja vielleicht noch stattgefunden hätte, wenn ich weiter zu zitieren bereit gewesen wäre. Aber – um die erotische Szene geht es hier eben nicht. Und darauf will ich hinaus. Und deswegen müssen die geneigten Turmsegler-Leser schon selbst das Buch hernehmen, um herauszufinden, wie es hier weiter zur Sache ging.

Ich werde nur den letzten Satz des Kapitels verraten, bevor ich mich auf morgen vertage. Der letzte Satz des Kapitels gehört Beatriz, die ihn mit „heiserer Stimme“ spricht: „Es ist doch schon gekommen, du Dummer.“