Archiv der Kategorie 'Die Leinwand'

Ariel

Donnerstag, den 2. Oktober 2008

foo
Der Schochet schärft das Messer, nicht mit Wasser, sondern mit Tränen
© Nemo @ My Ramblings

Der Beruf des Maschgiach ist wenig aufregend, gelegentlich allerdings blutig. Ein Maschgiach ist ein Hüter der Seelen. Er wacht über die Kaschrut in den Gemeindeeinrichtungen. Meist pendelt er zwischen Altenheim, Restaurant und Metzgerei, ist einen Tag hier, einen Tag dort. Er inspiziert die gelieferten Zutaten, wäscht und untersucht den Salat auf Ungeziefer, schlägt die Eier einzeln auf, um sie auf Blutstropfen zu untersuchen, und er schaut den Köchen über die Schulter. In der Metzgerei verwahrt er den Schlüssel zum Kühlraum und versiegelt mit dem Aufkleber des Rabbinats die eingeschweißten Fleisch- und Wurstpakete, bevor sie ausgeliefert werden.

Ab und an, wenn geschächtet wird, fällt ihm die Aufgabe zu, das Ausbluten der Hühner zu beaufsichtigen. Die Seele der Vögel verlässt mit dem Blut ihre Körper und schwebt, solange das Blut noch fließt, im Raum. Erst wenn das Tier sich nicht mehr rührt und das Blut mit Sand bedeckt wird, nimmt die Seele Abschied, und man darf das Huhn rupfen. Beine und Flügel müssen auf Brüche und die winzigen Lungen auf Verletzungen untersucht werden, die auf frühere Krankheiten deuten könnten. An solchen Tagen arbeitet neben dem Schochet, der das Messer führt, auch der Maschgiach im Akkord.


Den ganzen Beitrag lesen »

Tauben

Donnerstag, den 2. Oktober 2008

Seele eines Zaddik

••• Auf den letzten Metern (die drei letzten Kapitel der „Leinwand“) wird es noch einmal richtig schwierig. Wie schon im Zichroni-Strang müssen es drei Kapitel werden, die wie Erzählungen in sich geschlossen sind. Das Thema des aktuellen Kapitels hat es in sich: Gilgul (Seelenwanderung). Das Grundmotiv sind Übergänge.

Die äußere Klammer ist ein geographischer Übergang, ein Flug von München nach Tel Aviv. An unterwegs auftauchenden Motiven wird das Thema des Übergangs variiert. So wird das Thema der Mikwe wieder aufgenommen, deren reinigendes Wasser Übergänge zwischen verschiedenen ideellen Zuständen bewirkt. Auch Vögel spielen eine Rolle, die einer im Sohar geäußerten Ansicht zufolge die Seelen von Menschen aufnehmen können, die in den Körpern der Vögel auf eine Wiedergeburt in einem anderen Menschen warten…


Den ganzen Beitrag lesen »

Unsre Heimat

Montag, den 29. September 2008

In den mittleren Klassen begannen unsere Schultage mit einem Lied. Wir standen an unseren Plätzen, wenn die Lehrerin ins Klassenzimmer kam. Was gesungen wurde, machten die Mädchen vor dem Unterricht auf dem Schulhof aus. Die Klassensprecherin – es war immer ein Mädchen – teilte der Lehrerin mit, auf welches Lied die Wahl des Tages gefallen war. Dann stimmte die Lehrerin an.

Eines dieser Lieder liebte ich und hasste es gleichzeitig. Es war nicht wie die meisten Lieder, die wir im Musikunterricht lernten, ein Marsch, nicht einmal ein Strophenlied, sondern eine fließende Weise zum poetischen Text eines jungen Dichters.

»Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer. Unsre Heimat sind auch all die Bäume im Wald. Unsre Heimat ist das Gras auf der Wiese, das Korn auf dem Feld und die Vögel in der Luft und die Tiere der Erde und die Fische im Fluss sind die Heimat…«


Den ganzen Beitrag lesen »

Einige Stunden Exil

Samstag, den 27. September 2008

Grenzübergang Oberbaumbrücke
Grenzübergang Oberbaumbrücke – Peter Frischmuth / Argus

Nicht zuletzt hebe ich in der Kassette seit 1990 meinen entwerteten DDR-Pass auf. Ich wollte ihn nie wegwerfen. Im November 1989, kurz nach der Öffnung der Grenzen, habe ich ihn erhalten. Vor der Passstelle warteten dutzende Menschen, und ich musste stundenlang warten, bis ich an der Reihe war. Ich erhielt nicht nur den Pass. Ein Dauervisum für Reisen nach Westberlin und in die BRD bekam ich dazu, das erste und einzige Visum, das je in diesen Pass gestempelt wurde. Ganze zehn Monate später gab es das Kleine Land nicht mehr, und man brauchte erst recht kein Visum mehr, um »in den Westen« zu fahren. Der Pass war nur noch ein Erinnerungsstück. Das wollte ich behalten. Als ich meinen BRD-Pass bekam, sollte ich den blauen Ost-Pass abgeben. Das lehnte ich ab. Der Beamte grinste, nahm einen Locher, stanzte ein paar Löcher hinein und überstempelte alle Seiten in roter Farbe mit dem Wort UNGÜLTIG. Dann gab er ihn mir zurück.

Ich habe nicht gezögert, bin gleich von der Passstelle aus zum Bahnhof gegangen, in die S-Bahn gestiegen und zur Friedrichstraße gefahren. Solange ich lebte, war hier die Endstation gewesen.


Den ganzen Beitrag lesen »

Kurzer Weg zum Ruhm

Freitag, den 26. September 2008

Pertti Karppinen
Der finnische Ruderer Pertti Karppinen

Die Vorstellung, ein berühmter Sportler zu werden, war mir vor allem deshalb sympathisch, weil ich annahm, es brauche dafür nicht mehr als Ehrgeiz, Anstrengung und den unbedingten Willen zu siegen. Natürlich fuhr ich von Anfang an Einer, denn geteilter Ruhm kann nur halber Ruhm sein.

Ich hatte ein Plakat vor Augen, das an der Tür des Bootshauses hing und den dreimaligen Olympiasieger Pertti Karppinen in einem Rennen zeigte. Sah man dem Finnen ins Gesicht, konnte man keinen Zweifel daran haben, dass er jeden Wettkampf gewinnen konnte. Er zog die Skulls mit so gewaltiger Kraft durchs Wasser, dass sie sich wie Weidenruten bogen. Ich meinte, das Foto zeige ihn beim Start eines Rennens, während der ersten Schläge. Die Bildunterschrift belehrte mich eines Besseren.

»Pertti Karppinen im Endspurt«, stand dort.


Den ganzen Beitrag lesen »