Archiv der Kategorie 'Ausser der Reihe'

Pensionierung des freien Willens

Dienstag, den 31. Juli 2007

Neuroimaging
„Sample of 3D Neuroimaging“ – © York Neuroimaging Centre

Reemtsma:
[…] Deshalb sind Sie für Ihre Persönlichkeit und Ihr Handeln verantwortlich – wer sonst? Der Mensch ist keine willenlose Wachstafel, in der die Umwelt ihre Gravuren hinterlässt.

Markowitsch:
Warum bin ich denn keine Wachstafel? Alles, was je auf mich eingewirkt hat, ist in mein Gehirn eingegraben. Unser Handeln ist durch die Verschaltungen in unserem Gehirn determiniert. Viele davon sind stabil. Andere verändern sich ständig im Wechselspiel mit der Umwelt, mit dem Werden und Vergehen von Neuronen und der Ausschüttung von Neurotransmittern. Das gibt uns das Gefühl, wir handelten aus freier Entscheidung, Tatsächlich spielt sich unsere Gehirntätigkeit in grossen Zügen unbewusst ab, gesteuert durch das emotionale Erfahrungsgedächtnis. Der freie Wille ist eine Illusion.

Reemtsma:
Das ist doch Unfug! Herr Markowitsch, Sie reden, als gäbe es einen Unterschied zwischen Ihnen und Ihren Neuronen. Es scheint, manche Neurobiologen haben ein interessant distanziertes Verhältnis zu ihrem eigenen Gehirn.

„Neuronen sind nicht böse“, Spiegel Nr. 31/2007 S. 117 ff.

••• Der gestern erwähnte Spiegelartikel hat es wirklich in sich. Berichtet wird über neuere Erkenntnisse der Neurobiologie.

So etwas wie das Grundprogramm eines moralischen und ethischen Empfindens sei in bestimmten Hirnregionen vorgeprägt. Wir kämen bereits damit auf die Welt; und was wir moralisches Bewusstsein nennen, erfahre durch Erziehung nur bestimmte kulturelle Ausformungen. Basis allerdings sei das evolutionär vorgeprägte Neuronengeflecht in den identifizierten Hirnregionen. Sei es nicht vorhanden, beschädigt oder in seiner Funktion eingeschränkt, etwa durch Unfälle, Tumore oder neurobiologische Fehlentwicklungen, fehlen die für moralisches Handeln – Ergebnis einer Abwägung zwischen Ratio und empathischem Empfinden – notwendigen Voraussetzungen.

Der Schluss liegt nun nahe, dass Verbrechen neurobiologisch determiniert sein könnte. Dass es mit dem freien Willen nicht weit her sei. Dass es so etwas wie Schuld nicht gäbe. Dass Justiz und Strafsystem ersetzt werden müssten durch neurobiologische Diagnostik und (Um-)erziehung der Täter.


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Auge um Auge

Montag, den 30. Juli 2007

••• Eine Unwahrheit ein ums andere Mal zu wiederholen, macht sie deswegen nicht wahr. Wiederholung allerdings eignet sich gut, um Unwahrheiten so gründlich in die Gehirne zu waschen, dass sie wie selbstverständlich ins Allgemeinverständnis eingehen. Und das trifft nicht nur auf die „vox populi“ zu – nein, die vermeintliche Intelligenzija ist ebenso betroffen.

In einem übrigens hochspannenden Artikel im aktuellen „Spiegel“, über den ich gern noch berichten will, kann man einen guten Beleg für diese These finden. Das liest sich so:

Auge um Auge – im biblischen Israel galt Rache als absolut legitim. Bis weit ins Mittelalter herrschten in Europa Faustrecht und Fehde. Erst 1495 beim Reichstag zu Worms gelang es im Heiligen Römischen Reich, die Rache per Privatkrieg im ganzen Reich zumindest auf dem Papier abzuschaffen […]

„Die Grammatik des Guten“, Spiegel Nr. 31/2007 S. 113

Dass das Buch Vayikra (Leviticus) 24,17-22 die grausame, rächende Körperstrafe als Sühne für Körperschäden befehle, ist so oft wiederholt worden, dass es selbst in einem wissenschaftlichen Beitrag des Jahres 2007 dem Autor wie geschmiert von der Feder geht. De facto aber fordert die Torah eben gerade nicht die Versehrung des Täters, sondern die Entschädigung des Opfers durch Geld.


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Verluste

Donnerstag, den 26. Juli 2007

George Tabori (1914 – 2007)
Ulrich Mühe (1953 – 2007)

••• Sie hätten noch Zeit haben sollen…

Perkampus tritt ab

Mittwoch, den 25. Juli 2007

da ich mich nun aufmachen muss, in irgendeiner weise geld zu verdienen, stelle ich meine aktivitäten als schriftsteller ein. das hatte ich in den 90igern schon einmal versucht und es ist mir zumindest drei jahre lang gelungen.

••• Abtritt als Auftritt. Die Scheinwerfer mitten ins Gesicht. Dichter, die wirklichen, mein Lieber, treten ab, wenn sie in die Grube fallen. Alles andere ist Seife. Pathetic!

10. Av (Chatzot)

Mittwoch, den 25. Juli 2007

••• Der Tempel brannte von Tisha b’Av die ganze Nacht hindurch, weithin sichtbar. Am 10. Av, gegen Mittag, war das Werk der zerstörerischen Horden vollendet. Deswegen gelten die Trauervorschriften in abgeschwächter Form noch bis zum 10. Av bis Chatzot, der Mitte des Sonnentages. Das war heute gegen 13.30 Uhr. Um 14:00 erhielt ich die folgende Nachricht:

Der Kuckuck ist tot. Unterm Nest, auf das er es abgesehen hatte, liegt er mit abgerissenem Kopf. Sein Blut versickert im Staub. Mag der Kadaver vermodern.


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